„Richard Boreks fester Wille, seine Bereitschaft, das für richtig Gehaltene mit aller Konsequenz zu vertreten, verdient viele Nachahmer.“

Im Theater des menschlichen Lebens ist es nur Gott und den Engeln erlaubt, Zuschauer zu sein.Francis Bacon

Der frühere Bundesaußenminister Sigmar Gabriel hat einen Satz geprägt, der deutsche Stillstände gut erklärt: „Wir haben 70 Jahre Zeit gehabt, unsere Individualrechte auszubauen. Man kann gegen alles klagen. Und jetzt wundern wir uns, dass geklagt wird.“ Der Einzelne kann verhindern, was viele wünschen. Das Prinzip Gemeinnutz trägt häufig nur, wenn ihm Gerichte Vorfahrt gewähren. Der Volksmund weiß: „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand.“ Und so erinnert die Realisierung von Schienen, Straßen, Kanälen, Baugebieten, Gewerbeparks, Bahnhöfen und Flughäfen immer wieder an eine Sturmfahrt um Kap Hoorn.

Wunderbar, ruft da der eine. Denn die Rechtslage verhindert, dass die Mehrheit die Rechte des Einzelnen beiseite räumt wie der Bagger den Erdhaufen. Und es ist gut, dass unsere Justiz keiner Staatsräson folgt.

Furchtbar, ruft der andere, denn das Prinzip „im Zweifelsfall klagen“ verzögert viele wichtige Projekte, kostet gewaltige Summen und lässt Besucher aus Asien staunen: Wie kommt es nur, dass dieses Land so schwerfällig und doch so erfolgreich ist?

Der Weg der Weisheit führt stets über vernünftigen Ausgleich. Die Problematik der umfassendsten Klagemöglichkeiten in der deutschen Geschichte beginnt deshalb da, wo sie die Bereitschaft beider Seiten zu einer gütlichen Einigung beschädigen. Wer sehr genau weiß, das er auf dem Klageweg ein ungeliebtes Projekt auf Jahre hinaus verzögern kann, wird viel weniger zum Kompromiss bereit sein.

Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Woche – passend zum voraussichtlich schlimmsten Stau-Wochenende des Jahres – einer Klage des Bundes für Umwelt und Naturschutz in Teilen stattgegeben. Die Autobahn 39 kann zwischen Wolfsburg und Lüneburg nun zunächst nicht weitergebaut werden. Es geht um Planungsfehler, die das Gericht im Planfeststellungsbeschluss erkennt. Zum Bau der Ortsumgehung von Ehra-Lessien sei ein eigener Plan erforderlich, wasserrechtliche Vorschriften seien nicht eingehalten worden. Argumente des Natur- und Artenschutzes verfingen hingegen nicht. Freude beim Umweltverband, Ärger bei der Wirtschaft. Die Unternehmerverbände Niedersachsen sprechen von einem Rückschlag und stellen eine interessante Frage: Warum dauert es in den Niederlanden nur halb so lange, eine Autobahn zu bauen, wie in Deutschland? Das EU-Recht gilt in beiden Ländern.

Man darf der guten Ordnung halber sicherlich fragen, ob die Genehmigungsbehörde alles getan hat, um einer Anfechtung standzuhalten. Die Unternehmer kritisieren aber vor allem, dass die Umweltschützer ihre Bedenken nicht von vornherein angemeldet hätten. Dann hätten die Behörden diesen Hinweisen Rechnung tragen und Steuergeld sparen können. Da ist was dran. Wenn es vor allem um die Verhinderung geht, wird anders gerechnet: Wer taktisch vorgeht, verbessert seine individuellen Siegchancen. Mit Gemeinwohl hat das nicht zwingend zu tun.

Zur Erinnerung: Der Weiterbau der A 39 würde die überfüllten Autobahnen 2 und 7 und die Bundesstraße 4 in Richtung Hamburg deutlich entlasten, würde den strukturschwachen Raum zwischen Wolfsburg und Lüneburg aufwerten. Und gemeinsam mit der Autobahn A 14 von Magdeburg nach Schwerin, die mit einer Querspange bei Salzwedel angebunden würde, könnte die A 39 eine leistungsfähige Verkehrsader von Skandinavien nach Südosteuropa schaffen.

Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts wird das Projekt nicht stoppen, aber sicher verzögern. Wem ist damit gedient? Welchen positiven Effekt hat die Klageflut, wenn sie kaum etwas am Ergebnis, aber viel an Realisierungsgeschwindigkeit und Kosten verändert? Es ist höchste Zeit, die berechtigten Partikularinteressen in eine vernünftige Relation zum Wohl der Allgemeinheit zu bringen.

Szenenwechsel: Seit dieser Woche hat Braunschweig einen weiteren Ehrenbürger. Richard Borek, dessen Familie ein Handelsunternehmen für Briefmarken und Münzen von internationalem Rang betreibt, empfing den Brief (der eher ein Buch ist) aus den Händen von Oberbürgermeister Markurth. Die Laudatio des ehemaligen IHK-Hauptgeschäftsführers Bernd Meier klärte die Frage, warum Borek eine gute Wahl ist – wie auch sein Mit-Ehrenbürger Gerhard Glogowski sagt, sekundiert vom Stadtplaner Prof. Walter Ackers, dem stellvertretenden Landesbischof Thomas Hofer und dem Chef der Evangelischen Stiftung Neuerkerode, Rüdiger Becker.

Von der Dorfentwicklung im Stadtjuwel Riddagshausen über die Erfassung des baukulturellen Erbes bis zum Hospiz, zur Schulsozialarbeit und der Wiedererrichtung des Braunschweiger Schlosses hat Borek gemeinsam mit seiner Frau Erika und seiner Familie tiefe Spuren in der Hauptstadt des Braunschweiger Landes hinterlassen. Und er gehört zu denen, die braunschweigischer Identität die notwendige Aufmerksamkeit verschaffen.

Dieses Kümmern um Identität erschöpft sich keineswegs in der Pflege historischer Werte und Traditionen. Es hat Zukunftswirkung. Eine Region, die Gemeinsamkeit nicht erkennt und spürt, ist nicht projektfähig. Sie wird im Wettbewerb mit anderen ins Hintertreffen geraten. Quod erat demonstrandum. Es ist gut, dass sich in dieser Hinsicht vieles zum Besseren entwickelt.

Bequem war Borek nie, auch wenn er sich in der Dornse des Altstadthauses mit feiner Selbstironie eine gewisse Altersmilde attestierte. Aber wirksam war und ist er. Richard Boreks fester Wille, seine Bereitschaft, das für richtig Gehaltene mit aller Konsequenz zu vertreten, verdient viele Nachahmer: Gerade in einer Zeit, in der das Verhindern so leicht ist, braucht das Schaffen kraftvolle Treiber.