Hannover. Niedersachsens Kultusminister Tonne muss Inklusion und Ganztag abdecken – und trotzdem auch noch den Unterricht sicherstellen.

Der Lehrermangel ist ja nicht erst gestern entstanden! Die Leidtragenden sind die Kinder!
Das schreibt ein Leser, der sich Petralius Patriotus, nennt auf unseren Facebookseiten.

Zum Thema recherchierte Michael Ahlers.

Unterrichtsversorgung, Inklusion, dazu die Lage an den Berufsschulen: Für Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) war am Donnerstag im Landtag Großkampftag. Die Themen allerdings sind immer wiederkehrende. Tonne gab sich denn auch als gelassener Macher. „Wir befinden uns auf einem guten Weg, aber wir sind noch lange nicht am Ziel“, lautete sein Fazit zur Inklusion, doch diese Haltung ließe sich auf wohl alle Problembereiche anwenden.

Mehr neue Lehrer als Pensionäre

Wieder einmal war es die oppositionelle FDP, die die Themen Lehrermangel und Stundenausfall im Parlament auf die Tagesordnung gesetzt hatte. „Wie viele Stellen hätten für die öffentlichen allgemeinbildenden Schulen für das Schuljahr 2019/2020 ausgeschrieben werden müssen, um eine 100-prozentige Unterrichtsversorgung zu erreichen?“, lautete die listige Frage. Denn das Land bekommt nicht so viele Lehrer wie nötig, und an vielen Schulen gibt es erhebliche Probleme.

„Ziel der Landesregierung ist selbstverständlich, eine landesweit ausgewogene und bedarfsgerechte Unterrichtsversorgung zu erreichen“, sagte Tonne. Die Versorgung mit Lehrern stelle aber gegenwärtig für alle Länder eine große Herausforderung dar. Die Fachleute im Ministerium müssen einerseits bei den Stundenzuweisungen „Zusatzbedarfe“ wie Inklusion und immer mehr Ganztag abdecken. Aktuell betrage der Anteil dieser Zusatzbedarfe an den sogenannten Soll-Stunden rund 19 Prozent, sagte Tonne. Andererseits kann der SPD-Politiker auf einen positiven Saldo bei den Neueinstellungsrunden verweisen. Das heißt: Laut Ministerium kommen jeweils mehr Lehrer, als Pensionäre ausscheiden. „Auch zum Beginn des neuen Schuljahres stehen erneut mehr Einstellungsmöglichkeiten ­- nämlich 1900- zur Verfügung, als Lehrkräfte dauerhaft ausscheiden werden, nämlich 1368“, erklärte Tonne im Landtag. Dies sei nach aktuellem Stand „ausreichend“, um eine ausgeglichene Unterrichtsversorgung zu erreichen. Man brauche nicht 100, 200 oder 300 Lehrer mehr. Bei den 1900 zur Verfügung stehenden Stellen handelt es sich zudem um Vollzeit-Stellen. Die ausscheidenden 1368 sind dagegen „Köpfe“, also Lehrer, die teilweise Teilzeit arbeiten. Aktuell fehlen offenbar vor allem Lehrer für Haupt- und Realschulen sowie Sonderpädagogen.

Bessere Planung versprochen

„Der Kultusminister konnte nicht eindeutig beantworten, wie viele Lehrkräfte für eine 100-prozentige Unterrichtsversorgung benötigt werden. Nur zu hoffen, dass es reicht, genügt nicht“, erklärte der bildungspolitische Sprecher der FDP, Björn Försterling. Försterling forderte eine langfristige und belegbare Personalplanung der Landesregierung, insbesondere im Hinblick auf den Mehrbedarf für den 13. Jahrgang an den Gymnasien im Schuljahr 2020/2021. Niedersachsen kehrt zum „G9“, dem Abitur nach 13 Jahren, zurück. „Um die Planung deutlich zu verbessern und auf eine solide Datenbasis zu stellen, arbeitet mein Haus an einer Lehrkräftebedarfsprognose für die Zeit bis 2030 mit dem Ziel einer kontinuierlichen Aktualisierung“, hatte Tonne zugesichert. Die Zahl der Abordnungen von Lehrern an Schulen mit Lehrermangel werde weitergehen, wenn auch in eingeschränktem Maße, kündigte Tonne an. „Der Minister weiß schon heute, dass seine 1900 ausgeschriebenen neuen Stellen längst nicht alle besetzt werden“, erklärte die Grünen-Landtagsabgeordnete Julia Hamburg. Das bleibt zwar abzuwarten. „Der Landesregierung wird es leider auch im kommenden Schuljahr nicht gelingen, eine ausreichende Unterrichtsversorgung sicherzustellen“, erklärte Hamburg aber auch. Und diese Prognose dürfte sich in jedem Fall bewahrheiten - sind doch als Puffer gegen kurzfristigen Stundenausfall Werte von deutlich über 100 Prozent nötig.

Defizite bei Inklusion

Beim Thema Inklusion von Kindern mit festgestellter Behinderung in Regelschulen bleibt das Land ebenfalls in der Defensive. „In Niedersachsen fühlen sich an vielen Schulen Lehrkräfte mit der Inklusion noch immer überfordert, sind Eltern enttäuscht und die Schülerinnen und Schüler die Leidtragenden“, erklärte der Verband Niedersächsischer Lehrkräfte nach der Diskussion im Landtag. Grundlage war eine Große Anfrage der Grünen-Landtagsfraktion. Und die GEW kritisierte: „Obwohl der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf an den Regelschulen zugenommen hat, ist ihr Anteil an den Förderschulen nicht im selben Maße gesunken.“ Erklärung der GEW: Ressourcen für die Schulen würden an den Förderbedarf einzelner Schüler gekoppelt - und Schüler dann eben mit diesem Förderbedarf versehen. „Wir haben uns seinerzeit in Niedersachsen über die Fraktionen hinweg mit großer Mehrheit dafür entschieden, im Niedersächsischen Schulgesetz zu verankern, dass jede Schule eine inklusive Schule ist“, sagte Tonne im Landtag. Diese Entscheidung werde nicht revidiert oder relativiert. Immer mehr inklusive Beschulung gehe einher mit dem Aufwachsen des Stundenvolumens für die sonderpädagogische Grundversorgung und die sonderpädagogischen Zusatzbedarfe. Zudem könnten Förderschullehrkräfte ab dem kommenden Schuljahr an allgemeinen Schulen eingestellt oder dorthin versetzt werden. können. Große Unterschiede des Gelingens von Inklusion an den jeweiligen Schulen räumte Tonne aber ein.