Braunschweig. Vertreter der europäischen Parteifamilien haben Spitzenkandidaten benannt. Doch das Konzept bleibt umstritten.

Es kommt selten vor, dass gleich 50 Fernsehsender eine Diskussion im EU-Parlament übertragen. Mitte Mai war das der Fall: die Spitzenkandidaten der Europawahl lieferten sich hitzige Debatten darüber, wohin die Reise in der EU gehen soll. Sechs Vertreter der europäischen Parteifamilien gehen in das Rennen um das Amt des EU-Kommissionspräsidenten. Sechs Vertreter, die auf europäischer Bühne mehr oder weniger bekannt sind. Wer nach der Wahl als stärkste Partei hervorgeht, soll den amtierenden Präsidenten Jean-Claude Juncker beerben. Eine wirkliche Chance haben aber wohl nur zwei Spitzenkandidaten: der Deutsche Manfred Weber für die Christdemokraten (EVP) und der Niederländer Frans Timmermans für die Sozialdemokraten (SPE).

Die Idee, Spitzenkandidaten für die EU-Wahl aufzustellen, ist noch verhältnismäßig neu. 2014 wurde sie das erste Mal erprobt: Der Europawahlkampf sollte spannender, demokratischer werden, wenn sich mehr oder weniger prominente Köpfe öffentlich über EU-Themen streiten. Bis dahin hatten die Staats- und Regierungschefs in Hinterzimmern ausgekungelt, wer das wichtigste Amt in der EU besetzen soll. Erstmals tourten daraufhin die Kandidaten, im letzten Wahlkampf waren es Martin Schulz und Jean-Claude Juncker, durch die EU, um für ihre Positionen zu werben. Aus Sicht der Abgeordneten des EU-Parlaments war das Verfahren so erfolgreich, dass sie es unbedingt beibehalten wollen: Nur so könne eine Verbindung zwischen der Wahl des Kommissionspräsidenten und dem Ausgang der Europawahl hergestellt werden.

Der spanische Abgeordnete Esteban González Pons von der Europäischen Volkspartei (EVP) ist überzeugt: „Es gibt keinen anderen Weg für die EU – sie muss demokratischer und transparenter werden. Es ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, wenn die Bürger die Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Europäischen Kommission vor den Wahlen kennen.“ Aber eine Garantie, dass am Ende tatsächlich der Kandidat der erfolgreichsten Parteienfamilie Chef von 32.000 EU-Beamten wird, gibt es nicht. Tatsächlich haben bei dem Verfahren nach wie vor die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer das Sagen: Im EU-Vertrag steht, dass allein der Europäische Rat einen Kandidaten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten vorschlägt und das Ergebnis der Wahlen lediglich berücksichtigen soll. Das EU-Parlament kann diesen Kandidaten zwar ablehnen, aber einen anderen benennen darf es nicht.

Einige Oberhäupter haben ihre Skepsis bereits zum Ausdruck gebracht: Er halte nichts vom Konzept der Spitzenkandidaten, grummelte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron beim EU-Gipfel in Rumänien. Und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte erst kürzlich eine gewisse Skepsis gegen das Prinzip.