Braunschweig. 300 Schüler befragen den Kultusminister zum Lehrermangel, zur digitalen Ausstattung von Schulen – und zu den Schülerprotesten.

„Warum werden heute immer noch Unterrichtsinhalte vermittelt, die im späteren Leben gar keinen Gebrauch finden?“


Dies fragte Max Müller von der
Integrierten Gesamtschule Peine Kultusminister Grant Hendrik Tonne bei der Jugendpressekonferenz.

Über die Veranstaltung berichtet Andreas Eberhard.

So gut besucht sind die wenigsten Pressekonferenzen in unserer Region: Mehr als 300 Schülerinnen und Schüler aus Braunschweig, Gifhorn, Peine, Salzgitter und Wolfenbüttel kamen zur Jugendpressekonferenz mit Grant Hendrik Tonne (SPD) in BZV-Medienhaus in Braunschweig. Sie schlüpften in die Rolle von Journalisten und befragten den Niedersächsischen Kultusminister. Michael Ahlers, Hannover-Korrespondent unserer Zeitung, moderierte das Frage-Antwort-Spiel.

Ein Unterschied zu klassischen Pressekonferenzen: Der für die Schulen zuständige Minister stellte sich denen, die unmittelbar von seiner Bildungspolitik betroffen sind. „Seid nicht zu höflich“, animierte Gastgeber Armin Maus, Chefredakteur unserer Zeitung, die überwiegend Jugendlichen – die meisten sind im 10. und 11. Jahrgang – zum kritischen Nachbohren.

Tonne: „Nee, Mathe bleibt!“

Diese Gelegenheit ließ sich Max Müller von der IGS Peine mit seiner Frage nach aus seiner Sicht unbrauchbaren Unterrichtsinhalten nicht entgehen. Der Minister nahm sie zum Anlass, um Grundsätzliches loszuwerden: Die Debatte über den Lehrstoff werde permanent geführt, versicherte Tonne. Allerdings gingen die Meinungen darüber, was wichtig und was unwichtig sei, deutlich auseinander. Häufig würden die Fächer Sport und Religion infrage gestellt. Als Schüler in der ersten Reihe etwas zu laut „Mathe“ tuscheln, lacht Tonne und macht umgehend alle Hoffnungen zunichte: „Nee, Mathe bleibt!“

Die Schule müsse eine „solide Grundbildung“ vermitteln, forderte der Minister. Daneben müsse sich aber auch jeder fragen: „Welche Fähigkeiten muss ich selber erwerben?“ Tonne erörterte dies am Beispiel der bisweilen vorgebrachten Anregung, in der Schule sollten Schüler beigebracht bekommen, wie man eine Steuererklärung macht. Er sprach sich klar dagegen aus: „Wir können nicht alles, was einem im Leben begegnet, in Schulen vermitteln. Ich werbe dafür, dass man den Schülern dort die Kompetenz mitgibt, an Probleme heranzugehen und sie eigenständig zu lösen. Wenn wir das schaffen, ist schon viel erreicht.“ Ziel sei eine „grundständige Bildung“, zu der gelegentlich auch Dinge gehörten, die man selbst als zweitrangig erachte.

Großthema Unterrichtsversorgung

Mit dem Großthema Unterrichtsversorgung kam Marlon Mert Selke von der Ricarda-Huch-Schule Braunschweig auf ein drängendes Problem zu sprechen: „Wie ernst ist der Lehrermangel mittlerweile, und wie wird er sich für die kommenden Generationen auswirken?“ Eine einfache Lösung könne es bei einem so grundlegenden, strukturellen Thema kaum geben, sagte Tonne. Kurzfristig werde man den Mangel an Lehrpersonal nicht beheben können. „Wir reagieren, indem wir versuchen, den Beruf attraktiver zu machen“, erklärte der Minister, „und zwar durch die Besoldung und durch die verdiente Entlastung der Lehrer“. Spätestens da jedoch beißt sich die Katze in den Schwanz: „Wenn ich die Lehrer entlaste, aber zu wenige habe, geht das wieder auf Kosten der Unterrichtsversorgung.“ In diesem Spannungsfeld bewege sich die Bildungspolitik permanent – und zwar bundesweit. Obwohl die Lage „herausfordernd“ sei, sieht Tonne die „guten Bildungschancen“ der heutigen Schüler durch den Lehrermangel „noch nicht gefährdet“.

Jugendpressekonferenz bei der Braunschweiger Zeitung

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    Bezahlung von Grundschul- und Gymnasiallehrern

    Raabeschüler Juri Ernst erinnerte daran, dass über die Attraktivität des Lehrerberufs auch die Bezahlung entscheidet. Er fragte: „Warum kriegen Grundschullehrer bei höherer Stundenzahl weniger Gehalt als Gymnasiallehrer?“ Die unterschiedliche Bezahlung sei einst mit der verschieden langen Ausbildung von Grundschul- und Gymnasiallehrern gerechtfertigt worden, erklärte Tonne. Zwar gebe es immer noch „gewisse Unterschiede“ in der Ausbildung, „allerdings sind wir der Auffassung, dass die Unterschiede nicht mehr so groß sind, dass sie eine unterschiedliche Bezahlung rechtfertigen“.

    Minister setzt auf Lehrer-Quereinsteiger

    Leandra Siebert beschäftigte das Thema Quereinstieg ins Lehramt. „Wie wird der Quereinstieg ins Lehramt in Niedersachsen umgesetzt?“, fragte die Ricarda-Huch-Schülerin. „Auf Quereinsteiger zu setzen, ist eine Option für uns“, antwortete Tonne. Etwa 10 Prozent der neueingestellten Lehrer seien derzeit Seiteneinsteiger in den Beruf. „Wir bemühen uns, diese Tür so weit wie möglich zu öffnen“, sagte er, gleichzeitig dürfe man aber nicht den „fatalen Eindruck“ erwecken, das könne „jeder mal eben so machen“. Deshalb sei es wichtig, hohe Anforderungen wie den Master-Abschluss an die Bewerber zu stellen. Er selbst, gestand der Jurist, traue sich die Aufgabe, vor einer Klasse zu stehen und zu unterrichten, eher nicht zu.

    Auch Bettina Nick, eine von 20 Teilnehmern der Pressekonferenz, die sich am Diakonie-Kolleg Wolfenbüttel zu Erziehern und Sozialpädagogischen Assistenten ausbilden lassen, treibt der Lehrermangel um: „Gibt es eine Möglichkeit, dass wir als angehende Erzieher auch in Grundschulen angestellt werden, um den Lehrern als Unterstützung zu dienen?“ Und sie schob gleich nach: „Damit meine ich keine bloße Schulbegleitung von Kindern für 9,90 Euro pro Stunde.“ Man sei mitten in einer Diskussion über multiprofessionelle Teams an Schulen, antwortete Tonne. Hoffnungen auf einen Seiteneinstieg von Erziehern ins Lehramt dämpfte er. Die von Nick erwähnte Möglichkeit dagegen gebe es bereits: „Über den Weg als pädagogische Fachkraft können Sie für Schüler mit besonderem Unterstützungsbedarf eine echte Bereicherung sein.“

    Bildungspolitische Großbaustelle Digitalisierung

    Viele Teilnehmer der Veranstaltung stellten Fragen zur bildungspolitischen Großbaustelle Digitalisierung. Einer von ihnen, Leo Könneke vom Braunschweiger Gymnasium Martino-Katharine­um (MK), fragte: „Wann wird meine Schule von dem ausgehandelten Digitalpakt profitieren?“ Am MK gebe es kein W-Lan für die Schülerschaft, die Computerräume hätten zu wenige Arbeitsplätze.

    Insgesamt 520 Millionen Euro würden in Niedersachsen durch den Digitalpakt zur Verfügung gestellt, erklärte der Minister und sagte zum Zeitplan: „Unser Ziel ist, zum Sommer die Förderrichtlinie des Landes fertig zu haben und im zweiten Halbjahr mit der Auszahlung des Geldes zu beginnen.“ Jede Schule solle einen „Sockelbetrag“ erhalten – darüber hinaus sollen die Schulen zusätzliche Mittel beantragen können. Voraussetzung ist, dass sie ein entsprechendes „Medienkonzept“ vorlegen. „Wir schaffen die Voraussetzungen“, sagte Tonne. Damit liege der Ball ab Sommer im Feld der Schulen. Die müssten nun ihre pädagogischen und didaktischen Konzepte vorlegen. „Schließlich schaffen wir die digitale Technik nicht um der Technik willen an.“

    Tonne über „Fridays for Future“: Wer zur Demo geht, weiß was er tut

    Raabeschüler Niklas Jaime Fengler schließlich brachte das Gespräch auf die Schülerproteste zur Klimapolitik. „Wieso sind so viele Schulen in Braunschweig dagegen, dass ihre Schüler demonstrieren?“, fragte er. So langweilig es sei, sagte Tonne: „Die Schulpflicht bleibt. Formal ist das ein unentschuldigtes Fehlen. Wer zur Demo geht, weiß was er tut und setzt bewusst dieses Zeichen.“ Der Sozialdemokrat unterstrich, die Landesregierung sei an mehreren Stellen mit den „Fridays for Future“-Gruppen im Gespräch: „Wir greifen das auf.“

    Aber Fengler reichte diese Antwort noch nicht aus. „Jetzt gibt es diese konkrete Möglichkeit, sich als Schüler zu engagieren. Gleichzeitig haben wir viele Schulleiter gegen uns“, klagte er. Tonne hielt dagegen: Es gebe sehr viele Möglichkeiten – vom Fachunterricht bis zu Projekttagen – die Themen der Schüler in den Schulen einzubringen. „Wenn Sie sich das anders vorstellen, dann führen Sie den Diskurs an Ihrer Schule!“ Solche Debatten seien „das Beste, was uns passieren kann“ – auch wenn sich der Schulleiter mal als „sperrig“ erweise.