Braunschweig. Braunschweig. . Der Bund will den Ausbau der Ganztagsbetreuung an Grundschulen vorantreiben. Doch in Niedersachsen fehlen Fachkräfte.

Hebammen, Kinderärzte, Krippe,Kita überall Mangel… Muss man demnächst auch noch Sorge um die Schulbetreuung haben?

Das fragt unser Leser „Bellybooh Pss“ auf unseren Facebook-Seiten

Die Antwort recherchierte Katrin Schiebold

Am Nachmittag ist in der Grundschule Comeniusstraße in Braunschweig immer noch etwas los. Ob Tanzen, Nähen, Werken oder Lesen, die Kinder treffen sich in Arbeitsgemeinschaften, sie üben auf der Blockflöte oder Gitarre, spielen Theater, basteln, nähen, treiben Sport, singen, brüten über Hausaufgaben, schmökern in der Bibliothek, toben, treffen sich mit Freunden. Bis 15 Uhr gibt es in der offenen Ganztagsschule eine verlässliche Betreuung. Darüber hinaus werden aber auch Gruppen bis 16 und bis 17 Uhr angeboten. Von insgesamt 380 Schülern nutzen rund 350 die Angebote am Nachmittag. „Der Bedarf ist groß“, weiß Ute Wasserbauer vom Arbeitskreis Schulkindbetreuung in Braunschweig aus Erfahrung.

Bis 2025 soll der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung kommen

Als Leiterin des Kinderhauses Brunsviga, Kooperationspartner der Grundschule Comeniusstraße, hat sie mit der Schule und Fachkräften intensiv an dem Konzept und den Angeboten gearbeitet. Ein Modell, das als musterhaft bezeichnet werden kann. Doch damit alles reibungslos läuft, ist ein organisatorischer Kraftakt nötig. Die größte Herausforderung: „Ganz klar, der Fachkräftemangel“, sagt Ute Wasserbauer.

Damit spricht die Expertin ein Problem an, vor dem derzeit viele Kommunen warnen. Nach dem Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz soll nun bis zum Jahr 2025 auch der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter kommen. Die Bundesregierung will damit eine Lücke schließen: Solange Kinder in eine Kita gehen, ist zumindest bis zum Nachmittag häufig die Betreuung gesichert. Doch mit der Grundschule enden vielerorts die Angebote; der Nachwuchs steht schon mittags vor der Tür. Wer kümmert sich dann, wenn Papa und Mama arbeiten müssen und keine Großeltern vor Ort leben?

Derzeit nutzen in Niedersachsen 58 Prozent der Schüler das Ganztagsangebot an Grundschulen im Schuljahr 2015/16 lag der Anteil noch bei 54 Prozent. Wie in den Kitas verlangen immer mehr berufstätige Eltern für ihre Kinder auch in der Schulzeit flexible und verlässliche Nachmittagsangebote. Doch mit dem schnellen Ausbau der Kinderbetreuung in den Kommunen ist auch die Nachfrage nach Erziehern und pädagogisch ausgebildeten Fachkräften gestiegen. Viele Einrichtungen können freie Stellen in Krippen und Kindergärten kaum besetzen – noch schwerer wird es, geeignetes Personal für die Schulkindbetreuung zu finden. „Einige Träger sind kurz davor, Gruppen wieder schließen zu müssen“, hat Wasserbauer beobachtet. Denn für viele Nachwuchskräfte sind die Stellen aufgrund der oft niedrigen Wochenarbeitszeit nicht attraktiv. Eine Fachkraft, die in einer 15-Uhr-Gruppe eingesetzt ist, komme in der Woche beispielsweise nur auf
17 Stunden, erklärt Wasserbauer – entsprechend niedrig fällt das Gehalt aus. „Alleine kann man davon nicht leben.“ Hinzu kommt, dass eine Arbeit am Nachmittag häufig Frauen und Männer ausschließt, die selbst Kinder haben.

Nach einer Studie des Deutschen Jugendinstituts werden bis zum Jahr 2025 in Krippen, Kindergärten und in der Grundschulbetreuung bis zu 329.000 zusätzliche pädagogische Fachkräfte gebraucht. Die Zahl der Kinder, die auf Betreuung angewiesen sind, werde sich von rund 7.654.000 auf bis 415.000 erhöhen – sollte sich die demografische Entwicklung mit leicht steigenden Geburtenzahlen und einer anhaltenden Zuwanderung Schutz- und Asylsuchender fortsetzen. „Gleichzeitig besteht nach wie vor eine deutliche Kluft zwischen Elternwünschen und vorhandenen Betreuungsplätzen.

Das Land Niedersachsen hat die Erzieher-Ausbildung reformiert

Um mehr Fachkräfte für die Betreuung zu gewinnen, hat das Land Niedersachsen zu diesem Schuljahr bereits die Erzieher-Ausbildung reformiert. An der Berufsbildenden Schule in Braunschweig können sich Erzieher in Teilzeit zum sozialpädagogischen Assistenten ausbilden lassen, als nächstes soll auch das für den Erzieherberuf möglich sein. Die Ausbildung soll dadurch attraktiver werden, denn Auszubildende können somit schon einige Stunden in den Einrichtungen arbeiten und sich nebenher etwas dazu verdienen. Bislang gab es für angehende Erzieher während der vierjährigen Ausbildung keinen Cent Vergütung. Auch der Quereinstieg in den Beruf soll weiter erleichtert werden.

Neben dem Fachkräftemangel gibt es ein weiteres Problem. Sollte der Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung an Grundschulen tatsächlich umgesetzt werden, muss auch ein gemeinsames Konzept her. Wie lässt sich verhindern, dass Kinder nur verwahrt statt bestmöglich gefördert werden? Welche Rolle hat die einzelne Fachkraft, welche Aufgaben muss sie neben der Hausaufgabenbetreuung und der Begleitung bei pädagogischen Angeboten übernehmen? Wie geht sie mit schwierigen Kindern um? „Die Anforderungen an die Schulkindbetreuung sind hoch“, betont Ute Wasserbauer.

Experten fürchten, dass die vom Bund in Aussicht gestellten Mittel in Höhe von zwei Milliarden Euro für den Ausbau von Ganztagsangeboten nicht ausreichen. Sie dürfen nur für Investitionen eingesetzt werden. Wie das Personal dauerhaft finanziert werden soll, ist unklar.

Schon jetzt ist der Streit um die Kosten entbrannt. Niedersächsische Kommunen bekräftigen zwar, dass sie den Ausbau der Kinderbetreuung vorantreiben, um eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erreichen. Salzgitters Oberbürgermeister Frank Klingebiel, der auch im Präsidium des Deutschen Städtetags sitzt, warnt aber davor, die Kosten dafür auf die Städte und Gemeinden abzuwälzen: „Der Rechtsanspruch darf nicht im Kinder- und Jugendhilferecht des Bundes verankert werden, da dann zwangsläufig die Städte und Gemeinden als Jugendhilfeträger für die Finanzierung langfristig zuständig sind.“ Vielmehr sei der Ganztag eine schulische Aufgabe und müsse daher zu 100 Prozent vom Bund und den Ländern finanziert werden. Das Land Niedersachsen wiederum hebt die Verantwortung des Bundes hervor: Dieser müsse sicherstellen, dass ein Rechtsanspruch von den Ländern und Schulträgern auch tatsächlich erfüllt werden kann und dies auch dauerhaft finanziell absichern.

Offene und verpflichtende Angebote in unserer Region:

Bislang ist die Schulkindbetreuung in Niedersachsen uneinheitlich geregelt. 1011 von 1660 Grundschulen sind Ganztagsschulen (62 Prozent). Im Schuljahr 2015/16 lag der Anteil noch bei
52 Prozent. Es gibt offene, gebundene und teilgebundene Angebote, bei denen nur ein Teil der Schüler am verpflichtenden Ganztagsangebot teilnehmen. Auch kooperieren Schulen mit Horten.

In Salzgitter werden von den 15 Grundschulen 8 als offene Ganztagsschule geführt – außerdem eine Grund-und Hauptschule. Auch gibt es in und an 8 Schulen Hortplätze für Schüler, die am Nachmittag auf eine Betreuung angewiesen sind.

In Wolfenbüttel befinden sich fünf Ganztags-Grundschulen, die Variante Hort wird der Stadt als Trägerin parallel dazu angeboten – mit unterschiedlichen Standards und Betreuungszeiten.

In Braunschweig gibt es rund 4400 Betreuungsplätze für schulpflichtige Kinder, zum kommenden Schuljahr sollen 200 weitere geschaffen werden. Damit soll die Betreuungsquote von 55 auf 57,5 Prozent steigen. Angestrebt ist eine Versorgungsquote von 60 Prozent. Außerdem sollen perspektivisch alle Grundschulen in kooperative Ganztagsgrundschulen nach dem Braunschweiger Modell umgewandelt werden: Schule, Stadt und Träger der Jugendhilfe kooperieren. Daneben gibt es die Möglichkeit, Kinder im Hort betreuen zu lassen.

Wolfsburg sieht sich in guter Ausgangslage: Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung sei faktisch bereits umgesetzt, da seit dem Schuljahr 2018/19 alle Grundschulen Ganztagsschulen sind, so eine Sprecherin . Jedes Kind kann bis 17 Uhr verbindlich und kostenlos an den Angeboten teilnehmen. Im laufenden Schuljahr nähmen 76 Prozent der Schüler das Angebot wahr.