Salzgitter. . Bürgergeld statt Hartz IV, die Grundrente: Beim Debattencamp in Salzgitter ist der Linksruck der SPD klar zu erkennen.

Es ist alles gar nicht zu schaffen, was der Hubi und seine SPD wollen. Das bemerkt Dennis Kramer auf unseren Facebookseiten.

Zum Thema recherchierte Andre Dolle.

Die SPD hat sich auf die Couch gelegt. Regionalkonferenzen, Online-Foren. Was für die gesamte Partei gilt, gilt auch für unsere Region: Die SPD steckt mitten in einem Erneuerungsprozess. In Salzgitter läuft dieser Prozess des SPD-Bezirks Braunschweig am Freitag neudeutsch unter der Marke „Debattencamp“.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, zugleich Chef des SPD-Bezirks Braunschweig, sagt gleich zu Beginn: „Wir machen hier keinen sozialdemokratischen Stuhlkreis nach dem Motto: Schön, dass wir drüber gesprochen haben.“ Das SPD-Treffen im Hotel am See hat aber schon etwas von einer Gruppentherapie. Etwa 120 Sozialdemokraten sind da. Sie halten grüne und rote Kärtchen hoch, wenn es um Zustimmung oder Abneigung bei Aussagen zu sozialpolitischen Themen geht. Das SPD-Motto in Salzgitter lautet „Neue Arbeit – Neue Sicherheit.“

Der Linksruck, der gerade durch die Partei geht, ist auch in Salzgitter klar zu erkennen. Hartz IV heißt das Trauma, unter dem die Partei leidet. Die Umfragewerte werden zwar besser, sind mit 17 Prozent aber immer noch mies.

Nicht alles, was die SPD bei Grundrente, Bürgergeld statt Hartz IV, Kindergrundsicherung und das Recht auf Homeoffice derzeit verspricht, ist einfach so bezahlbar. Das weiß auch Hubertus Heil. Löhne, Tarife, Renten: „Da ist etwas aus dem Lot geraten“, schimpft Heil aber. Wohl wissend, dass die SPD mit ihren Hartz-IV-Reformen ihren Anteil daran hat. Deshalb jetzt die Kurskorrektur. Der Minister bleibt ruhig im Ton. Ein Einpeitscher, das ist Heil nicht. Die Stimmung bleibt gedämpft. In der Sache ist Heil klar: Er geißelt, dass nur noch 47 Prozent der Beschäftigten in Deutschland eine Tarifbindung haben. Gerade in der so wichtigen Branche der Altenpflege gebe es nur noch 20 Prozent Tarifbindung. „Obwohl alle wissen, dass wir schon bald mehr Pfleger und Pflegerinnen brauchen“, sagt Heil.

Als er über sein Lieblingsprojekt redet, die Grundrente, wird Heil persönlich. Er verknüpft die „Respekt-Rente“, wie eine Tageszeitung mit den großen Buchstaben sie genannt hat, mit seiner eigenen Vita. Er erzählt von „Omma Gross“. Die habe auf ihn aufgepasst damals, als er klein war, wenn seine alleinerziehende Mutter arbeiten musste. „Omma Gross war zu stolz, zum Sozialamt zu gehen.“ Friseure, Lageristen, Helfer in der Altenpflege: Diese Arbeitnehmer hat Heil im Blick. „Sie dürfen später nicht in die Altersarmut abrutschen.“ Es gehe um den Respekt vor der Lebensleistung. Heils Grundrente soll greifen, wenn Geringverdiener 35 Jahre lang Beiträge gezahlt haben. „Die Abstiegs-Ängste sind in die Mitte der Gesellschaft gekrochen.“

Debattencamp des SPD-Bezirks Braunschweig

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Anders als die anderen Vorschläge der SPD ist eine Grundrente im Koalitionsvertrag fest vereinbart. Aber die Ausgestaltung sorgt für großen Zoff mit der Union.

In drei Arbeitsgruppen diskutieren die Genossen in Salzgitter. In der Truppe, die sich zum Thema „Arbeit und Sozialstaat“ zusammengefunden hat, heftet eine Juso-Dame Zettel mit Slogans an eine Pinnwand und liest diese vor.: „Wir wollen für gut bezahlte Arbeit sorgen.“ Die Teilnehmer heben ihre Hand. Es sind nur grüne Kärtchen zu sehen. „Wir wollen flächendeckende Tarifbindungen.“ Auch hier: ausschließlich Zustimmung.

Braunschweigs Bürgermeisterin Annegret Ihbe äußert sich: „Wir müssen die Leiharbeit stark zurückdrängen.“ Wieder Zustimmung pur.

Als ein Juso-Mitglied fordert, dass sämtliche Hartz-IV-Sanktionen abgeschafft gehören, ist die große Mehrheit dagegen. Gespalten sind die Sozialdemokraten auch, als es um das bedingungslose Grundeinkommen geht. Hier herrscht also noch großer Gesprächsbedarf.

Gespalten ist die Partei ebenso bei der Erhöhung des Spitzensteuersatzes und der Einführung einer Vermögenssteuer. Hubertus Heil will diese Debatte zwar grundsätzlich führen. Aber noch nicht jetzt, sagt er unserer Zeitung. Noch nicht in dieser Legislaturperiode.

In einem anderen Arbeitskreis geht es um „Arbeit und Digitalisierung“. Auch das macht vielen Angst. Heike Zirden aus Heils Ministerium steht am Pult und referiert. Bis 2025 werde der Technologiewandel noch nicht für einen Abbau der Arbeitsplätze sorgen. 2035, so sagt sie, werde er bereits 700.000 Arbeitsplätze geschluckt haben. Und: „Wer seinen Job verliert, wird nicht sofort einen neuen finden.“ Bei 35 Prozent der Arbeitnehmer würden sich die Inhalte massiv ändern. Das setze lebenslanges Lernen voraus. Auf die Fragen, die sich durch den Wandel der Arbeitswelt ergeben, sucht die SPD noch Antworten. Beim Debattencamp treten nur die Probleme zu Tage.