Braunschweig. 365 Mal schlagen die Täter 2018 bundesweit zu – ein Negativ-Rekord. Können Geldnoten-Einfärbsysteme als Abschreckung dienen?

Ohne ein Prophet oder Besserwisser sein zu wollen: Die aktuelle Entwicklung beim Thema Geldautomatensprengung überrascht mich nicht. Und ich behaupte: Der Trend wird sich fortsetzen, solange es keine gesetzlichen Auflagen für die Betreiber von Geldautomaten geben wird.

Das schreibt uns Leser Rainer Hannich aus Braunschweig.

Zum Thema recherchiert Dirk Breyvogel

Der Leser, der sich selbst als Experte bezeichnet und als selbständiger Sicherheitsberater arbeitet, wird von der Statistik bestätigt – und vom Bundeskriminalamt. Bundesweit stieg im Jahr 2018 die Zahl der versuchten und erfolgreichen Geldautomatensprengungen auf 365. Das heißt: Im Durchschnitt erfolgt in Deutschland jeden Tag ein Angriff.

Niedersachsen ist mit 54 Attacken hinter Nordrhein-Westfalen im Vergleich der Bundesländer am häufigsten betroffen. In Braunschweig und in Langenhagen bei Hannover versuchten Unbekannte erst in der vergangenen Woche, in einer Postbank- und einer Commerzbankfiliale zuzuschlagen. Sie scheiterten mit ihrem Versuch, Beute zu machen, verursachten aber dennoch einen hohen Schaden.

Die Zahlen in der Grafik beziehen sich auf Niedersachen.
Die Zahlen in der Grafik beziehen sich auf Niedersachen.

Für den Leser, das führt er in einem längeren Brief an die Redaktion aus, ist diese Entwicklung keine zufällige, sondern war absehbar. Er fordert die verantwortlichen Politiker auf, Banken dazu zu verpflichten, höhere Sicherheitsstandards bei Geldautomaten (GA) einzuführen. Leser Hannich schreibt: „Die Entwicklung der Fall-Zahlen ist dramatisch, und es stellt sich die Frage, warum dies so ist. Ein wesentlicher Faktor ist, dass in Frankreich, in den Niederlanden und Belgien aufgrund von Dekreten sämtliche Geldautomaten seit 2016 besonderer Sicherheitseinrichtungen haben müssen. Seitdem ist in diesen Staaten die Zahl der Angriffe Richtung Null gegangen – und es hat eine Verlagerung nach Deutschland gegeben.“ So seien die Bankautomaten im europäischen Ausland zunehmend mit Einfärbsystemen, sogenannte Intelligente Banknoten-Neutralisierungssysteme (IBNS), ausgestattet. Diese leiten bei einem Angriff Farbe in den Automaten und machen die Geldscheine unbrauchbar. Täter würden mit der Aussicht, am Ende nur unbrauchbare Geldscheine zu entwenden, das Risiko eher vermutlich scheuen, eine Bank zu überfallen.

Was sagen Politik, Ermittler und Kreditinstitute zu den Vorschlägen und Anwürfen des Lesers?

Die Innenministerkonferenz 2017

Verfärbte Geldscheine, die von einer Farbpatrone in einem DB-Fahrkartenautomaten unbrauchbar gemacht wurden.
Verfärbte Geldscheine, die von einer Farbpatrone in einem DB-Fahrkartenautomaten unbrauchbar gemacht wurden. © picture alliance / dpa | Wolfgang Kumm

Dass das Thema politische Brisanz besitzt, zeigt die Tatsache, dass die Innenministerkonferenz (IMK) sich auf ihrer Tagung im Juni 2017 in Dresden intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt hat und auch einen Beschluss fasste. Diesen teilte die IMK auch dem damaligen Präsidenten der Deutschen Kreditwirtschaft (DK), Uwe Fröhlich, in einem Schreiben mit. Alarmiert wurden die Innenminister offensichtlich durch den zwischenzeitlichen Anstieg der Geldautomaten-Angriffe im Jahr 2016. In dem Schreiben, das unserer Zeitung vorliegt, fordert die IMK von deutschen Banken unterstützende Maßnahmen und begründet es mit einer verschärften Sicherheitslage. Die Sprengungen würden einen enormen Sachschaden verursachen, die den „Beuteschaden in vielen Fällen deutlich übersteige“. Die Zunahme der Taten erhöhe die „Gefahren für unbeteiligte Dritte“. Auch Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr könnten „einer erheblichen Gefährdung“ ausgesetzt sein.

Wörtlich heißt es: „Die intensiven, präventiven und repressiven Maßnahmen der Polizei bedürfen der substanziellen Unterstützung der Kreditwirtschaft, um Angriffen auf Geldautomaten vorzubeugen und so die Fallzahlen nachhaltig zu reduzieren. Deshalb sieht die IMK das dringende Erfordernis, dass die Kreditwirtschaft die technischen Möglichkeiten ausschöpft und insbesondere darauf achtet, Wertschutzschränke für Geldautomaten mit mindestens der Widerstandsklasse IV (CEN IV) zu verwenden, welche die Anforderung gegen Gas- und Explosionssprengungen erfüllen. Dadurch sollen Angriffe auf Geldautomaten durch Sprengungen nachhaltig reduziert werden.“

Von der Notwendigkeit, Geldautomaten mit „Einfärbsystemen“ zu bestücken, ist in dieser Stellungnahme nicht die Rede. In dem Beschluss der IMK wird angekündigt, die Umsetzung der politischen Forderung zu überprüfen. Als Referenzzeitraum hierfür wird die Herbsttagung der Innenminister 2019 angegeben.

Das sagt die Bankenbranche

Die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) spricht stellvertretend für die Banken in Deutschland. Sie ist als Zusammenschluss des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, des Bundesverbandes deutscher Banken, des Bundesverbandes Öffentlicher Banken Deutschlands, des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes und des Verbandes deutscher Pfandbriefbanken die Interessenvertretung der kreditwirtschaftlichen Spitzenverbände.

Pressesprecherin Kerstin Altendorf wehrt sich gegen den Pauschalvorwurf, deutsche Banken würden zu wenig machen, um Geldautomaten-Sprengungen zu verhindern. Dafür sei aber auch jede Kreditanstalt eigenverantwortlich, ergänzt sie. Für eine Selbstverpflichtung oder eine gesetzliche Verordnung sieht sie keine Notwendigkeit. Sie teilt auf Anfrage mit: „Banken und Sparkassen führen kontinuierlich umfangreiche Risiko- und Gefährdungsanalysen pro Standort durch. Im Ergebnis werden geeignete bauliche und sicherheitstechnische Schutzmaßnahmen je Standort umgesetzt und der aktuellen Bedrohungslage entsprechend angepasst, um ein Höchstmaß an Sicherheit für Menschen und Werte zu gewährleisten. Die Investitionen in diesem Bereich seitens der Kreditwirtschaft sind erheblich.“

Für die Umsetzung benötige man aber auch Zeit. Zu den Maßnahmen zählten beispielsweise der Einsatz von Einbruchmeldeanlagen, Videoüberwachungssystemen, Abriss- und Erschütterungsmelder an den Geldautomaten oder auch spezielle Einbruchssicherungen an Fenstern und Zugangstüren, erklärt Altendorf schriftlich. „Der Einsatz von Einfärbesystemen oder Gasdetektoren gehört ebenfalls in den Katalog möglicher Maßnahmen.“ Dieser beinhalte auch die Empfehlung, besonders gefährdete Filialen zur Nachtzeit zu schließen. Man stehe in einem ständigen Austausch mit den Sicherheitsbehörden auf Landes- und Bundesebene.

Marion Thomsen von der Braunschweigischen Landessparkasse weist daraufhin, dass Kreditinstitute schon heute auch die Standortwahl von Geldautomaten im Blick haben. Idealerweise, so sehen es Sicherheitsexperten, stehen Automaten an hochfrequentierten Orten wie Hotel-Lobbys, Tankstellen oder Polizeistationen. Sprecherin Thomsen sagt, dass der „Mix“ bei Automatenstandorten stimmen müsse. „Wir sind eine Sparkasse, die auch in der Fläche die Wünsche der Kunden bedienen muss.“ Das dürfe man nicht vergessen, wenn man über diese Frage diskutiere. So biete die Landessparkasse unter anderem am Autohof Lehre im Kreis Helmstedt oder im Empfangsbereich von Kliniken in der Region die Möglichkeit, Geld abzuheben.

Das sagt das LKA Niedersachsen

Der Sprecher des niedersächsischen Landeskriminalamtes, Matthias Eichler, sagt zum Anstieg bei den Geldautomatensprengungen, dass es nie nur einen Grund dafür gebe, warum so etwas passiere. Es gebe auf dem Feld der Kriminalität keine „Wenn-dann-Kausalität“. Es habe schon Automatensprengungen in Deutschland gegeben, bevor andere Länder wie die Niederlande oder Frankreich Geräte mit Einfärbsystemen ausgerüstet hätten (siehe Grafik).

Das LKA habe im Jahr 2015 auch deshalb eine Sonderkommission errichtet. „Begleitend zu den Ermittlungstätigkeiten führt das LKA Niedersachsen einen gemeinsamen Informationsaustausch mit Dachverbänden der Bankenwirtschaft durch. So kann rechtzeitig auf neue Tatbegehungsweisen reagiert werden“, erklärt Eichler. Er gesteht aber ein, dass es, mit Blick auf die Täterbewegungen, kurzfristig einen „Verdrängungswettbewerb“ gegeben habe. Mittlerweile würden aber auch im europäischen Ausland wieder verstärkt Automaten angegriffen, immer öfter mit verschiedenen Varianten von „Festsprengstoff“.

Die Zahl der Geldautomatensprengungen sei parallel mit dem Rückzug vom Schaltergeschäft der Banken angestiegen. Das Geld liege nun nicht mehr in den Tresoren im Keller, sondern in den Geldkisten der Automaten im Vorraum der Bank. Um das Deliktfeld auszutrocknen, müssten die Menschen auch ihre Gewohnheiten ändern. „Denn je weniger Menschen mit Bargeld bezahlen, desto weniger Geldausgabeautomaten müssen die Banken ihrer Kundschaft zur Verfügung stellen“, sagt Eichler.

Vorbild Deutsche Bahn?

Bis dahin bleibt es eine Option, Einfärbsysteme einzuführen. Die Deutsche Bahn hat damit gute Erfahrungen gemacht. Im Kampf gegen Kriminelle setzt der Konzern zunehmend auf die Technik. So schützen Farbpatronen die Geldkassetten von Fahrscheinautomaten. Bei Erschütterungen sorgen die Patronen dafür, dass Geldscheine mit einer nicht ablösbaren Farbe durchtränkt werden. Das Geld ist damit wertlos. „Die Zahl der Automatenaufbrüche hat sich im Vergleich zum Vorjahr auf 250 Fälle nahezu halbiert“, sagt ein Sprecher unserer Zeitung.

Ärgerlich sei, dass, obwohl wegen häufiger Leerungen und zunehmender Kartenzahlung oftmals nur wenige hundert Euro zu erbeuten seien, hohe Kosten für das Unternehmen entstünden. Nach Angaben des Sprechers koste die Anschaffung eines Ersatzautomaten die Bahn bis zu 30.000 Euro.