Braunschweig. Das Klinikum Braunschweig informiert am Weltkrebstag im BZV Medienhaus über medizinische Fortschritte. Das Interesse ist groß.

Ich habe Krebs und werde in Wolfenbüttel behandelt. Wie sicher kann ich sein, dass ich auch dort die neueste Diagnostik bei der Behandlung erhalte? Kann ich mir auch in Braunschweig ein Zweitmeinung von den Ärzten einholen?

Dies fragt auf der Veranstaltung eine Leserin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.

Zum Thema recherchierte Dirk Breyvogel

Die Menschen in Deutschland werden älter. Und damit steigt das statistische Risiko, an Krebs zu erkranken. Das Zentrum für Krebsregisterdaten (ZfKD) schätzt die Zahl der Neuerkrankungen auf aktuell rund 500.000, Tendenz steigend. Weltweit sind es nach Angaben der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) 18 Millionen Menschen, die die Diagnose erhalten. Frauen erkranken besonders häufig an Brust-, Männer an Prostatakrebs.

Noch vor 50 Jahren galt das oftmals als Todesurteil. Heute steigt die Chance, geheilt zu werden, dem medizinischen Fortschritt sei Dank. Neue Therapieformen, die beispielsweise bei der Behandlung gezielt auf körpereigene Kräfte setzen, sollen die Karzinome dort attackieren, wo sie entstehen: in den Zellen.

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) setzt insbesondere auf den Fortschritt bei der Immuntherapie und auf mehr Prävention. Er fordert die Bevölkerung auf, etwas zu tun, damit Krebszellen erst gar nicht entstehen. Weniger rauchen, weniger Alkohol, mehr Bewegung und eine gesündere Ernährung. Denn circa jede fünfte Krebserkrankung lasse sich darauf zurückführen, dass der Erkrankte ungesund gelebt habe. Spahn ist zuversichtlich, dass in 10 bis 20 Jahren die Volkskrankheit Krebs besiegt ist.

Seit Jahren steigt die Zahl der Krebsneuerkrankungen in Deutschland an.
Seit Jahren steigt die Zahl der Krebsneuerkrankungen in Deutschland an. © Grafik: Jürgen Runo

Manchmal bedarf es offenbar solch markanter Thesen, um Gehör zu finden. Der vom Klinikum Braunschweig am Weltkrebstag organisierte Informationstag in den Räumlichkeiten des BZV Medienhauses bewegte die Menschen, vielleicht auch, weil Spahn das Thema im Vorfeld gesetzt hatte. Circa 500 Besucher hörten sich am Montagabend Vorträge an, tauschten sich mit den Ärzten aus und ließen sich an den Informationsständen beraten. Das Klinikum seinerseits nutzte den Tag, um sich als neues „Cancer Center Braunschweig“ (CCB) vorzustellen. Professor Wolfgang Hoffmann, Leiter der Klinik für Radioonkologie und Strahlentherapie am Klinikum Braunschweig, sprach für die neue Einrichtung, die als zertifiziertes Organzentrum ein Alleinstellungsmerkmal bei der medizinischen Versorgung in unserer Region besitzt. Das Klinikum habe mittlerweile alle Kapazitäten, wie sie auch in Universitätskliniken in Deutschland vorhanden seien. Hoffmann schränkte allerdings ein, dass auf dem Feld der Transplantationsmedizin die MHH in Hannover federführend sei. Mit dieser stehe man im ständigen wissenschaftlichen Dialog. Der Radiologe forderte zur Begrüßung die Gäste auf, ihm und seinen Kollegen Fragen zu stellen. „Sie sollen hier alles fragen können, was Sie bewegt. Dafür ist dieser Tag da.“

Das taten die Menschen auch. Ein Vater erzählt sichtlich bewegt von dem Schicksal seines Sohnes, der einen Gehirntumor hat und schon mehrfach operiert wurde, ein anderer von seiner Operation in der MHH. „Ich habe Nierenkrebs, warum wurde nach meiner Operation keine anschließende Chemotherapie empfohlen?“, fragt er. Vor Ferndiagnosen hüten sich die Fachleute des Klinikums, aber aufmunternde Worte und grundlegende Einschätzungen erhalten alle, die den Mut zusammennehmen, sich zu outen.

Auch die Frage der Leserin, die vor großem Plenum von ihrer Krebserkrankung erzählt, wird beantwortet. Von Professor Jürgen Krauter von der Klinik für Hämatologie und Onkologie bekommt sie Tipps. Krauter hält einen Vortrag über „Neue Möglichkeiten der medikamentösen Tumortherapie“. Er nennt es heutzutage dringend erforderlich, sich Zweitmeinungen einzuholen. „Sie treten damit niemandem auf den Schlips“, sagt er. Auch er bekomme Patienten, die sich eine Zweitmeinung wünschen. Er sagt: „Die Ärzte in Wolfenbüttel kennen auch die neuesten Krebsstudien. Wenn es allerdings um eine Expertise bei komplizierteren Fällen oder seltenen Mutationen geht, sind Sie in zertifizierten onkologischen Krebszentren vermutlich noch besser aufgehoben.“

Das CCB ist kein Gebäude. Es ist vielmehr eine neue Organisationsform, die helfen soll, Krebspatienten auf dem Feld der klassischen Medizin ganzheitlicher zu betreuen. Dafür tauschen sich die Experten der einzelnen onkologischen und medizinischen Fachrichtungen täglich im sogenannten „Tumor-board“ über Fälle aus, die im Klinikum Braunschweig, aber nicht nur dort, auflaufen. In diesen Tumorkonferenzen gelte das Grundprinzip der Einstimmigkeit. „Therapieempfehlungen orientieren sich stets an den neusten internationalen Leitlinien. Unter den Medizinern wird immer zum Wohle des Patienten mit dem Ziel einer auf dem Patienten zugeschnittenen Therapieempfehlung entschieden. Erst in der gemeinsamen Abwägung wird die bestmögliche Behandlungs- und Heilungschance für den jeweiligen Patienten erarbeitet“, erklärt Hoffmann. Den Besuchern im BZV Medienhaus wird der Ablauf einer solchen Tumorkonferenz simuliert. Die Fälle sind brandaktuell, die Namen der Patienten anonymisiert. Es wird deutlich, dass jeder Krebspatient eine Vorgeschichte besitzt, die berücksichtigt werden muss, wenn es um richtigen Therapieansatz geht. Oft geht es darum, in welcher Reihenfolge behandelt wird. Erst Operation, dann Bestrahlung? Oder doch umgekehrt?

„Heinrich Löwe“ ist nicht mehr der Jüngste und starker Raucher. Bei ihm wurde ein Karzinom im rechten Lungenflügel festgestellt, auch Lymphknoten sind schon befallen. Das zeigt eine Computertomographie. Die Konferenz entschließt sich nach Rücksprache mit dem Patienten zu einer Operation des befallenen Lungenflügels. Da dessen Funktionsfähigkeit schon sehr in Mitleidenschaft gezogen ist, macht eine Bestrahlung im Vorfeld, um den Tumor zu verkleinern, weniger Sinn. „Das musste alles abgewägt werden“, sagt Hoffmann. Auch Fälle von Brust- oder Darmkrebs erläutern die Ärzte den Zuhörern.

Zuvor hatte der Chefarzt des Darm- und Viszeralonkologischen Zentrums im Klinikum, Professor Max Reinshagen, in seinem Vortrag deutlich gemacht, wie wichtig bei der Behandlung von Darmkrebs die Vorsorge ist. „Die Zahl der Krebsfälle ist rückläufig und geht einher mit der steigenden Zahl der Vorsorgeuntersuchung in Deutschland.“ Einer Besucherin, die wissen will, wann eine Darmspiegelung ratsam ist, antwortet Reinshagen ausführlich. „Liegen keine familiären Vorerkrankungen vor, sollten sich Männer ab 50, Frauen ab 55 Jahren untersuchen lassen. Ist die erste Untersuchung unauffällig, machen sie zehn Jahre später eine zweite. Gibt es auch dann keine Anzeichen für eine Krebserkrankung, ist es sehr unwahrscheinlich, dass sie jemals daran erkranken werden. Gehen Sie zur Vorsorge. Es tut nicht weh.“

Das Klinikum Braunschweig präsentiert sich an diesem Abend als Flaggschiff der medizinischen Versorgung. Laufen andere Städte und Kreise dadurch Gefahr, medizinisch abgehängt zu werden? Und droht Mitarbeitern am Klinikum eine Überlastung? Der Ärztliche Direktor, Dr. Thomas Bartkiewicz, sieht diese Gefahr nicht. Man sei in allen onkologischen Bereichen sehr gut aufgestellt, um die Patientenversorgung auch weiterhin zu gewährleisten, sagt er.

Jens Spahns Hoffnung auf eine schnelle Ausrottung der Krankheit widersprechen die Praktiker entschieden. Die Aussage des Ministers sei so nicht zu halten, da sie der Komplexität der Erkrankung nicht gerecht werde. „Die Fortschritte in der Krebsmedizin sind stellenweise groß. Wir behandeln immer schonender und heilen immer mehr Patienten. Allerdings ist die Vorstellung, dass wir in zehn Jahren eine Tablette haben, welche die Erkrankung besiegt, illusionär“, sagt Professor Hoffmann. Vielmehr gehe es im medizinischen Alltag darum, dem Motto des Weltkrebstages 2019 gerecht zu werden. „I am and I will – ich bin und ich werde“, so lautet es. „Der Satz beinhaltet etwas, für das es sich täglich lohne, zu arbeiten. Die Aussicht, dass man trotz Krebs ein würdevolles Leben führen kann.“