Braunschweig. . Die Braunschweigerin Renata Gröger-Kania kannte den ermordeten Bürgermeister und fordert ein Ende des Hasses in Polen.

Ich kannte Pawel Adamowicz. Er war nicht nur für mich ein ganz toller und außergewöhnlicher Mensch.

Das schreibt unsere Leserin
Renata Gröger-Kania.

Das Interview führte Stefan Simon

Vor elf Tagen wurde auf einer Benefizveranstaltung der Danziger Bürgermeister Pawel Adamowicz auf der Bühne attackiert. Ein 27-jähriger Arbeitsloser erstach Adamowicz. Dessen frühere Partei, die liberalkonservative Bürgerplattform (PO), habe ihn unschuldig ins Gefängnis geworfen und sogar gefoltert, lautete seine Begründung.

Renata Gröger-Kania, Mitglied im deutsch-polnischen Hilfsverein Poldeh in Braunschweig, kannte den populären Danziger Bürgermeister persönlich. Im Interview spricht sie über ihre Trauer sowie die politische und gesellschaftliche Lage in ihrem Heimatland.

Frau Gröger-Kania, vor elf Tagen wurde der Bürgermeister von Danzig, Pawel Adamowicz, ermordet. Sie kommen selbst aus Danzig und kannten ihn. Wie geht es ihnen heute?

Mir geht es schrecklich. Ich kann das immer noch nicht verstehen. Ich habe Adamowicz vor zwei Jahren bei einer Feier im Außenministerium in Berlin kennengelernt. Meine Freundin, mit der ich zusammen in Danzig studiert hatte, war damals, vor über 30 Jahren, eine enge Mitarbeiterin von ihm. Wir haben uns auf der Feier gut verstanden, wurden Freunde bei Facebook. Zu Weihnachten schenkte er mir sein Buch mit einer persönlichen Widmung. Er hat vieles für die Stadt und die Bürger getan, hat Kinder in Afrika unterstützt. Und so jemand musste nun sterben.

Wie hat sich seit dem Anschlag auf Pawel Adamowicz die Stimmung in Polen verändert? Und können Sie das auch bei den Polen in unserer Region beobachten?

Es gab hier leider keine Gedenkfeiern. Ich wollte eigentlich eine organisieren, aber mir geht es gesundheitlich nicht sehr gut. Letzte Woche, einen Tag vor der Beerdigung von Adamowciz, haben sich Mitglieder von „Poldeh“ getroffen und mit einer Schweigeminute an ihn gedacht.

Adamowicz stand für Weltoffenheit und Engagement. Zehntausende Menschen gedachten letzten Samstag ihres Bürgermeisters. Sie demonstrierten für politischen Anstand. Was bedeutet das für die Menschen in Danzig?

Danzig war immer eine offene und politisch engagierte Stadt. Die Solidarnosc-Bewegung hatte hier ihren Ursprung. Die Messe am vergangenen Samstag dauerte fast vier Stunden, es war sehr kalt, die Menschen standen aber trotzdem bis zum Ende dort, weil sie ihm die letzte Ehre erweisen wollten. Adamowicz wurde sechs Mal als Oberbürgermeister gewählt. Er regierte über 20 Jahre in Danzig und war bei den Bürgern sehr beliebt. Meine Freundin ist für die Beerdigung von Norwegen nach Danzig gefahren. Sie ist gebürtige Danzigerin. Das sagt doch schon alles.

Oppositionsabgeordnete werden als „Verräterfressen“ und „Kanaillen“ bezeichnet, und das vom Vorsitzender der regierenden PiS, Jaroslaw Kaczynski. Von „Totalitären“ ist die Rede, wenn es gegen liberale Kräfte geht. Könnte die Stimmung zugunsten liberaler Kräfte kippen oder droht sogar eine größere Spaltung der Gesellschaft?

Das ist schwer zu sagen, aber die Leute sind wach geworden, vor allem die Leute, die sich nicht einer Partei zu ordnen. Sie stehen jetzt hinter der Opposition.

Ein junger Mann erklärte gegenüber dem Privatsender TVN24 auf dem Warschauer Schlossplatz, dass in diesen Tagen alle solidarisch mit Danzig seien. Es hätte auch die Bürgermeister in Posen, Krakau oder Breslau treffen können. Der Hass sei überall. Das klingt sehr bedrückend.

Ja, die anderen Bürgermeister haben Angst. In einer Stadt wurde auf die Straße gesprüht: „Du bist der Nächste.“ Die oppositionellen Bürgermeister wollen nun in Schulen mit Programmen gegen diese Hass-Sprache etwas unternehmen. Nur die Regierung und ihre Sympathisanten sehen darin eine Gefahr.

In Danzig hat zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre ein angeblich „Verrückter“ einen Anschlag verübt, kein Ausländer, Immigrant oder Flüchtling, vor dem die nationalpopulistische Regierungspartei PiS immer gewarnt hat, sondern ein Pole. 2013 hatte ein bis dahin völlig unauffälliger Taxifahrer Marek Rosniak, den Assistenten eines EU-Abgeordneten, erschossen. Der Angreifer von Danzigs Bürgermeister Pawel Adamowicz war ebenfalls ein Pole. Haben beide Geschichten miteinander zu tun?

Für mich war das politischer Mord, aber die Regierung spricht von einem Verrückten. Das passt auch zur aktuellen politischen und gesellschaftlichen Lage. Die Stimmung in den letzten Jahren ist in Polen sehr schlecht geworden.

Es gibt so viel Hass. Familien, Freunde und Nachbarn sind zerstritten. So etwas gab es früher nicht. Diese Hass-Sprache ist ja auch im Parlament zu hören. Es ist fast normal geworden, aber es darf nicht normal sein. Die Witwe Adamowiczs sagte, sie empfinde keinen Hass, sie empfinde nur Schmerz und Trauer.