Braunschweig. Der Wechsel an der Spitze der Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig zeigt Juristen mit gesundem Selbstbewusstsein.

Das alte Bild von der Staatsanwaltschaft als der „Kavallerie der Justiz“ beschreibt die Gesetzeslage in Deutschland gar nicht so schlecht: Pferde liegen am Zügel, Staatsanwälte auch. Sie sind doppelt weisungsgebunden: extern an die Weisungen des Ministers, intern an die Weisungen des vorgesetzten Staatsanwalts.

Das hindert die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig aber nicht daran, ein gesundes Selbstbewusstsein zur Schau zu tragen. Der bereits Ende April vergangenen Jahres ausgeschiedene „General“ Norbert Wolf skizzierte bei seinem offiziellen Abschied am Freitag in der Dornse des Altstadtrathauses in Braunschweig gewohnt meinungsstark ein Idealbild der Justiz. Sein Nachfolger Detlev Rust erteilte einer – wenn auch nicht ganz ernst gemeinten – Forderung von Braunschweigs Oberbürgermeister Ulrich Markurth eine Absage.

Markurth verwies auf den Prozess im Abgas-Skandal gegen VW. Schauplatz ist Braunschweig, Staatsanwälte aus Braunschweig ermitteln. Der Oberbürgermeister bat um mildernde Umstände für die Stadt und VW. Schließlich ist Volkswagen einer der wichtigsten Steuerzahler der Stadt – und der gesamten Region. Rust verstand da keinen Spaß. Er verdeutlichte, dass es ausschließlich um Recht und Ordnung und nicht um Interessen jedweder Art gehen könne.

Dabei wurde Rust in fast jedem der insgesamt neun Grußworte am Freitag als „ruhig“ oder „besonnen“ beschrieben. Nur in seinem eigenen Grußwort fielen diese Attribute nicht. Er kündigte einen „Kampf um die besten Köpfe“ an, um in Verfahren wie dem Abgas-Skandal auch künftig auf Augenhöhe mit Großkanzleien und Konzernen agieren zu können.

Mehr als 130 Staatsanwälte arbeiten im Bezirk der Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig. Diese umfasst die Staatsanwaltschaften Braunschweig und Göttingen. Neben Braunschweig gibt es in Niedersachsen Generalstaatsanwaltschaften in Celle und Oldenburg.

Bei den Gehältern werden die Staatsanwaltschaften Braunschweig und Göttingen mit der freien Wirtschaft kaum mithalten können. Der Arbeitsbereich der Staatsanwälte jedoch ist spannend: Rust verwies darauf, dass sich die Staatsanwaltschaft Braunschweig auf Wirtschaftsverfahren spezialisiert hat. Bereits bei einer weiteren großen VW-Verfehlung ermittelten hiesige Staatsanwälte: dem Betriebsräte-Skandal. Mit dem Konzern handelten die Staatsanwälte jüngst die Milliardenbuße aus, die VW an das Land Niedersachsen zahlen musste.

Der neue Generalstaatsanwalt ist bereits seit mehr als drei Monaten im Amt. Er sagte: „Der Abgas-Skandal hält die Staatsanwaltschaft auf Trab.“ Vom Verfahren sei die ganze Behörde betroffen. „Wir müssen alle anderen Verfahren schließlich in gleicher Güte führen.“

Die Göttinger Staatsanwaltschaft hat sich auf die Internetkriminalität spezialisiert. „Sie hat Pionierarbeit für eine Online-Durchsuchung, den sogenannten Bundestrojaner, geleistet“, sagte Rust.

Rust tritt ein Amt mit großer Geschichte an. Der Braunschweiger Generalstaatsanwalt Fritz Bauer machte sich Anfang der 50er Jahre mit dem Remer-Prozess einen Namen. Bauer selbst vertrat die Anklage gegen den ehemaligen Generalmajor Otto Ernst Remer wegen übler Nachrede und Verunglimpfung. Der Prozess erregte in Deutschland große Aufmerksamkeit, weil darin posthum die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 legitimiert wurden. Wolf sagte am Freitag: „Fritz Bauer hat den Widerstand rehabilitiert.“

Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza (CDU), der Landesbeauftragte Matthias Wunderling-Weilbier oder Oberbürgermeister Markurth würdigten die Verdienste Wolfs. Dieser führte unter anderem die elektronische Doppelakte oder das „Braunschweiger Modell“ ein. Letzteres dient dem Ziel, Kinder, die Opfer von Übergriffen wurden, nicht dem Stress einer Vernehmung bei der Hauptverhandlung auszusetzen. Sie werden per richterlicher Videovernehmung befragt.

Wolf selbst wurde philosophisch: „Ohne Rechtsstaat ist alles nichts“, sagte er. Wie Hans-Jürgen Papier warnte Wolf vor einer Erosion des Rechtsstaats in Deutschland. Er zitierte den Ex-Präsidenten des Verfassungsgerichts aus einem Interview. Papier sagte unserer Zeitung im Oktober: „Niemand darf sich ohne Sanktionen aus der Geltung des Rechts herausschleichen. Sonst sind Gebote und Verbote nur noch etwas für die Dummen, Braven und Schwachen.“

Wolf erklärte, dass sich Staatsanwälte mit immer komplexeren Verfahren auseinandersetzen müssten. Immer neue Herausforderungen kämen auf die Staatsanwälte hinzu: vermehrt die Internetkriminalität zum Beispiel – oder die internationale Vermögensabschöpfung etwa, Stichwort Panama Papers. Wolf gab den versammelten Spitzen-Juristen aus Niedersachsen und der Republik sowie den Politikern in der Dornse noch etwas mit auf den Weg: „Wo ist das Strafrecht unerlässlich? Wo kann es zurückgenommen werden?“, fragte er. Diese Fragen gelte es zu beantworten, um die Staatsanwaltschaften zu entlasten.

Der alte, der neue Generalstaatsanwalt und der Bezirk

Norbert Wolf wurde 1953 im Kreis Holzminden geboren. Er studierte Jura in Göttingen, arbeitete zehn Jahre lang als Staatsanwalt und Richter in Hannover. Zwei Jahre lang war er im Bundesjustizministerium tätig, Schwerpunkte: Internationale Zusammenarbeit und Bekämpfung organisierter Kriminalität in Europa. Er wirkte an der Entwicklung des Europäischen Haftbefehls mit. 1993 wechselte er ins Niedersächsische Justizministerium, bis 2004 leitete er die dortige Strafrechtsabteilung. Von 2004 bis April 2018 leitete er die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig.

Detlev Rust ist seit September 2018 der neue Generalstaatsanwalt. Geboren wurde er in Wolfenbüttel. Rust studierte in Göttingen, er trat 1991 als Richter in die niedersächsische Justiz ein. Nach Stationen bei Amtsgerichten und beim Landgericht Braunschweig sowie einer Abordnung an das Niedersächsische Justizministerium wurde er 2006 Direktor des Amtsgerichts Goslar, 2011 Vizepräsident des Landgerichts Braunschweig und 2014 Präsident des Amtsgerichts Braunschweig. 2016 übernahm er als Ministerialdirigent im Justizministerium eine Schlüsselposition für Organisation und Finanzen der niedersächsischen Justiz. Nun ist er zurück in Braunschweig.

Der Bezirk der Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig umfasst mit den Staatsanwaltschaften Braunschweig und Göttingen das Gebiet von Wolfsburg bis Hann. Münden, in dem 1,5 Millionen Einwohner leben. 384 Beschäftigte zählt die Generalstaatsanwaltschaft, darunter 157 Staatsanwälte und Amtsanwälte. Jährlich gibt es 85.000 Ermittlungsverfahren gegen bekannte Beschuldigte, 50.000 Verfahren gegen unbekannte Täter und 22.000 Vollstreckungsverfahren