Braunschweig. Der Wirtschaftsjurist Winfried Huck hält ein zweites Referendum für möglich – und glaubt an die Wiederwahl Trumps.

Im März steht der Austritt der Briten aus der EU an. Doch wird der Brexit ohne Abkommen stattfinden? Winfried Huck, Professor für internationales und europäisches Wirtschaftsrecht an der Brunswick European Law School der Ostfalia-Hochschule, hält diese Variante bloß für ein „theoretisches Konstrukt“. Im Interview mit Hannah Schmitz gibt er zudem einen Ausblick auf die Entwicklung der globalen Handelskonflikte, des Aktienmarktes und auf die Klimapolitik.

Herr Huck, der Brexit steht im März an. Ob die Briten die EU verlassen und ob sie im Chaos gehen oder geordnet, das wissen wir heute noch nicht. Was glauben Sie?

Ein ungeordneter Brexit ohne Abkommen würde wirklich jenseits der politischen Vernunft liegen. Ich glaube, dass in Brüssel Variationen von Verträgen als Entwürfe vorliegen, um einen ungeordneten Brexit oder den Exit vom Brexit im März irgendwie zu regeln. Ich halte den absolut ungeordneten, den harten Brexit für ein theoretisches Konstrukt. Im Moment ist ein zweites Referendum wahrscheinlicher.

Unser Leser Karl-Hans Weber aus Braunschweig möchte wissen, welche belastbaren Ergebnisse die bisherigen Brexit-Verhandlungen gebracht haben und wo das Vereinigte Königreich und die EU am weitesten auseinander liegen?

Bisher gibt es keine belastbaren Ergebnisse, weil das Austrittsabkommen noch nicht unterzeichnet wurde. Weit auseinander liegen EU und UK aber bei vielen Fragen, zum Beispiel der Einwanderung über den Binnenmarkt. Die Briten sind dagegen, weil sie aus Osteuropa keine Arbeitsmigranten möchten.

Die Niederlassungsfreiheit für Unternehmen hätten sie hingegen gerne behalten, die EU verwehrt ihnen das aber. Auch der freie Waren-, Dienstleistungs- und Finanzverkehr sollte nach Meinung der Briten bestehen bleiben. Damit würden sie enorm von den ökonomischen Vorteilen des EU-Binnenmarkts profitieren. Brüssel hat aber auch das abgelehnt.

Wie verhält es sich mit den Folgen des Brexits beim Recht?

Das Vereinigte Königreich und Europa haben eine andere Rechtsgeschichte. Während die Identität der Menschen auf dem EU-Festland von kontinental geschriebenem Recht beeinflusst wird, hat sich auf der britischen Insel seit 1066 das Common-Law-System entwickelt. Premierministerin Theresa May hat immer wieder darauf hingewiesen, dass Großbritannien seine eigenen Gesetze und deren Auslegung zurückhaben und sich von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs lösen will. „Take back control“ ist das Stichwort.

Was unterscheidet das kontinentale vom britischen Recht?

Es gibt bestimmte Ausprägungen des Rechts, die in einer Gesellschaft identitätsstiftend wirken. In Deutschland ist etwa „Treu und Glauben“ ein elementares Konzept. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Verbraucherschutz beruht darauf. Die Grundidee ist dabei ein ausgeglichener Wettbewerb und ein Vertrag, durch den letztlich der Schwächere geschützt wird. Dieses Konzept teilen wir mit anderen kontinentalen Staaten. In Großbritannien hingegen gibt es sozusagen auch das Recht auf einen unvorteilhaften Vertrag, nach dem Motto: Wir werden dich von deiner Freiheit, dich unvernünftig zu entscheiden, nicht abbringen. Ihr Begriff von Freiheit ist größer.

Die Industrie- und Handelskammern versuchen ihre Mitglieder auf den Brexit vorzubereiten. Der britischen Wirtschaft wird der Austritt aus der EU aber größere Schäden bereiten als der deutschen, oder?

Deutschland ist in einem stärkeren Ausmaß mit UK verflochten, als umgekehrt. Trotzdem könnte der Schaden für die Briten größer sein. Die Güterexporte aus Deutschland hatten 2016 ein Volumen von 86 Milliarden Euro, das sind 2,6 Prozent des Bruttoinland-Produkts. Ein ungeordneter Brexit würde zu negativen Wachstumseffekten führen. Unternehmen müssten ihre Wertschöpfungsketten und Prozesse anders organisieren und sich neu anpassen. Am stärksten betroffen wären wohl die Pharma-, Kfz- und Maschinenbaubranche. Für Großbritannien bedeutet ein ungeordneter Brexit einen tiefgreifenderen Nachteil. Sie müssen ihre Wirtschaft dann quasi neu formatieren. Das Königreich hat noch keinen einzigen Handelspartner, die EU hingegen zirka 70 moderne Freihandelsverträge.

US-Präsident Donald Trump verhängte 2018 Zölle auf chinesische Importe, auf Stahl und droht seit geraumer Zeit damit, auf deutsche Autos Strafzölle zu erheben. Unser Leser Gert Thiele fragt, ob die USA durch Letzteres nicht selbst einen wirtschaftlichen Schaden erleiden und Deutschland gleiches entgegensetzen würde?

Dazu gibt es unterschiedliche Szenarien – Trumps Strafzölle könnten der US-amerikanischen Wirtschaft Vorteile oder Nachteile einbringen oder sogar auf ein Nullsummenspiel hinauslaufen. Bei letzterem etwa würden zum Beispiel deutsche Autobauer die Strafzölle an ihre Kunden in den USA weitergeben. Bei Kunden von Porsche oder Daimler kommt es ja meist nicht auf ökonomische Gesichtspunkte an. Die deutschen exportierenden Unternehmen hätten also keinen Schaden, die USA aber Mehreinnahmen durch den Strafzoll. Wenn US-amerikanische Autobauer hochwertige Pkw im Vergleich günstiger anbieten, werden deutschen Fahrzeuge nicht gekauft und die US-Wirtschaft gestärkt. Nachteile erlebt sie hingegen, wenn die Industrie, zum Beispiel General Motors, auf die Einfuhr von chinesischen Produkten, wie zum Beispiel Stahl, angewiesen ist. Dadurch verteuert sich der Einkauf und am Ende auch das Auto auf dem US-Markt und der Preis im Export.

Deutschland ist an die EU und ihre Abkommen gebunden. Die EU und die USA verhandeln bereits über ein transatlantisches Abkommen und damit an einer TTIP-ähnlichen Lösung.

Die Welthandelsorganisation WTO gibt seit 1947 die Regeln für den weltweiten Handel vor. Sie ist außerdem ein wichtiges Instrument, um Zollkonflikte beizulegen. Die USA unter Trump sägen nun an einem Grundpfeiler, dem Streitschlichtungsverfahren. Wird die WTO an Bedeutung verlieren?

Die USA weigern sich, Richter für das siebenköpfige WTO-Schlichtungsgremium, den Appellate Body, zu benennen. Dieses Gremium untersucht etwa, ob die Erhebung neuer Zölle mit dem WTO-Recht im Einklang steht. Einige Richter des Schlichtungsgremiums scheiden 2019 altersbedingt aus, durch die Blockade der USA bei der Wiederbesetzung ist es damit lahmgelegt. Die USA legen hier die Axt an.

Allerdings ist die Kritik an der WTO schon älter als Trump. Schon vor zehn Jahren forderten WTO-Mitgliedsstaaten mehr Effizienz in der Streitbeilegung. Die WTO arbeitet inzwischen an einer Reform ihres eigenen Hauses, die auch von den G20-Staaten gefordert wird. Ich glaube, die Intervention der USA wird dazu führen, dass die WTO paradoxerweise am Ende stärker sein wird als zuvor.

Sie können Trumps Handelspolitik also Gutes abgewinnen?

Sie ist jedenfalls schwer zu kritisieren. Die USA erleben gerade einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung. Davon träumen wir. Trump schaut einfach, ob ein multilaterales Abkommen gut oder schlecht für die USA ist. Wenn es schlecht ist, kündigt er es auf und startet bilaterale Gespräche. Trump definiert politische Verantwortung anders, nämlich: Der Welt geht es dann am besten und sie ist dann am sichersten, wenn die Vereinigten Staaten die stärkste Macht bleiben.

Wird Trump auch im neuen Jahr um Handelsvorteile kämpfen? Und wenn ja, welche weiteren Maßnahmen wird er ergreifen?

Das wird er. Die Maßnahmen werden sich weiter gegen China, die EU und vielleicht auch Russland richten. Das Hauptziel ist aber China – mit einem Handelsbilanzdefizit gegenüber den USA von rund 250 Milliarden Dollar, also etwa 220 Milliarden Euro. Es geht dabei nicht nur um die Wirtschaftspolitik, sondern um die Frage, wer die Nummer Eins ist auf der Welt. Die will Trump für sich beanspruchen und wird China deswegen weiter schwächen, zum Beispiel durch die Einführung neuer Zölle auf chinesische Produkte oder die Beschränkung von chinesischen Investitionen in US-amerikanische High-Tech-Firmen.

Wird Trump 2020 wiedergewählt?

Davon gehe ich aus. Vorausgesetzt, er tritt mit zirka 75 Jahren noch einmal an. Er setzt China jetzt, in der ersten Hälfte seiner Amtszeit, unter Druck. Zum Ende seiner Amtszeit steht vermutlich die Versöhnung mit China, also ein Abkommen. Das deutet sich jetzt schon an. Das wird auch die Aktienkurse nach oben treiben. Und wer wird dann gewählt? Trump natürlich.

Trotz Handelskonflikt und Dieselkrise brummte die Konjunktur in Deutschland, die Arbeitsmarktzahlen waren rekordverdächtig. Erst gegen Jahresende zeichnete sich ein Dämpfer ab. Unser Leser Jürgen Böttger fragt, wie sich angesichts der schwächelnden Wirtschaftsaussichten der Zins- und Aktienmarkt verhalten wird?

Branchenkenner erwarten ein eher schwieriges Jahr an der Börse mit einer moderaten Aufwärts- oder Seitbewegung. Allerdings werden Investitionen in Unternehmen, die mit Rohstoffen für die Digitalisierung und Elektro-Mobilität handeln, in 2019 interessant. US-Werte scheinen ebenfalls vielversprechend. Vieles wird aber davon abhängen, wie sich der Handelsstreit zwischen den USA und China entwickelt.

Wegen der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) verlieren Sparer seit Jahren Geld. Die EZB wird ihre expansive Geldpolitik 2019 reduzieren und den Leitzins in der zweiten Jahreshälfte auf 0,10 bis 0,25 Prozent anheben. Gegenüber dem Sparbuch ist es für den Privatmann sicher eine bessere Alternative, mit Klugheit und Vorsicht Aktien zu erwerben.

Einer Ihrer Forschungsschwerpunkte sind die Ziele der Vereinten Nationen zur Nachhaltigen Entwicklung. Dabei geht es auch darum, den Klimawandel zu begrenzen. Trotz Dürre hat man bisher den Eindruck, dass der Klimaschutz ziemlich weit unten auf der politischen Agenda steht. Wird sich das 2019 ändern?

Die Klimapolitik in Deutschland ist zu mutlos, zu stark bestimmt durch die Wirtschaft und von falschen Weichenstellungen. Die Kohlekommission hat im November keinen Bericht vorlegen können, die Erneuerbaren Energien dümpeln vor sich hin. Dabei hätte der Ausstieg aus der Atomenergie eine wirkliche Chance sein können. Stattdessen verabschiedete sich Deutschland von seinen Klimazielen für 2020. Auch in 2019 wird die Große Koalition nicht die Kraft aufbringen, Klimaziele gesetzlich festzulegen. Daran wird auch auf der UN-Klimakonferenz in Kattowitz beschlossene Regelbuch nichts ändern.

Die Dürre hat gezeigt, dass die Wasserversorgung künftig ein Problem werden kann. Aber auch die Reduktion des Insektenbestands um 75 Prozent, den Wissenschaftler in diesem Jahr festgestellt haben, ist besorgniserregend. Das ist eine Auslöschung von Tieren in einem Ausmaß, das wirklich ängstigen kann.

Was wir brauchen, sind gesetzlich fixierte Klimaziele. Aber nicht dogmatisch, sondern kreativ: die Innovationskraft und Leistungsfähigkeit der Wirtschaft müssen mit der Einhaltung von Klimazielen clever verbunden werden.