Braunschweig. Der Grund: Viele Autofahrer bilden keine Rettungsgasse.

Die Strafen müssten härter sein. Wenn man Platz macht, ist das okay. Aber wenn man gar kein Platz macht? Es geht sehr oft um Menschenleben und dabei reicht meiner Meinung nach ein Fahrverbot nicht aus.

Das schreibt Melvin Wiesner auf unseren Facebook-Seiten

Zu dem Thema recherchierte Dirk Breyvogel

Wer als Autofahrer eine Rettungsgasse bilden muss, muss seine eigenen Interessen und eigenes Fortkommen für einen Moment zurückstellen. Dass diese gebotene Rücksicht nur selten funktioniert, belegen neue Zahlen des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Deutschland. Bei etwa 80 Prozent aller ausgewerteten DRK-Einsätze wurde den Rettern der Weg durch andere Verkehrsteilnehmer blockiert, so dass diese durchschnittlich bis zu fünf Minuten verloren, um am Unfallort einzutreffen.

Dabei ist die Rechtslage eindeutig: Im Paragraf 11, Absatz 2 der Straßenverkehrsordnung heißt es: „Eine freie Gasse muss gebildet werden, schon wenn Fahrzeuge auf Autobahnen sowie auf Außerortsstraßen mit mindestens zwei Fahrstreifen für eine Richtung mit Schrittgeschwindigkeit fahren oder sich die Fahrzeuge im Stillstand befinden.“ An der Untersuchung des DRK nahmen 96 Einsatzteams aus Baden-Württemberg, Bayern, dem Saarland, Berlin, Sachsen und Niedersachsen teil. Teams aus der Region waren nach Informationen unserer Zeitung nicht dabei.

Gerda Hasselfeldt, ehemalige CSU-Landesgruppenchefin im Bundestag und heute DRK-Präsidentin, sprach gegenüber der „Osnabrücker Zeitung“ von „erschreckenden Ergebnissen“. Wenn es um Menschenleben gehe, zähle jede Sekunde, so Hasselfeldt. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) kündigte nach der Veröffentlichung der Zahlen an, prüfen zu wollen, die Bußgelder für das Nichtbilden einer Rettungsgasse und das bewusste Blockieren von Einsatzfahrzeugen im Straßenverkehr noch einmal zu erhöhen. Seit Oktober 2017 sieht eine neue Gesetzesverordnung vor, renitente Fahrzeughalter mit maximal 320 Euro, zwei Punkten in Flensburg und einem Monat Fahrverbot zu belegen.

Europaweit gilt das Strafmaß aber noch als milde. So müssen Autofahrer in Österreich bei ähnlichen Vergehen mit Geldstrafen von mehr als 2100 Euro rechnen. Eine Strafe, die wohl auch unser Leser für angemessen hält. In Deutschland wird bei der Ermittlung des Strafmaßes unterschieden. Es gibt unterschiedliche Härtefälle. Es gibt die, die der Aufforderung nicht eine Folge leisten, eine Rettungsgasse zu bilden. Schwerwiegender ist das Vergehen, wenn zusätzlich Einsatzfahrzeuge behindert, gefährdet oder im schlimmsten Fall in einen Unfall im Einsatz verwickelt werden. Dann greift das Strafhöchstmaß.

Carolin Scherf, Pressesprecherin der Polizeiinspektion (PI) Braunschweig, arbeitete zuletzt ein Jahr bei der Autobahnpolizei. Sie sagt: „Fast jede Anfahrt zu einem Unfall auf der Autobahn ist mit Schwierigkeiten verbunden.“ Sie spricht von einem rücksichtslosen Verhalten vieler Verkehrsteilnehmer und verweist auf die hohe Anzahl von Lastkraftwagen. Das erschwere die Situation, wenn es darum gehe, Platz für Polizei, Krankenwagen oder Feuerwehrfahrzeuge zu machen. „Es gibt weiterhin eine große Unkenntnis darüber, wie ich mich bei der Bildung einer Rettungsgasse richtig verhalte.“ Das größte Problem sei laut Scherf, dass oftmals nicht vorausschauend genug gefahren werde. „Wenn ich bis auf wenige Zentimeter im Stau auf den Vordermann auffahre, fehlt gerade den LKW der Platz für das Rangieren, das bei der Bildung einer Rettungsgasse notwendig ist“, sagt die Sprecherin. Dieses Mitdenken müsse schon dann einsetzen, wenn sich ein Rückstau am Horizont abzeichne.

Daniel Schulte, Bereichsleiter Bevölkerungsschutz des DRK-Landesverbandes Niedersachsen, macht zunehmenden Egoismus der Autofahrer und Respektlosigkeit gegenüber Helfern als Hauptgrund dafür aus, dass sich die Anfahrt zum Einsatzort verzögert und Schwerverletzte erst später versorgt werden können. „Es gibt Menschen, die glauben, für sie würde rechts und links zur Seite gefahren und eine Gasse gebildet“, sagt Schulte, der selbst Einsätze fährt. Dabei sei es fast egal, ob hinter ihnen das Martinshorn oder die Polizeisirene ertöne. „Es gibt auch keinen Autofahrer-Typus, der öfter den Weg versperrt als ein anderer. Da ticken Polo- und Tesla-Fahrer ähnlich.“

Eine besondere Schwierigkeit stellten aktuell in ganz Niedersachsen die vielen Baustellen auf Autobahnen dar. „Hier ist noch weniger Platz, hier muss noch rücksichtsvoller gefahren werden. Mir ist manchmal lieber, dass ein Verkehrsteilnehmer vor mir herfährt, als das er in der Baustelle an ungeeigneten Stellen Platz macht und für einen Stau sorgt.“ Ist der Verkehr in Baustellen schon zum Erliegen gekommen, verschärft sich für die Einsatzkräfte die Situation nochmals. Schulte erzählt von Fällen, bei denen Ersthelfern nichts anderes übrig blieb, als die medizinischen Geräte auf die Trage zu legen und sich zu Fuß zur Unfallstelle aufzumachen. „Manchmal mussten sie fünf, sechs Kilometer zu den Verletzten laufen.“

Für Polizeioberkommissarin Scherf muss die Aufklärungsarbeit weitergehen. Ob höhere Strafen helfen, könne sie nicht beurteilen. Oft fehle allerdings bei der Polizei das Personal, um in der Hektik Blockierer aufzuschreiben.