Hannover. Erzeuger, Handel und Agrarministerin ringen um Alternativen. Möglich wären Impfungen oder die Schlachtung der Jung-Eber vor der Geschlechtsreife.

Würden wir Verbraucher den Verzehr von Schweinefleisch boykottieren, hätten wir vielleicht eine Möglichkeit, Druck auszuüben, damit das Gesetz geändert wird.

Das meint unsere Leserin Conny Brohme aus Adenbüttel.

Das Thema recherchierte Peter Mlodoch

. Es geht um die drei „K-Fragen“. Niedersachsens Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) hat für diesen Montag zum Schweine-Gipfel in ihren Amtssitz geladen. Die Branche soll Lösungen für ihre drei Hauptprobleme diskutieren: Kastenstand, Kupieren und Kastrieren. Also Perspektiven und Alternativen für Haltungsbedingungen von Sauen, Abschneiden der Ringelschwänze und insbesondere für das Unfruchtbarmachen von männlichen Ferkeln aufzeigen. Neben Mästern und Schlachtbetrieben sitzt auch der Handel mit am Tisch. Gerade den großen Supermarktketten, die zwischen ertragsorientierten Bauern und ihren in Bezug auf Qualität und Tierwohl immer kritischeren Kunden stehen, kommt eine Schlüsselrolle zu – so wie unsere Leserin bereits vermutet.

In der Nacht zum Dienstag hatten die Spitzen von CDU, CSU und SPD in Berlin nicht nur ihren Diesel-Kompromiss geschmiedet, sondern sich so nebenbei auch für eine Verschiebung des Verbots der betäubungslosen Kastration von männlichen Ferkeln um weitere zwei Jahre ausgesprochen. Ab 1. Januar 2019 – nach einer im Tierschutzgesetz von 2013 festgeschrieben sechsjährigen Übergangszeit – sollte das schmerzhafte Abknipsen der Hoden eigentlich tabu sein. Dieser blutige Eingriff wenige Tage nach der Geburt verhindert den strengen Beigeschmack des späteren Eber-Fleisches. Doch Agrarlobby und Fleischindustrie beklagten hohe Kosten im Falle des Ausstiegs und drohten mit Abwanderung. Also konterkarierte die Große Koalition den Bundesrat, der erst kurz zuvor mehrheitlich das Verbot bekräftigt hatte. Die Grünen sprachen von einem „schmutzigen Deal zulasten des Tierschutzes“; das niedersächsische Landvolk jubelte dagegen: „Das ist endlich ein positives Signal für Sauenhalter.“

Dabei sind die großen Supermarktketten schon viel weiter „Wir handeln seit dem 1. Januar 2017 kein Schweinefrischfleisch von kastrierten Tieren“, heißt es in den Richtlinien der „Nationalen Tierwohl-Einkaufspolitik“ des Lebensmittelkonzerns Aldi-Nord. „Die aktuell zur Verfügung stehenden Alternativen wie die Ebermast oder die Impfung zur vorübergehenden Unterdrückung des Ebergeruchs werden akzeptiert.“ Allerdings, so das Unternehmen, spiele diese „Immunokastration“ auf dem deutschen Markt eine nur geringe Rolle.

In Belgien dagegen wird inzwischen mehr als ein Drittel der Eber per Impfung entmannt, in Australien und Brasilien sogar gut 50 Prozent. Die Ferkel bekommen im Abstand von vier Wochen zwei Spitzen mit einem Wirkstoff, der die Bildung von männlichen Geschlechtshormonen hemmt. Die Immunokastration ist preiswert, da die Mäster sie selber vornehmen können. Obwohl das Impfmittel nach Angaben des Herstellers keine Rückstände in Wurst und Schnitzel hinterlässt, gibt es bei Verarbeitern und Verbrauchern große Vorbehalte.

Bei der vor allem in Spanien und Irland praktizierten Jung-Eber-Mast bleiben die Tiere von einem chirurgischen Eingriff verschont, sie werden vor Eintritt der Geschlechtsreife geschlachtet. Allerdings erreichen die Jungtiere nicht mehr das in Deutschland übliche Schlachtgewicht, die Erlöse der Mäster fallen deutlich geringer aus.

Höchst umstritten ist die insbesondere in den Niederlanden praktizierte Kastration unter Inhalationsnarkose. Zusätzlich bekommen sie ein Schmerzmittel. Das alles darf in Deutschland nur ein Tierarzt durchführen, Apparatur und Anästhetikum sind teuer, die Ferkel leiden nach Angaben von Tierschützern trotzdem.

Bleibt also noch der vor allem von Niedersachsen ins Gespräch gebrachte „vierte Weg“. Hier werden kleine Eber bis zum Alter von acht Tagen unter lokaler Betäubung kastriert. In Dänemark ist das ganz und gäbe, die Züchter dort dürfen selbst die Spritze in die Hoden ihrer Ferkel setzen. In Deutschland ist das bislang ausschließlich den Tierärzten vorbehalten. Vor einer flächendeckenden Einführung will Agrarministerin Otte-Kinast die Methode näher erforschen lassen.