Wolfsburg. Seit April ist Gunnar Kilian VW-Personalvorstand. Im Interview spricht er über die Notwendigkeit von Veränderungen.

Die VW-interne Personalrochade im Vorstand nutzte der Aufsichtsrat des Autobauers im zurückliegenden April auch zur Neubesetzung des Personalressorts. Als neuer Personalvorstand berufen wurde Gunnar Kilian, bis dahin Generalsekretär des Betriebsrats. In dieser Funktion agierte er vor allem im Hintergrund und war der engste Vertraute von Betriebsratschef Bernd Osterloh. Im Interview mit Armin Maus und Andreas Schweiger erläutert Kilian, wie er sein Ressort neu aufstellt, wie er die Transformation zur Digitalisierung gestaltet und welche Rolle er beim Kulturwandel einnehmen will.

Herr Kilian, wie fühlt sich Ihre neue Position an?

Ich bin mir der großen Verantwortung bewusst, die mit meiner neuen Funktion verbunden ist. In der gegenwärtigen Phase, in der wir die Dieselkrise aufarbeiten, ist sie besonders groß, und ich möchte ihr bestmöglich gerecht werden. Für unser Unternehmen, für seine mehr als 650 000 Menschen, für unsere Standortregionen hier in Niedersachsen und weltweit. Aber die Aufgabe ist nicht nur groß, sie ist oft auch großartig. Ich habe ein hochqualifiziertes Team hier im Personalressort, Volkswagen hat engagierte, veränderungsbereite Menschen, die zusammenhalten, sich um Schwächere kümmern. Ich bin stolz darauf, hier zu arbeiten und die Zukunft mitzugestalten.

Es war anfangs der Vorwurf zu hören, dass Betriebsratschef Bernd Osterloh nun mit Ihnen seinen engsten Vertrauten auf die Position des Personalvorstands schickt. Hat Sie das genervt?

Nein. Es ist doch legitim, dass Entscheidungen im Unternehmen kritisch hinterfragt werden. Ich hoffe aber, dass ich an dem gemessen werde, was ich für das Unternehmen und seine Menschen bewege.

Mit welchem Selbstverständnis arbeiten Sie in Ihrer neuen Funktion als Personalvorstand?

Volkswagen steht vor enormen technologischen und unternehmerischen Veränderungen. Wir müssen unsere Wettbewerbsfähigkeit auf ganz neuen Feldern unter Beweis stellen. Zugleich steht Volkswagen für gelebte Verantwortung für seine Mitarbeiter, für seine mehr als 120 Standorte weltweit. Und wir haben engagierte und veränderungsbereite Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Genau das werden wir in den kommenden Jahren auch brauchen: ein Höchstmaß an Flexibilität und Leistungsbereitschaft. Dafür entwickeln wir auch das Personalwesen weiter.

Was meinen Sie konkret?

Personalarbeit ist wichtiger als je zuvor, denn in Zeiten der Transformation geht es nicht nur um die besten Technologien, sondern auch um die Menschen, die sie umsetzen und die sie betrifft. Unsere Beschäftigten müssen bestmöglich eingesetzt werden, sie müssen ihre Potenziale zügig entwickeln und ihre Kompetenzen optimal einbringen können. Das ist gut für sie und gut für Volkswagen. Es zählt zu den Kernaufgaben des Personalressorts, das sicherzustellen. Uns geht es darum, Volkswagen konkurrenzfähig und zukunftsfest zu machen. Deshalb werden wir im Personalressort einiges neu strukturieren. Wir stellen uns dort stärker auf, wo wir nicht stark genug sind, und wir reduzieren unseren Aufwand dort, wo er nicht mehr zeitgemäß ist.

Wie gehen Sie dabei vor?

Zum Beispiel habe ich direkt nach Amtsantritt einen Innovationsbereich etabliert, der direkt an mich angebunden ist. Dort arbeiten echte Tech-Freaks an Zukunftskonzepten für unser Ressort. Denn nur, wenn wir selbst digital denken, können wir künftig im Wettbewerb um die klügsten Köpfe punkten.

Für welche Standorte finden Sie am leichtesten Personal? Barcelona, Berlin oder Wolfsburg?

Volkswagen hat als Arbeitgeber hohe Anziehungskraft. Und jeder Standort hat seine Vorzüge. Die müssen wir stärker herausstellen. Wenn es beispielsweise jungen Familien um die Schulen oder die Betreuung ihrer Kinder geht, können Wolfsburg, Braunschweig und Salzgitter hervorragend punkten. Und wer die Region erst einmal kennt, weiß auch, dass sie hohe Lebensqualität bietet. Ich jedenfalls wohne sehr gerne hier und freue mich, dass meine Kinder hier aufwachsen.

Sie sprachen vom Wettbewerb um die klügsten Köpfe. Muss sich der Mittelstand nun noch mehr Sorgen machen, Fachkräfte zu finden?

Alle müssen sich anstrengen — Großunternehmen ebenso wie der Mittelstand. Unser aktueller Engpass liegt sicherlich im Bereich digitaler Fachkräfte. Deshalb fördern und entwickeln wir Digitalkompetenzen massiv. Ich bin sehr zuversichtlich: Schon bald ist jeder neue Volkswagen Teil eines digitalen Ökosystems, wir wandeln uns zügig vom Automobilhersteller zum Mobilitätsanbieter mit vernetzter Fahrzeugflotte. Für Digitalexperten, Informatiker, Software-Entwickler, Cloud-Architekten, KI-Experten heißt das: Volkswagen bietet ihnen schon heute eine Vielfalt an spannenden Aufgaben, die sie anderswo nur selten finden.

Was haben Sie nach Ihrem Wechsel in den Vorstand im April zuerst getan?

Wir haben uns intensiv mit dem Zustand des Personalressorts befasst und viele Mitarbeiter beteiligt. Mit fast 100 Kolleginnen und Kollegen aller Hierarchiestufen haben wir drei Wochen lang an Zukunftskonzepten für die Personalarbeit gearbeitet. Die Gruppe nannte sich ‚HR-Querdenkerfabrik‘ und zog kurzerhand in eine leere Halle im Werk Wolfsburg. Ich war dort so oft wie möglich zu Gast und habe zugehört. Dabei wurde mir schnell klar: Die Mitarbeiter im Ressort sehnen sich nach Veränderung. Sie wollen mehr gestalten und weniger verwalten. Die Erkenntnisse der Querdenkerfabrik sind in mein 100-Tage-Programm eingeflossen, das noch bis Ende September läuft.

Was beinhaltet das Programm?

Wir verbessern Dinge im Bestand, und wir legen Grundsteine für größere Zukunftsprojekte. Zum Beispiel wurde das Konzept für ein zentrales Recruiting-Center entwickelt, außerdem schaffen wir das vorgedruckte Briefpapier ab und streichen überflüssige Formulare. Viele dieser Ideen kommen aus der Mitte der Organisation, und wir bearbeiten sie ganz ‚hands on‘: Jeden Mittwoch um 7.30 Uhr sitzen wir zusammen, prüfen neue Vorschläge und entscheiden. Ich sage Ihnen, das läuft gut!

Macht das die Arbeit des Personalressorts wirklich besser?

Ja. Wir geben damit Ressourcen für wichtige Aufgaben frei, die sich durch den Wandel von Volkswagen für uns Personaler ergeben. Die Leistungsfähigkeit des Personalbereichs soll wachsen, ohne dass die Zahl der Köpfe im Ressort wächst. Dafür müssen wir einiges anders machen als früher.

Welche Rolle spielt der Kulturwandel, den sich VW verordnet hat, für Sie?

Er spielt eine zentrale Rolle. Die Unternehmenskultur ist kein „weiches“ Thema, sondern wesentlicher Faktor für Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens. Klar ist: Wir wollen eine offene, innovationsorientierte Kultur, den Abbau von Bürokratie und Hierarchie sowie die klare und sichtbare Ahndung von Compliance-Verstößen. Dafür brauchen wir mehr Diversität, mehr Eigenverantwortung, mehr unternehmerisches Denken, höhere Geschwindigkeit und mehr Zusammenarbeit. Wir müssen alle Register ziehen, um ganzheitliche Veränderungen zu erreichen.

Welche Rolle hat dabei das Personalressort?

Es ist oft der Ideengeber und trägt die Unternehmenswerte durch viele Veranstaltungen in die Organisation. Und wir kümmern uns konkret um Veränderungsprozesse – zum Beispiel mit „New Workplaces“, einem großen Projekt zur Büroraumgestaltung der Zukunft. Klar ist aber auch, dass der Kulturwandel Aufgabe aller ist.

Werden Sie dabei vom übrigen Vorstand ausreichend unterstützt?

Ja, das Thema ist überall angekommen und verstanden worden. Veränderungen werden zügig und entschlossen angegangen.

Wie passt es zum Kulturwandel, dass einige Beteiligte am Abgasbetrug von VW offenbar Abfindungen erhalten, anderen dagegen gekündigt wird?

Bei der Volkswagen AG folgt nun die disziplinarische Ahndung von Fehlverhalten, nachdem Einsicht in die staatsanwaltlichen Ermittlungsakten gewährt wurde. Generell ahnden wir Regelverstöße konsequent und der jeweiligen Verantwortlichkeit oder Pflichtverletzung angemessen. Das können dann auch Kündigungen sein.

Als Generalsekretär des Betriebsrats waren Sie maßgeblich an der Entwicklung des „Zukunftspakts“ für die Marke VW beteiligt. Wie bewerten Sie ihn als Personalvorstand?

Der Zukunftspakt hat bereits gute Ergebnisse gebracht. Die operative Rendite der Marke hat sich im ersten Halbjahr auf fünf Prozent vor Sondereinflüssen verbessert. Wir haben mehr als 9300 Altersteilzeitverträge abgeschlossen und damit das Ziel erreicht. Zeitgleich haben wir in den vergangenen 18 Monaten rund 1500 Zukunftsarbeitsplätze aufgebaut. Das alles verdient ein großes Kompliment an Management und Betriebsrat. Aber wir müssen uns weiterhin anstrengen, denn die Marke Volkswagen darf nicht nachlassen, ihre Rendite zu verbessern, sonst bestehen wir nicht im Wettbewerb. Deshalb müssen wir bis 2020 die Ziele des Zukunftspaktes weiter stringent verfolgen. Und wir müssen darüber hinaus als Management konsequent Effizienzpotenziale nutzen.

Stichwort WLTP-Umstellung: Rechnen Sie wegen der anstehenden Schließtage, also der Produktionsunterbrechung, mit einem Personalabbau?

Nein. Auch wenn die Situation herausfordernd ist.

Das gilt insbesondere für das Werk Emden.

Die Situation im Emden, wo wir den Passat fertigen, hat nichts mit WLTP zu tun. Die Schließtage dort sind marktbedingt. Es klingt paradox: Der Passat hat einen hohen Marktanteil in seiner Klasse und hat ihn sogar noch verbessert. Ein exzellentes Fahrzeug. Aber insgesamt schrumpft das Segment, der gesamte Kuchen wird also kleiner. Wir sprechen mit dem Betriebsrat über die Situation. Entscheidungen sind aber noch nicht getroffen.

Eine große Baustelle wird in den nächsten Jahren das Werk Zwickau sein, das für die Produktion der neuen Elektro-Fahrzeuge umgebaut wird. Sehen Sie die anstehenden Herausforderungen dort mit Sorge?

Nein. Dennoch ist der Umbau in Zwickau ein enormer Kraftakt. Dort muss die Produktion von Modellen mit Verbrennungsmotor zurückgefahren und zugleich die neue Produktion aufgebaut werden. Zwickau ist der erste Standort, der komplett umgebaut wird. Wir werden dabei viel lernen.

Und solche Themen sind Aufgabe des Personalvorstands?

Genau solche Umbauprojekte sind es ja, mit denen wir die Transformation von Volkswagen bewerkstelligen müssen. Da darf die Personalfunktion nicht fehlen. Wir werden hier grundlegende Fragen beantworten müssen: Wie nutzen wir die Umbauzeit sinnvoll für die Beschäftigten? Welche Flexibilitätsmaßnahmen haben wir? Wie bauen wir die erforderlichen Kompetenzen passgenau und effizient auf? Was sind Zukunftsberufe? Zur Lösung brauchen wir zusätzliche Ressourcen in unserer Organisation. Diese freizuspielen, ist meine Hauptaufgabe der kommenden Monate.