Wolfenbüttel. Nach jahrelangem Streit mit Vertretern des CDU-Landesverbands Braunschweig ist Wolfenbüttels Bürgermeister aus der Partei ausgetreten. Im BZ-Interview nennt er Gründe.

Das Interview mit Bürgermeister Thomas Pink führten Armin Maus und Johannes Kaufmann.

Herr Pink, Sie haben nach 40 Jahren die CDU verlassen. Warum?

Weil es nicht mehr die CDU ist, in die ich damals eingetreten bin. Weil sich die Qualität vieler Diskussionen verändert hat. Weil sich insbesondere seit der Bundestagswahl in der Partei Dinge abgespielt haben, die ich als Demokrat so nicht akzeptieren kann. Dazu zählen die unendlich lange Regierungsbildung, die dann auch noch scheiterte, vor allem aber die Polit-Farce um Horst Seehofer, Markus Söder, Andreas Scheuer, Alexander Dobrindt und wie sie alle heißen. Das hat mir den Rest gegeben, weil es die Kanzlerin einfach hingenommen hat und CDU-Mitglieder, die ihre Politik unterstützten, darauf gewartet haben, dass sie sich mal wehrt.

Gewehrt gegen die Anwürfe aus der CSU?

Richtig, gegen Herrn Seehofers üble Attacken, die letztlich alle in eine Richtung gelaufen sind, nämlich zur Landtagswahl in Bayern die AfD rechts zu überholen – und das auch noch ohne Erfolg beim Wähler. Das war für mich eine Farce, die ich so in den vergangenen 40 Jahren noch nicht erlebt habe. So kann Politik nicht funktionieren.

Sie haben der CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer geschrieben und ihr gegenüber den Austritt erklärt. Wie haben Sie ihren Schritt begründet?

Zunächst habe ich meinen Austritt nur in Aussicht gestellt. Meine Austrittserklärung habe ich jetzt auch beim Kreisverband und der Landes-CDU eingereicht. Ich habe versucht, das inhaltlich zu erklären. Dabei ging es auch um Entwicklungen hier in Niedersachsen, die für mich unfassbar sind. Ich habe den Eindruck, dass die CDU Niedersachsen die Region Braunschweig parteipolitisch für sich aufgegeben hat.

Es ist kein Geheimnis, dass es zwischen Ihnen und Wolfenbütteler Parteifreunden, dem Landesverband Braunschweig und vor allem dessen Vorsitzenden, Frank Oesterhelweg, Meinungsverschiedenheiten gegeben hat. Welche Rolle spielte das für Ihre Entscheidung?

Das Ganze spielte sich insbesondere vor anderthalb bis zwei Jahren ab. Seitdem habe ich mich dazu nicht mehr geäußert, weil ich hier in Wolfenbüttel in Ruhe meine Arbeit machen wollte. In der Landtagswahl im Oktober ist aber die komplette Region Braunschweig verloren gegangen. Wir haben keine Direktmandate mehr, das gilt auch für die Bundestagswahl. Das wurde überhaupt nicht aufgearbeitet. Stattdessen gab es am Wahlabend eine pauschale Schuldzuweisung an einzelne Personen und Einrichtungen – ohne jede Selbstkritik. Danach ist man zur Tagesordnung zurückgekehrt und hat weitergemacht wie immer. Später wollte dann erstaunlicherweise die CDU-Landwirtschaftsministerin die Strukturfördermittel für diese Region reduzieren, und aus unserem so selbstbewussten Landesverband war kein Aufschrei zu hören. Das haben dann SPD-Abgeordnete übernommen, und der Ministerpräsident persönlich hat schließlich für eine gerechte Aufteilung der Mittel gesorgt. Im neuen Fraktionsvorstand der CDU im Landtag ist nur noch Veronika Koch aus Helmstedt. Ansonsten kommt der Landesverband nicht mehr vor. Aber den Rest gegeben hat mir, dass während der Diskussion über Seehofers Ausbrüche der Landesvorsitzende, Landtagsvizepräsident und Abgeordnete der CDU dieses Wahlkreises, Oesterhelweg, zur Gründung eines CSU-Verbands aufrufen konnte, ohne dass es darauf irgendeine Reaktion aus Hannover gegeben hätte. Das war ein Aufruf zur Spaltung der Partei, der mir klargemacht hat: Das ist nicht mehr meine Partei.

Der SPD-Ministerpräsident Stephan Weil sagt, die CDU verstehe das Braunschweiger Land nicht.

Das stimmt. Man muss sich nur ansehen, wie die Diskussion verlaufen ist, als der ehemalige Braunschweiger Oberbürgermeister Gert Hoffmann die Bildung einer verfassten Region vorgeschlagen hat. Nur die Bürgermeister und einige Fraktionen der größeren Städte haben sich zu der Idee bekannt. Aber vor allem die Politiker, die den ländlichen Raum repräsentieren, waren sehr zurückhaltend bis ablehnend. Da wird Kirchturmpolitik gepflegt, die verhindert, dass das Braunschweiger Land zusammenwächst.

Der CDU-Vorsitzende Bernd Althusmann ist da aber nach eigener Aussage nicht so weit von Ihnen entfernt. Haben Sie davon etwas gespürt?

Ich hatte vor einiger Zeit ein Gespräch mit dem Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion, Dirk Toepffer. Aber danach war von Kontaktaufnahme aus Hannover hier ins Braunschweiger Land wenig zu spüren. Es reicht ein Blick auf die Landkarte: Wir haben mit Oliver Junk in Goslar, Frank Klingebiel in Salzgitter, Wittich Schobert in Helmstedt, Gerd Albrecht in Wendeburg und mir nicht mehr allzu viele Hauptverwaltungsbeamte und auch Wahlsieger. Man muss den Eindruck gewinnen, dass wir auf Landesebene nicht ernst genommen werden.

Sie haben als Bürgermeister Wert darauf gelegt, dass in Wolfenbüttel mit der Flüchtlingssituation konstruktiv umgegangen wird. Sie haben das als Kraftakt bezeichnet und Ihren Stolz auf Verwaltung und Ehrenamtliche zum Ausdruck gebracht. Hat Sie die Diskussion um die Aussagen Seehofers und Söders besonders geschmerzt?

Ja, und da wurde auch eine Nebeldiskussion geführt. Es gibt natürlich Städte und Ballungsräume – zum Beispiel in Berlin und Nordrhein-Westfalen –, wo es anders aussieht bei Migration und Integration. Aber ich bin zutiefst überzeugt, dass wir dieses Thema, und ich sage ganz bewusst Thema, nicht Problem, großartig gemeistert haben. Und ich empfinde es als eine politische Unverschämtheit, wenn Seehofer und auch einige in der CDU von einer Staats- und Verfassungskrise und von Rechtsbruch reden. Damit wird dieser Staat wider besseres Wissen als Versagerstaat dargestellt, bei dem vieles nicht mehr funktioniert. Das treibt die Wähler in die Arme extremistischer Parteien. Das ist das schlimmste, was in den vergangenen Jahren passiert ist, und da kritisiere ich die Kanzlerin aufs Schärfste, dass sie sich dem nicht mit Vehemenz entgegengestellt hat. Auch der Innenminister hätte klarstellen müssen, dass diese Behauptungen nicht stimmen, auch wenn es natürlich Probleme zum Beispiel beim Bamf und bei den Landesaufnahmebehörden gegeben hat. Aber anstatt mit den Abgeordneten vor Ort für Lösungen zu sorgen, ist es natürlich einfacher, in irgendwelchen Kolumnen über die Missstände zu lamentieren und genau das zu kultivieren, was ich kritisiere: die typische Konjunktiv-Politik – wir müssten, wir sollten, wir könnten. Da werden Selbstverständlichkeiten ewig wiederholt, statt die Probleme direkt anzupacken. Man schimpft über Probleme der Polizei, statt sie mit zielgerichteten Entscheidungen bei der Wurzel zu packen.

Was wären denn Entscheidungen, die Sie sich gewünscht hätten?

Da geht es vor allem um die Integrationspolitik. Wir haben als Kommunen allesamt hier in der Region umgesetzt, was unsere Aufgabe war. Wenn ich dann aber die nächsthöhere Ebene betrachte, das Land und den Bund, dann werde ich wütend. Menschen, die weiterqualifiziert werden sollten, junge Leute, die schon seit mehreren Jahren hier leben, aber aus Staaten kommen, in denen sie nicht als politisch verfolgt anerkannt werden, die eine Berufsausbildung oder einen Schulabschluss gemacht haben, schiebt man jetzt ab. Menschen, die sich hier qualifizieren und sich mit ihrer Bereitschaft zur Ausbildung zu diesem Land bekennen, jetzt zurück in ihre Länder abzuschieben, ist für mich völlig unverständlich. Ich glaube, dass es wichtig ist, diese Menschen zu beschäftigen. Aber an welche Grenzen man stößt, wenn man versucht, das kommunal umzusetzen, zum Beispiel, indem man sie bei der Grünpflege einsetzt, ist unvorstellbar. Genehmigungspflichten, Beschäftigungsverbote, langwierige Verfahren – damit werden wir auf kommunaler Ebene ausgebremst. Da hätte ich erwartet, dass für gesetzliche Grundlagen gesorgt wird, die uns in die Lage versetzen, vernünftig weiterzuarbeiten, anstatt dass ständig Kolumnen über Überfremdung und Gefährdung der einheimischen Bevölkerung verfasst werden.

Ich war in den 1990er Jahren Asylsachbearbeiter der Stadt Wolfenbüttel, und ich muss feststellen, dass sich seitdem wenig geändert hat. Dazu zählt auch die permanente Weigerung, ein vernünftiges Einwanderungsgesetz zu schaffen.

Wie geht es für Sie weiter? Sie wurden als CDU-Politiker gewählt? Geben Sie Ihr Amt zurück?

Keinesfalls. Ich habe vor vier Jahren fast 68 Prozent der Stimmen bekommen – das waren nicht nur CDU-Wähler. Ich glaube auch nicht, dass ich wegen der Parteizugehörigkeit gewählt wurde. Das gilt im Übrigen für alle Bürgermeister. Ich werde die Kommunalpolitik, die ich hier seit Jahren mit großartigen und engagierten Ratsmitgliedern gestalte, genau so weiterführen. Nach Ablauf meiner Amtszeit in drei Jahren werde ich aber nicht noch einmal kandidieren.

Braucht die CDU eine personelle Erneuerung an der Spitze?

Auf jeden Fall. Die Partei wird nicht umhinkommen, bald darum zu ringen, in welche Richtung es weitergehen soll. Wird es eine Frau Kramp-Karrenbauer, der ich durchaus folgen könnte? Oder wird es ein Jens Spahn oder andere Vertreter des national-konservativen Flügels, der sich aus der Europapartei des Helmut Kohl verabschiedet? Man kann Kohl in vielen Dingen kritisieren, aber er hat die Deutsche Einheit großartig bewerkstelligt, und er war immer der Europa-Kanzler.

Ist das alles eine Frage der Personen, oder braucht es auch eine programmatische Erneuerung?

Wir müssen auf beiden Ebenen arbeiten. Die Kanzlerin ist verbraucht. So wie sie in den vergangenen Monaten sturmreif geschossen wurde, kann man das auch verstehen. Die CDU war nie eine Programmpartei. Unter der Führung von Kanzlerin Merkel ist sie das aber noch weniger als ohnehin schon. Angela Merkel hat sich immer geschickt in die anstehenden Probleme hineingearbeitet und diese in der Regel mit viel Glück gemeistert. Aber angesichts der aktuellen Herausforderungen mit einer unsicheren Weltlage, einem merkwürdigen Präsidenten in den USA, merkwürdigen Führern in anderen Staaten, der parteipolitischen Situation hier bei uns, muss man sich endlich mit einigen konkreten Themen programmatisch beschäftigen. Das ist für mich vor allem die Europapolitik. Wir kommen nur weiter, wenn wir die EU stark machen, und da kann es durchaus auch ein Europa der zwei Geschwindigkeiten geben. Wir können nicht jeden mitnehmen, da stimme ich Macron zu. Andere Themen sind der Pflegenotstand oder soziale Unwuchten unserer Gesellschaft. Für mich ist es unverständlich, dass Menschen, die ihr ganzes Leben lang hart gearbeitet haben, am Ende keine ausreichende Rente bekommen. Dieses Problem wird immer wieder aufgeschoben. Auch die Wehrfähigkeit, die Probleme der Bundeswehr werden nicht angepackt. Da braucht es eine inhaltliche, programmatische Erneuerung mit klaren Worten.

Werden Sie sich einer anderen Partei anschließen?

Zurzeit ist das für mich kein Thema. Wenn man 40 Jahre in so einem Klub ist, fällt ein solcher Schritt unheimlich schwer. Die Werte, für die ich eintrete und deretwegen ich der Partei beigetreten bin, kann man nicht einfach ablegen wie ein altes Hemd.

Man spricht von politischer Heimat. Wo finden Sie die jetzt?

Ich glaube die politische Heimat eines Bürgermeisters entwickelt sich im Laufe der Amtszeit in Richtung der lokalen Heimat. Meine politische Heimat finde ich also hier in der Kommunalpolitik. Die Gestaltung der Innenstadt und des Schlossplatzes, Kultur- und Schulpolitik, das Sportentwicklungskonzept – all das ist kein CDU-Programm, das ist ein gemeinsames kommunales Programm, das mit großen Mehrheiten beschlossen wurde. Da fühle ich mich zu Hause. Wie es auf Landes- und Bundesebene weiterläuft, wird sich zeigen. Gäbe es einen so kraftvollen und visionären Politiker wie Emmanuel Macron in Frankreich, dann könnte ich dem viel abgewinnen. Aber solche Hoffnungsträger sehe ich in den großen Parteien nicht.