Braunschweig. Der Biologe Martin Korte spricht über den Prozess der Erinnerung und warnt davor, junge Menschen zu demotivieren.

Ein Gast fragte bei der Veranstaltung im BZV-Medienhaus:

Zu welchem Zeitpunkt im Leben können wir uns bewusst an Ereignisse in unserem Leben erinnern?

Die Antwort recherchierte Katharina Keller

Professor Dr. Martin Korte lehrt seit 2014 an der TU Braunschweig. Die Forschungsschwerpunkte des Biologen konzentrieren sich auf die zellulären Grundlagen von Lernen und Gedächtnis. Am Mittwochabend war er im BZV-Medienhaus zu Gast und referierte zu dem Thema „Wir sind Gedächtnis: Wie unsere Erinnerungen bestimmen, wer wir sind“. Zwischen den Themenblöcken beantwortete er Fragen aus dem Publikum.

Auf die Frage „Zu welchem Zeitpunkt im Leben können wir uns bewusst an Ereignisse in unserem Leben erinnern?“ erklärte der Biologe: „Für das autobiografische Gedächtnis benötigen wir ein funktionierendes Sprachsystem.“ Im dritten respektive vierten Lebensjahr beginne diese Phase leicht. Mit acht bis zehn Jahren nehme die Dichte an Erinnerungen schließlich zu. Bereits im Mutterleib können sich Babys von einem bestimmten Zeitpunkt an erinnern.

„Bei einem bestimmten lauteren Geräusch erschrickt das Ungeborene noch. Kommt dieses Geräusch aber häufiger vor, dann erkennt es dieses nach einigen Mal und erschrickt nicht mehr“, erklärte der Experte. Doch langfristig sei diese Erinnerung eben nicht. Auch ein Dreijähriger könne eine Menge darüber erzählen, was er am Vortag erlebt hat – doch auch diese Erinnerungen blieben nicht in der Form vorhanden.

Koordiniert werden unsere autobiografischen Erinnerungen in unserem Gehirn vom Hippocampus.
Koordiniert werden unsere autobiografischen Erinnerungen in unserem Gehirn vom Hippocampus. © Jürgen Runo; Quelle: Wikipedia

Wer sich indes darauf eingestellt hatte, lediglich einem Vortrag zu lauschen, der irrte. Korte hatte sich für einige knifflige Aufgaben ausgedacht, um die Gedächtnisfähigkeiten des Publikums zu prüfen.

Sein Vortrag begann persönlich. So erzählte Korte den rund 260 Gästen eine Geschichte aus seiner Kindheit. Die Zeitreise in die Vergangenheit sollte untermauern, wie sehr Erinnerungen das autobiografische Gedächtnis prägen. Wichtig dabei sei, so der Experte, ob man die Geschichte gehört beziehungsweise gelesen oder eben selbst erlebt habe – also die Ich-Perspektive einnehme.

Mithilfe von Bildern und gut verständlich für Laien erklärte er, welche Prozesse in solchen Fällen im Gehirn ablaufen. Eine große Rolle dabei spielt etwa der Hippocampus. „Er ist Dirigent und Koordinator von autobiografischen Erinnerungen und dem Faktengedächtnis“, erklärte Korte.

Ein wiederkehrendes Thema an diesem Abend waren die Assoziationen, die es uns Menschen leichter machen, gewisse Dinge zu erlernen und uns zu erinnern. An dieser Stelle war das Publikum zum ersten Mal selbst gefordert: Schnell las Korte viele Wörter vor wie Mixer, Zucker, scharf oder Sahne – bevor sie wieder von der Leinwand verschwanden. „Nun gebe ich Ihnen noch einige Rechenaufgaben, damit sie einige Begriffe wieder vergessen“, sagte der Leiter des Zoologischen Institutes an der Technischen Universität. Fünf Wörter erschienen nacheinander wieder an der Leinwand – war dieses oder jenes dabei? Bei „Haus“ und „Faden“ waren sich die Gäste einig – diese Begriffe waren nicht dabei. Bei „Süß“ hingegen hallte ein überzeugendes Ja durch den Saal. Doch dieses Wort stand nicht auf der ursprünglichen Liste. Die Erklärung Kortes für den Fehler leuchtete ein: „Süß gehört zu dem Assoziationsraum“, erläuterte der Experte, der natürlich schon vorher wusste, dass das Publikum diesen Fehler machen würde.

Professor Korte appellierte an diesem Abend zudem, jungen Menschen stets den Rücken zu stärken. Man sollte ihnen nicht suggerieren, irgendetwas nicht zu schaffen. Man sollte sie keinesfalls demotivieren – diese Dinge blieben im Gedächtnis hängen. „Für das Lernen sind Erfolgserlebnisse wichtig“, betonte der Fachmann, der auch auf die Prüfungsangst einging.

Auch die Interaktion sei entscheidend, nicht nur, aber eben besonders für Kinder. „Ein Ich haben wir, weil es ein Gegenüber gibt. Das brauchen wir für unser soziales Gehirn.“ Oftmals lasse sich aber beobachten, dass Eltern das Handy vor dem Gesicht hätten. Die Kinder könnten dann die Reaktion der Mutter oder des Vaters gar nicht ablesen.

Deutlich wurde: Der rund 90-minütige Vortrag hatte das Publikum beschäftigt. Etliche Besucher hatten zu den verschiedenen Themengebieten noch Fragen, die Korte allesamt ausführlich und gut verständlich erklärte.