Braunschweig. Noch lange nach einer Infektion ist das Lernvermögen von Mäusen eingeschränkt. Neurobiologe Korte sieht einen möglichen Zusammenhang mit Alzheimer.

2018 ist ein Rekordjahr in Sachen Grippe. Laut dem Robert-Koch-Institut gab es die seit zehn Jahren höchste Zahl Arztbesuche wegen Grippe. In der neunten Kalenderwoche dieses Jahres wurde mit 48 000 gemeldeten Grippe-Fällen sogar der höchste Wochenwert seit Einführung des Infektionsschutzgesetzes im Jahr 2001 registriert. Mittlerweile geht die Zahl der Erkrankungen außer im Norden Deutschlands allerdings wieder zurück.

Mitten auf dem Höhepunkt der Grippewelle hat der Braunschweiger Neurobiologe Professor Martin Korte eine Studie veröffentlicht, die international für mediale Aufmerksamkeit sorgt. Dass das Denkvermögen unter einer akuten Grippe-Infektion leidet, ist schon lange bekannt. Gemeinsam mit Wissenschaftlern des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) konnte Kortes Arbeitsgruppe an der TU Braunschweig aber nun zeigen, dass die Lernleistung von Mäusen noch 60 Tage nach einer überstandenen Grippe-Infektion eingeschränkt ist. „Das ist für eine Maus, die eine Lebensspanne von zwei Jahren hat, erheblich“, sagt Korte. Auf den Menschen übertragen, wäre das eine Erholungszeit von mehreren Jahren. „Wir gehen von einer guten Übertragbarkeit aus“, sagt Korte und verweist auf die sehr ähnliche Funktionsweise der betroffenen Nervenzellen bei Mensch und Maus.

„Entzündliche Prozesse im Körper könnten den Ausbruch und Verlauf von Alzheimer beschleunigen.“
„Entzündliche Prozesse im Körper könnten den Ausbruch und Verlauf von Alzheimer beschleunigen.“ © Martin Korte, Neurobiologe an der TU Braunschweig

Kortes Arbeitsgruppe vermutet einen Zusammenhang zwischen Infektionen und neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer. „Eine Hypothese meiner Arbeitsgruppe lautet, dass entzündliche Prozesse im Körper sowohl den Beginn der Erkrankung als auch den Verlauf beschleunigen“, erklärt der Neurobiologe. Für Fettleibigkeit sei ein solcher Zusammenhang über entzündungsfördernde Immunzellen im Bauchfett bereits belegt.

Auch bei Influenza-Infektionen deuten die Ergebnisse der Maus-Studie auf einen negativen Einfluss des Immunsystems hin. „Wir haben solche Folgen auch bei einem Virus-Subtyp beobachtet, der das Gehirn gar nicht infiziert“, sagt Korte. Die Annahme seiner Forschergruppe: Das durch die Grippe angeregte Immunsystem schickt Botenstoffe ins Gehirn, die dort sogenannte Mikrogliazellen aktivieren. „Die haben normalerweise eine Art Hausmeisterfunktion im Gehirn. Sie können aber vom Hausmeister zum Soldaten werden“, erklärt Korte – und dann Nervenzellen im Hirn schaden.

Die Ergebnisse der Studie verstärken die Hinweise, dass Infektionen, die andere Regionen des Körper angreifen, auch dem menschlichen Hirn schaden, schätzt der Epidemiologe und Neurologe Mitchell Elkind von Columbia University, der selbst nicht an der Forschung beteiligt war, die Bedeutung der Studie ein.