Braunschweig. Medienforscherin Felicitas Macgilchrist meint, dass die Digitalisierung in der Bildung auch die Aufgabe der Schulen verändert.

Bei der weltweit größten Bildungsmesse Didacta in Hannover geht es noch bis zum morgigen Samstag um Herausforderungen, die die Digitalisierung künftig ans Lehren und Lernen stellt. Ramona Dusny sprach mit der Medienforscherin Felicitas Macgilchrist. Die Professorin an der Universität Göttingen leitet die Abteilung Schulbuch als Medium am Georg-Eckert-Institut – Leibniz Institut für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig.

Im Vorfeld der Didacta hat der Verbandspräsident Wassilios Fthenakis von digitaler Bildung im Kindergarten gesprochen. Ist das nicht zu früh?

Daran scheiden sich die Geister. Es kommt auf das Wie und nicht das Ob an. Wenn es nur darum geht, kommerzielle Produkte zu bedienen, hilft das nicht viel, das zeigt die Forschung. Aber wenn es darum geht, mit digitalen Mitteln zu gestalten, zu erkunden und das Gerät in die zwischenmenschliche Beziehung einzubauen, kann es produktiv sein. Jetzt gerade ist das allerdings nicht möglich – dafür müsste man den Betreuungsschlüssel an Kindergärten ändern.

„Digitale Technologien werden oft als zusätzliche Technik missverstanden.“
„Digitale Technologien werden oft als zusätzliche Technik missverstanden.“ © Felicitas Macgilchrist, Braunschweiger Medienforscherin

Wie ist denn der Stand der Digitalisierung an Deutschlands Schulen?

Es wird sehr oft gesagt, dass Deutschland hinterherhängt. Ich würde das aber umdrehen: Deutschland ist Vorreiter im Datenschutz. In den USA dagegen fangen erst jetzt kritische Diskussionen darüber an, dass etwa Lernapps unheimlich viele Daten sammeln. In Deutschland ist das Bewusstsein dafür stark. Man kann das als hinderlich betrachten, aber es führt zu einer selbstbewussten Gestaltung davon, wie Digitalisierung eingeführt wird. Denn die zentrale Frage ist, wer die Daten besitzt: Schüler, Eltern, Lehrende, Schulträger, das Land oder eine Firma? Diese Diskussion wird immer wichtiger.

Mit Datenschutzfragen müssen sich auch Schüler beschäftigen. Wie sollen digitale Kompetenzen vermittelt werden, als eigenes Schulfach oder in alle Fächer integriert?

Die Empfehlung der Kultusministerkonferenz lautet, sie in alle zu integrieren. Das ist schwierig, dafür ist kein Platz. Auf der anderen Seite gibt es von vielen Seiten viele Wünsche, was in dem einen neuen Fach gelehrt werden soll, Informatik oder Medienbildung etwa. Auch das ist also schwierig.

Womöglich sind Schüler inzwischen viel fitter im Internet unterwegs als die Lehrer. Wozu führt das?

Die Aufgabe von Schule ändert sich. Schüler sehen Lehrer nicht mehr automatisch als Autoritätsfigur. Sie erkunden und lernen mit den Schülern und von ihnen. Es geht darum, das Wissen gemeinsam zu produzieren.

Ist es nicht gefährlich, wenn Lehrer keine Autoritätspersonen mehr sind?

Das finde ich nicht. Die digitale Welt ist von Unbestimmtheit geprägt. Die Frage ist heutzutage nicht mehr, wem wir vertrauen, sondern, wie wir mit der Unbestimmtheit umgehen. Und man könnte genauso fragen: Ist es nicht gefährlich, wenn Schüler Autoritätsfiguren nicht hinterfragen lernen?

Derweil müssen auch die Rahmenbedingungen stehen. Ein Ergebnis der Groko-Verhandlungen sind fünf Milliarden Euro für einen „Digitalpakt“ für Schulen; Niedersachsen hat ein Landeskonzept und eine Mediencloud. Ist das genug?

Wichtig ist, dass Bund, Land, Schulträger und Schulen zusammenkommen.

Unser Leser Leo Pekrul kritisiert auf Facebook, dass digitale Technologien in Schulen bestimmt wichtig seien, aber wichtig sei erst einmal das allgemeine Können und Wissen. Da dieses fehle, würden auch digitale Technologien „wenig bis nichts“ bringen. Was sagen Sie dazu?

Was sind digitale Technologien, wenn nicht Können und Wissen? Sie werden oft als zusätzliche Technik missverstanden, aber Medienkompetenz ist eine Kulturtechnik wie Rechnen, Lesen, Schreiben, sie erweitert diese Fähigkeiten.

Das Georg-Eckert-Institut hat das digitale Schulbuch „mBook“ auf der Didacta als Schulbuch des Jahres ausgezeichnet. Der Umsatzanteil der digitalen Bildungsmedien in Deutschland liegt aber bisher nur bei fünf Prozent. Warum?

Für die Verlage hat es sich bis jetzt nicht gelohnt, digitale Schulbücher auf den Markt zu bringen, weil den Schulen die Ausstattung dazu fehlt. Jetzt fängt es erst an, alle großen Verlage entwickeln spannende Produkte. Erst waren es auch nur PDFs, jetzt sind es interaktive und vernetzte Angebote.

Während diese Angebote noch entwickelt werden, bilden sich Schüler über Youtube und Blogs weiter. Was halten Sie davon?

Schüler kamen immer schon mit Vorwissen durch Filme oder von den Großeltern zu den Lehrenden. Jetzt eben von anderen Angeboten. Lehrer haben es schon immer als ihre Aufgabe gesehen, dieses Vorwissen aufzugreifen. Ein Problem ist, dass frei zugängliche Online-Produkte, die in den Lehrplan passen, sehr schwer auffindbar sind. Aber es gibt keinen Mathelehrer, der nicht diverse Apps kennt.

Sie waren in dieser Woche auf der Didacta, was sind Ihnen da für Trends aufgefallen?

Erst einmal ist mir aufgefallen, dass eine komplette Halle der Technik gewidmet ist. Das ist sehr verführerisch.

Halten Sie das für problematisch?

Es ist interessant. Natürlich ist die Didacta eine Verkaufsmesse, bei der viel Hardware wie die neusten Whiteboards vorgestellt werden. Daneben gibt es auch viele Diskussionen um Pädagogik, aber die sind in der Wahrnehmung flüchtiger. Die Frage ist, wo heute Bildungsentscheidungen getroffen werden. Vor 50 Jahren lag das noch in der Hand der Bildungspolitik und Lehrer. Nun liegt es in der Hand der kommerziellen Bildungsmedienanbieter.

Das scheint die Politik nicht schlimm zu finden angesichts der Summen, die sie freigibt für die Umrüstung von Schulen.

Ja. Spannend, oder? Schulbücher werden geprüft, Lernapps dagegen nicht. Das wäre aber auch unmöglich.

Wird irgendwann Schluss sein mit dem analogen Lernen?

Nein. In einem Projekt des Georg-Eckert-Instituts mit Digitalisierung an Deutschen Auslandsschulen haben wir drei Kategorien von Schulen ausgemacht: die zurückhaltend digitalen Schulen, die enthusiastischen und die post-digitalen. Letzteres bedeutet, dass es vom pädagogischen Konzept abhängt, ob man einen Bleistift oder das I-Pad nutzt, je nachdem, was man bewirken will. Und post-digital kann Deutschland leicht werden – weil die Beachtung des Analogen hier so eine große Rolle spielt. Dadurch wird die parallele Nutzung von Digitalem und Analogem möglich.