Braunschweig. Geht es nach der SPD in unserer Region, steht fest, wer Außenminister wird beziehungsweise bleibt: der Amtsinhaber aus Goslar.

Sigmar Gabriel war Freitag zu Hause – in Goslar. Überraschend erreichte ihn dort die Nachricht, dass sein parteiinterner Konkurrent um das Amt des Außenministers, Martin Schulz (SPD), einen Rückzieher macht. Gabriel ging kurz nach Schulz’ Verkündung zwar ans Telefon, gab sich aber ungewohnt wortkarg. Zwar machte er eine sehr knappe Einschätzung der Lage, wollte sich damit aber nicht zitieren lassen.

Im Hintergrund dürften die Telefonleitungen in der SPD glühen. Gabriel schweigt offiziell, nachdem er am Donnerstag seiner Enttäuschung freien Lauf ließ. Nun, nach Schulz’ Absage, werden die Karten neu gemischt. Ein Selbstgänger wird der Kampf um das Auswärtige Amt nicht. Das weiß auch Amtsinhaber Gabriel.

Der zuweilen schwierige und schroffe Goslarer schwimmt auf einer nie dagewesenen Sympathiewelle, ist laut Umfragen derzeit der beliebteste Politiker Deutschlands. In unserer Region, in der Gabriel viele Jahre den SPD-Bezirk Braunschweig führte, hat er eine ganze Reihe an Unterstützern. Man konnte am Freitag anrufen, wen man wollte: Alle halten zu „unserem Sigmar“.

Der Landtagsabgeordnete Marcus Bosse aus Wolfenbüttel berichtete, dass das Telefon in seinem Wahlbüro nicht mehr still steht, seit am Mittwoch zwischen Schulz und Gabriel der offene Streit um das Außenministeramt ausgebrochen war. „Es herrscht große Solidarität mit Sigmar“, sagte Bosse. Viele SPD-Mitglieder und -Wähler hätten ihn geradezu angefleht: „Herr Bosse, machen Sie etwas, damit Gabriel Minister bleibt.“ So mancher überschätzt da wohl den Einfluss eines Landtagsabgeordneten.

Wie bei Bosse war in den vergangenen Tagen die Personalie Schulz/Gabriel in den SPD-Parteibüros in unserer Region das alles beherrschende Thema. Die SPD-Unterbezirke in Salzgitter, Wolfenbüttel, Braunschweig, Wolfsburg und Helmstedt fassten Beschlüsse, schlugen Gabriel für ein Ministeramt vor, sofern es zu einer Regierungsbeteiligung der SPD kommen sollte.

Lediglich die Unterbezirke in Peine und Gifhorn, dem Wahlkreis von Bundestags-Fraktionsvize Hubertus Heil, beteiligen sich bisher noch nicht. Wahrscheinlich aus Rücksicht um die Karriereperspektiven von Heil.

Heil selbst ist gerade im Kurz-Skiurlaub. Schulz’ Schritt bezeichnete er als „notwendig und richtig“. Angesichts des anstehenden Mitgliederentscheids um die Groko wollte er sich aber nicht an der Personaldebatte beteiligen. Etwas überraschend kommt es schon, dass Heil sich nicht explizit für Gabriel einsetzt. Gabriel und Heil arbeiten seit vielen Jahren eng zusammen – nicht nur im SPD-Bezirk Braunschweig.

An der SPD-Basis in der Region sieht das anders aus. Stellvertretend sei aus einem Leserbrief an unsere Zeitung zitiert. Er stammt von Renate von Boehn aus Schwülper im Kreis Gifhorn. Sie ist seit 31 Jahren SPD-Mitglied. Als sie ihren Brief schrieb, hatte Schulz noch nicht erklärt, dass er doch nicht Außenminister werden wolle. Von Boehn drohte – wie viele andere SPD-Mitglieder aus unserer Region – mit ihrem Austritt aus der Partei. Sie schrieb: „Wir haben mit Sigmar Gabriel einen Minister, der sein Amt hervorragend ausgeführt hat und große Anerkennung genießt. So sollte es bleiben!“

Unsere Zeitung erreichten in den vergangenen Tagen ungewohnt viele Leserbriefe, zudem Stimmen auf unseren Internetseiten und den Facebookseiten unserer Zeitung. Die meisten von ihnen hatten den Tenor: Gabriel soll Außenminister bleiben. Den Goslarer dürfte der Zuspruch freuen.

Viele Mandatsträger aus unserer Region zeigten sich am Freitag erleichtert über den Schritt von Schulz. Der Wolfsburger Bundestagsabgeordnete Falko Mohrs etwa bezeichnete Schulz’ Entscheidung als „konsequent“. Jedoch: „Sie kam wahrscheinlich zu spät. Wir können jetzt aber nach vorne blicken. Sigmar Gabriel ist ein guter Außenminister. Wir stehen hinter ihm. Wenn er weiterhin für das Ministeramt bereitsteht, werde ich ihn ohne Wenn und Aber unterstützen.“

Der Braunschweiger Landtagsabgeordnete Christoph Bratmann sieht es ähnlich wie Mohrs. „Schulz hätte ein großes Glaubwürdigkeitsproblem gehabt“, sagte er. „Das hätte auch den SPD-Mitgliederentscheid zur Groko enorm belastet.“ Schulz hatte nach dem Wahldesaster der SPD ausgeschlossen, in ein Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) einzutreten. Nach der Koalitionseinigung mit der Union hatte er am Mittwoch aber erklärt, dass er Außenminister werden wolle.

Bratmann führte die Erfolge der SPD in Niedersachsen und in unserer Region ins Feld. „Wir sind die in der SPD, die noch Wahlen gewinnen. Es wäre wichtig, dass ein Schwergewicht aus unseren Reihen wie Sigmar Gabriel Bundesminister bleibt.“ Die SPD hatte in unserer Region bei der Bundes- und Landtagswahl sämtliche Direktmandate in unserer Region gewonnen.

Die Niedersachsen-SPD hatte im Wahljahr 2017 mit dem Sieg bei der Landtagswahl nach einigen Wahlschlappen für den einzigen Lichtblick gesorgt. Gabriel hatte zudem bei der Bundestagswahl in seinem Wahlkreis Salzgitter/Wolfenbüttel das zweitbeste Ergebnis der SPD in der Bundesrepublik geholt.

SPD-Urgestein Gerhard Glogowski kennt Gabriel, seit dieser 17 Jahre alt ist. Der Braunschweiger war ein Förderer des jungen Gabriel, erkannte dessen politisches Talent. Ex-Landesinnenminister und -Ministerpräsident Glogowski hat zwar seit einigen Jahren kein Amt mehr inne, er ist aber immer noch ein Intimkenner der Partei. Er sagte: „Nun gibt es keinen Grund mehr, Gabriel aus dem Auswärtigen Amt abzuziehen. Ich sehe keine Alternative zu ihm.“ Glogowski weiß aber auch: „Gabriel hat in den Funktionärskreisen der SPD einige Widersacher.“ Das gelte vor allem für die designierte Parteichefin Andrea Nahles und den künftigen Vizekanzler Olaf Scholz. „Die beiden können besser miteinander als mit Gabriel“, sagte Glogowski. Gabriel sei immer für eine provokante Äußerung gut gewesen, habe sich nicht nur Freunde gemacht. „Er hat aber Mut.“

Obwohl Niedersachse, ist auch Ex-Fraktionschef Thomas Oppermann nicht immer tadellos mit Gabriel ausgekommen. Der Wahlkreis des Bundestags-Vizepräsidenten aus Göttingen reicht bis in den Südharz. Er sagte im ZDF über Gabriel: „Ämter werden nur auf Zeit vergeben. Damit muss er sich abfinden, und ich glaube, das schafft er auch.“ Das war vor Schulz’ Rückzieher. Nun ist wieder vieles offen.

In seiner Heimatstadt Goslar erfährt Gabriel uneingeschränkte Zustimmung. Sie verehren ihren Politstar, der in seiner einjährigen Amtszeit als Außenminister reihenweise Amtskollegen aus dem Ausland nach Goslar und seinen Wahlkreis holte. Jens Kloppenburg, Vorsitzender der Goslarer SPD, sagte: „Wir sind Fans von Sigmar Gabriel. Er ist einer der besten Politiker, die Deutschland zur Verfügung hat.“

Kloppenburg geriet richtig ins Schwärmen. „Gabriel hat ein großes Herz für die kleinen Leute.“ Die Partei müsse in dieser Phase auf das große politische Talent Gabriel zurückgreifen. „Er ist der beste und klügste Kopf, den wir in der SPD haben.“ Nun liegt der Spielball beim SPD-Vorstand. Die kommenden Tage werden spannend bleiben.