Hannover. Die Telemedizin soll vor allem die Versorgung sichern, ist aber Teil eines tiefen Wandels.

Der sich mit dem „Kollegen Computer“ selbst heilende Mensch ist noch Zukunftsmusik, die „Telemedizin“ aber auf dem Vormarsch. Nicht nur bei Fitness-Freaks mit Gesundheitsdaten-Armbändern und den passenden Analyse-Apps. Das Gesundheitswesen ist zwar einerseits ein träges System, schon wegen der extremen Bürokratie. Und Wartezimmer mit dem Charme der 50er Jahre gibt es immer noch viele, monatelanges Warten auf Facharzttermine auch. Doch auch die Telemedizin und „E-Health“ sind längst da. Und Kliniken und Ärzte, die es immer mehr nutzen.

In Niedersachsen gehe es jetzt darum, wie Informations- und Kommunikationstechnologien die Gesundheitsversorgung unterstützen könnten, hatte Niedersachsens Gesundheitsministerin Cornelia Rundt (SPD) bei Vergabe des niedersächsischen Gesundheitspreises 2016 betont. „Der Ärztemangel besonders in der Allgemeinmedizin und besonders in ländlichen Regionen steigert das Interesse an telemedizinischen Konzepten“, hieß es im „Deutschen Ärzteblatt“. „Unsere europäischen Nachbarländer sind hier schon viel weiter – zum Beispiel in Schweden oder Norwegen, wo die Bevölkerung in einigen Regionen für ärztlichen Rat weite Wege zurücklegen muss“, wurde die Ministerin dann etwas deutlicher. Es geht zunächst einmal um Kosten und das Aufrechterhalten von Standards.

„Das Hauptproblem ist das Schaffen einer gemeinsamen Infrastruktur.“
„Das Hauptproblem ist das Schaffen einer gemeinsamen Infrastruktur.“ © Cornelia Rundt (SPD), niedersächsische Sozial- und Gesundheitsministerin

Dass Arzt und Patient sich für eine Konsultation nicht unbedingt in einem Raum gegenübersitzen müssen, und das bei einer langwierigen Behandlung vielleicht viele Male, ist wesentlicher Ausgangspunkt der Telemedizin. In ländlichen Regionen, wie auch Niedersachsen sie hat, entfällt die lange Anfahrt in die Praxis oder umgekehrt die zum Hausbesuch.

Die Möglichkeiten sind vielfältig, von der Beratung per Telefon oder per E-Mail über eine Videokonferenz zwischen Arzt und Patient bis hin zur Verwendung von Messgeräten, die relevante Daten in die Praxis senden. Es gibt auch Online-Plattformen, die den Rahmen für Videosprechstunden bieten.

„Gesundheitsschutz und Datenschutz müssen sich verbinden lassen.“
„Gesundheitsschutz und Datenschutz müssen sich verbinden lassen.“ © Olaf Lies (SPD), niedersächsischer Wirtschaftsminister, zu „E-Health“

„Mithilfe von Telemedizin könnten Leistungen wie das Messen der Blutzuckerwerte oder des Blutdruckes getätigt werden, ohne dass der Patient selbst in die Praxis kommen muss“, hieß es in einer Vorschau im „Deutschen Ärzteblatt“ auf eine Diskussion bei der Düsseldorfer Fachmesse „Medica“ im November 2016. Die Politikerin Rundt würdigte beim „Gesundheitspreis 2016“ aber auch spezielle Formen der Telemedizin für kleinere Zielgruppen. Träger von Innenohrprothesen etwa werden Dank eines Projekts der Medizinischen Hochschule Hannover bei der Nachsorge über Computer betreut.

In einem „Forum für Gesundheitstelematik und Telemedizin“ in der Niedersächsischen Landesvertretung in Berlin fassten Rundt und ihr Ministerkollege Olaf Lies (SPD) den Rahmen noch weiter – mit einem Überblick über E-Health-Rahmenbedingungen im europäischen Vergleich. E-Health steht für „Electronic Health“ und meint ein digital basiertes und organisiertes Gesundheitswesen. Bei dieser Veranstaltung fielen Stichworte wie „Ivena“, ein System, das Rettungsleitstellen Behandlungs- und Bettenkapazitäten der regionalen Krankenhäuser anzeigt. „AAL“ (Ambient Assisted Living“) wiederum heißen Assistenzsysteme, die das Leben in den eigenen vier Wänden länger möglich machen sollen: Aufstehhilfen etwa oder Sensoren, die bei einem Sturz des Bewohners Alarm schlagen.

In Pflegeheimen laufen Projekte wie das Umstellen auf netzwerkfähige Pflegedokumentationen, auf die die Ärzte zugreifen können. Auch Videokonferenzen von Ärzten sind möglich, sei es mit Blick auf Patienten oder zu Aus- und Fortbildungszwecken. Und was bei Juristen geht, geht teilweise auch bei Ärzten: Wer fachärztlichen Rat will, loggt sich zu einem vereinbarten Zeitpunkt bei einem dann freien Arzt ein. Der „Wunscharzt“ ist das dann freilich nicht.

„Das Hauptproblem ist das Schaffen einer gemeinsamen Infrastruktur“, sagt Ministerin Rundt. Ähnlich wie beim computerüberwachten Fahren bleibt die Datensicherheit ein großes Thema. „Gesundheitsschutz und Datenschutz müssen sich verbinden lassen“, sagt Wirtschaftsminister Lies. Die grundsätzliche Unverzichtbarkeit des direkten Kontaktes zwischen Arzt und Patient ist außerdem im „Fernbehandlungsverbot“ in Paragraf 7 der Berufsordnung festgeschrieben. Der Hinweis, dass Telemedizin den direkten Kontakt nicht voll ersetzt, findet sich daher in vielen Veröffentlichungen. „Fast alle Praxen und Krankenhäuser nutzen umfassend digitale Datenverarbeitung. Bei der Übermittlung dieser Daten stecken wir aber noch im analogen Zeitalter von Brief und Fax“, heißt es beim Bundesgesundheitsministerium zum E-Health-Gesetz des Bundes. Mit dem Gesetz sollten die Chancen der Digitalisierung für eine bessere medizinische Versorgung endlich genutzt werden, heißt es. Unter anderem werden Online-Videosprechstunden in die vertragsärztliche Versorgung aufgenommen.

Der Trend dürfte also klar sein – schon deshalb, weil Generationen kommen oder schon da sind, für die der Doktor Computer weit weniger fremd sein dürfte als für die Vorgänger. „Als TK haben wir bereits gute Erfahrungen mit Tele-Monitoring und dem Gesundheitscoaching übers Telefon oder Internet gemacht“, so Thomas Ballast, stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der Techniker Krankenkasse (TK), in einem Interview im Winter 2016.

In einer sogenannten „Smart Health“-Studie der Kasse befürworten drei Viertel der Umfrage-Teilnehmer eine elektronische Gesundheitsakte mit ihren Daten, zwei Drittel würden Fitness- und Gesundheitsdaten zur Früherkennung etwa von Krebs auswerten lassen. Die Grenzen zwischen Telemedizin, E-Health und Smart Health sind fließend.

„Werde ich meinen Arzt trotzdem noch persönlich sehen? Natürlich. Eine Online-Visite kann den Besuch beim Arzt nicht vollständig ersetzen. Manche Behandlungen und Diagnosen können nicht einfach ohne Qualitätsverlust über das Internet geleistet werden. Deshalb kann es vorkommen, dass ein Arzt Sie nach einer Videosprechstunde zur Behandlung in die Praxis bittet“ , heißt es bei „elVi“, der elektronischen Visite. Das klingt doch tröstlich.