Braunschweig. Tausende Tanzwütige in einem Gebäude – Die Ära der Großraumdiskos ist vorbei. Sind die Menschen sparsam oder lieber unter sich?

Unser Leser Sascha Kühne bemerkt:

Eine Großraumdisko ist kein Stück rentabel, oder? Außerdem muss man für die kleinen Clubs die Innenstadt nicht verlassen.

Die Antwort recherchierte Hannah Schmitz

Schaumpartys, „Hölle, Hölle, Hölle“-Gesänge und Wodka-Energy – in den 90ern war das der Mix der Großraumdiskotheken. Dort trafen auf den diverse Floors Tausende Feierwütige aufeinander: Schlagerfans auf Techno-Hörer, Hip-Hopper auf Black-Music-Fans.

Heute findet man in unserer Region kaum noch Diskotheken, die so viele Leute fassen. „Die Zeit der Großraumdiskos ist vorbei“, sagt Oliver Strauß von der Strauß-und-Lemke-Gruppe, der in Braunschweig allein sechs Clubs und weitere Bars gehören. „Die Leute wollen ihresgleichen treffen“, stellt er fest.

„Die Schließung von großen Diskos ist eine Marktbereinigung. Es gab ein Überangebot.“
„Die Schließung von großen Diskos ist eine Marktbereinigung. Es gab ein Überangebot.“ © Stephan Büttner, Geschäftsführer des Diskotheken-Verbands

2012 schloss in Braunschweig das legendäre „Jolly Joker“, wo sich in guten Zeiten Tausende Gäste auf den Tanzflächen drängelten. Bis heute gehalten hat sich die Großraumdisko „Die Mine“ in Lengede, die seit 35 Jahren Feiernde anlockt. „Das ist meines Wissens die letzte Großraumdiskothek der Region, in der immer noch getanzt wird“, erzählt André Bruns, der „Die Mine“ mit seiner Agentur Beatpart betreibt. Heiligabend 2016 tanzten hier immerhin 650 Gäste. Hinzuzählen ließe sich allerdings die Großraumdiskothek „Nachtschicht“ in Goslar, auch die ist durchaus ein Anziehungspunkt für Leute, die nicht am Harzrand wohnen.

Von einem Sterben der Großdiskotheken will Stephan Büttner, Geschäftsführer des Bundesverbands deutscher Diskotheken und Tanzbetriebe (BDT), nichts hören. Tanzpaläste mit zum Teil über 2000 Quadratmetern Fläche und mit mehreren Dance-Floors seien immer noch „hochattraktiv“, die Nachfrage in vielen Betrieben nach wie vor sehr groß. „Schauen Sie sich das ,Index’ in Schüttorf an oder das ,Aura’ in Ibbenbüren, das jetzt wieder neu eröffnet hat“, sagt er. Schließungen von großen und kleinen Clubs bezeichnet der Rechtsanwalt als „gesunde Marktbereinigung“ in Folge eines Überangebots.

Diskos in der Region

Die Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigen dennoch einen klaren Trend: 2015 kam es bundesweit zu 79 Insolvenzverfahren gegen Diskotheken und Tanzlokale, fast 30 Prozent mehr als im Vorjahr. In Niedersachsen waren es 14, das Doppelte im Vergleich zum Vorjahr. „Das ist ein ganz klarer Trend“, sagt Oliver Strauß und bestätigt damit unseren Leser, der sagt, große Diskotheken seien weniger rentabel. Club-Besitzer Strauß meint, die Betreiber von großen Diskotheken hätten zwar nichts falsch gemacht, aber „ein ganzer Rattenschwanz, der teurer wird“, zwinge sie dazu, aufzugeben: Gema-Gebühren, Mieten, Strom, Einführung des Mindestlohns. Zuletzt schloss Ende Dezember in Wolfsburg die Diskothek „Circus“ im ehemaligen Imperial-Kino. Damit scheiterte zugleich ein Wiederbelebungsversuch der Großraumdisko. Esplanade-Besitzer Jan Schroeder und die Strauß-und-Lemke-Gruppe als Betreiber verkleinerten die rund 1000 Quadratmeter große Raumfläche: weniger Menschen sollten auf geschrumpften Flächen durch die Nacht feiern. Im gleichen Gebäude waren zuvor schon die Diskotheken „Nachtschicht“ und „Tao“ gescheitert. Doch auch der kleinere „Circus“ ist nun Geschichte. „Es war ein Versuch“, sagt Strauß.

Aufgrund der Größe habe man ein sehr gemischtes Publikum einlassen müssen, was zu Konflikten geführt hätte. Es habe viele Schlägereien gegeben. Kleinere Clubs hätten den Vorteil, dass sie familiärer seien und man besser aussortieren könne: in einen alternativen Club etwa keine Anzugträger und umgekehrt hineinlasse.

„Viele finden dann, das ist Diskriminierung. Aber man darf das Publikum nicht groß mischen“, glaubt er. Außerdem ziehe Wolfsburg kaum Menschen aus dem Umland an, die dort feiern gehen wollten. „In Braunschweig bleiben die Studenten am Wochenende in der Stadt und wollen auch ausgehen“, erzählt er.

„Esplanade“-Besitzer Schroeder macht weitere Gründe aus, warum Disko- und Clubbesitzer vor Problemen stehen: „Früher musste man in die Disko, um jemanden kennenzulernen, heute hast du Tinder und Facebook“, sagt Jan Schroeder. Die geburtenschwachen Jahrgänge sorgten sowieso schon dafür, dass der Wettbewerb um die 18- bis 25-Jährigen stärker werde. Auch die Festivalkultur setzt den Clubs zu. „Im Sommer sind die Leute dann weg, und vorher sparen sie darauf und gehen deshalb nicht feiern“, so Schroeder. Er betreibt die „Esplanade“ jedoch immerhin seit 2004 erfolgreich.

Rainer Balke, der Hauptgeschäftsführer der Dehoga Niedersachsen, weiß um die Sorgen der Diskobetreiber. Neben der finanziellen Belastungen durch „enorm gesteigerte“ Gema-Gebühren habe auch die Dokumentationspflicht zugenommen. Seit der Einführung des Mindestlohns 2015 gilt auch die Pflicht zur Dokumentation der Arbeitszeiten von Teilzeitkräften und geringfügig Beschäftigten – die vorzugsweise in Diskotheken arbeiten. „Diese bürokratischen Anforderungen sind nicht von Pappe“, sagt Balke. Der Arbeits- und Kostendruck führe zu Schließungen. „Die Boomzeiten der Disko sind vorbei“, sagt er. Aber auch: „Sie sind trotzdem noch nicht out.“