Braunschweig. „Reichsbürger“ betrachten die Bundesrepublik nicht als legitimen Staat. Ein Handbuch soll Behörden im Umgang mit den Verschwörungstheoretikern helfen.

Ein Leser, der anonym bleiben möchte, merkt an:

Ich vermisse eine qualifizierte juristische Auseinandersetzung mit dem Thema „Reichsbürger“. Es geht dabei ja um Friedensverträge, die Gültigkeit des Grundgesetzes u.ä.

Zum Thema recherchierte Johannes Kaufmann

Sogenannte Reichsbürger zweifeln an der staatsrechtlichen Legitimation der Bundesrepublik Deutschland. Sie sprechen stattdessen von einer „BRD GmbH“, was etwa an der Bezeichnung Personalausweis zum Ausdruck komme – ein Ausweis für das Personal eines Unternehmens, nicht die Bürger eines Staates. Stattdessen betrachten sie sich als Bürger des Deutschen Reiches, das nach wie vor weiterbestehe.

Und damit liegen sie nicht einmal ganz falsch. Laut einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1973, das von „Reichsbürgern“ häufig zitiert wird, geht das Grundgesetz vom Fortbestehen des Deutschen Reichs aus. Die Bundesrepublik ist somit kein neuer Staat, sondern ein Teil des alten Reichs, der neu organisiert wurde. Allerdings unterschlagen die „Reichsbürger“ zumeist einen wichtigen Teil dieses Urteils. Dieser besagt, dass die Bundesrepublik „als Staat identisch mit dem Staat ‚Deutsches Reich‘“ ist – nicht allerdings mit seinem Territorium. Somit ist die Bundesrepublik nicht, wie häufig behauptet, Rechtsnachfolger des Reichs, in gewisser Weise ist sie mit ihm identisch – als Staat des deutschen Volkes, aber ohne Anspruch auf seine alten Grenzen.

Ein zweiter Pfeiler der Reichsbürger-Ideologie ist der fehlende Friedensvertrag zwischen Deutschland und den Alliierten. Auch hierbei handelt es sich um eine historische Tatsache. Daraus leiten die „Reichsbürger“ ab, dass Deutschland noch immer besetzt und nicht souverän sei. Im Potsdamer Abkommen von 1945 wird die „abschließende Regelung“ unter anderem der territorialen Grenzen auf die Zeit nach Abschluss eines Friedensvertrags verschoben.

Allerdings haben die drei westlichen Alliierten bereits 1955 im „Deutschlandvertrag“ die Besatzung für beendet erklärt und der Bundesrepublik die volle Souveränität zugesichert. Darüber hinaus nimmt der „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ von 1990 zwischen den beiden deutschen Staaten und den vier Alliierten im Titel „Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland“ explizit Bezug auf das Potsdamer Abkommen. Damit akzeptierten alle Beteiligten alle offenen Fragen inklusive der des Territoriums als geregelt.

Nach Einschätzung verschiedener Sicherheitsbehörden sind rund 1000 Personen in Deutschland der Reichsbürger-Bewegung zugehörig. Einige, aber nicht alle, werden dem rechtsextremen Spektrum zugezählt. Auch für notorische Querulanten und manche psychisch Kranke ist die Ideologie attraktiv.

Zum Problem werden „Reichsbürger“ zumeist nicht wegen rechtsextremer Gewalt, sondern weil einige von ihnen versuchen, öffentliche Verwaltungen mit einer Flut von Einsprüchen, Vorwürfen und Drohungen lahmzulegen. Um die Angestellten in Behörden im Umgang mit „Reichsbürgern“ zu unterstützen, hat das Brandenburgische Institut für Gemeinwesenberatung daher 2015 ein Handbuch zu dem Thema herausgegeben.

Darin werden zwar viele Behauptungen der „Reichsbürger“ widerlegt, in ihrem Beitrag „Durchs wilde Absurdistan: Was zu tun ist, wenn ‚Reichsbürger‘ und öffentliche Verwaltung aufeinandertreffen“, raten die Autoren allerdings, sich nicht auf Diskussionen einzulassen. Den Reichsbürgern gehe es nämlich „nicht um schlüssiges Argumentieren oder Darstellen einer rationalen Position, sondern um Verzögerung des Verwaltungsverfahrens mit dem Ziel, dieses zum Abbruch zu bringen“. Das Vorbringen des „Reichsbürgers“ als absurd zu bezeichnen, sei zwar in der Sache richtig, könne aber am Ende zu eine Reihe sehr aufwendiger Dienstaufsichtsbeschwerden führen. Stattdessen empfehlen die Experten, auf der Sachebene des Verwaltungsvorgangs zu bleiben und diesen konsequent und schnell abzuarbeiten. Ein Jahr nach Erscheinen ist die zweite Auflage des Handbuchs bereits vergriffen.