Braunschweig. Um die Nitratbelastung im Grundwasser zu senken, müsse die Landwirtschaft umgebaut werden, ist Niedersachsens Landwirtschaftsminister überzeugt.

Nitrat im Grundwasser

Rund 30 Prozent der Grundwasserkörper in Deutschland sind stark mit Nitrat belastet. In Niedersachsen wird der Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter sogar auf 60 Prozent der Fläche überschritten. Hauptquelle für den Nitrateintrag sind Düngemittel aus der Landwirtschaft. Johannes Kaufmann sprach über das Problem mit Niedersachsen Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne).

Herr Minister, die EU hat ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen hoher Nitratgehalte im Grundwasser eingeleitet. Müssen wir uns Sorgen um unser Wasser machen?

Unser Trinkwasser ist sauber und von hoher Qualität. Dennoch sind in Niedersachsen fast 50 Prozent der Grundwasserkörper und entsprechend 60 Prozent der Landesfläche zu stark mit Nitrat belastet, das ist erschreckend. Viele Brunnen dürfen nicht mehr zur Trinkwassergewinnung genutzt werden. Das verursacht bei den Wasserverbänden erhebliche Kosten. Auch mit dem Oberflächenwasser haben wir Probleme, wenn etwa Seen umkippen, weil der hohe Phosphatzufluss aus dem Dünger zu Algenblüten führt. Und auch in Weser und Ems sind die Nährstofffrachten eindeutig zu hoch.

Laut dem Umweltministerium wurden in 210 von 1112 Messstellen im Land Nitratwerte von mehr als 50Milligramm pro Liter gemessen. Dennoch heißt es, 60 Prozent der Flächen in Niedersachsen seien betroffen. Ist es sinnvoll, einen Grundwasserkörper insgesamt als belastet zu klassifizieren, wenn nur eine von mehreren Messstellen darin überhöhte Werte aufweist?

Es ist richtig, dass nicht jeder Brunnen eines belasteten Grundwasserkörpers betroffen ist. Fakt ist aber, dass die diffuse Belastung der Flächen in Niedersachsen doppelt so hoch ist wie im Bundesschnitt mit etwa 30 Prozent. Deswegen plädiere ich an die Landwirtschaft, nicht abzustreiten, dass in diversen Regionen ein großes Problem besteht. Die Landwirtschaft ist dafür der Hauptverursacher, und deshalb müssen wir das zusammen mit der Landwirtschaft in den Griff bekommen.

Der Nitratbericht des Bundes von 2012 zeigt einen positiven Trend. Warum hat sich dieser umgekehrt?

Es gab in den vergangenen Jahren einen massiven Ausbau der industriellen Massentierhaltung. Die Zahl der Hühner und Schweine hat stark zugenommen. Und die Biogasanlagen haben diesen Trend verschärft. Die Gärreste tragen ebenfalls zum Nitratproblem bei, werden bislang in der Düngeverordnung aber gar nicht ausreichend erfasst. Das muss sich ändern. Das Wasser unterscheidet nicht, ob das Nitrat aus einer Biogasanlage kommt oder aus dem Schweinestall. Außerdem messen wir im Grundwasser jetzt das, was vor 20 Jahren passiert ist. Es dauert sehr lange, einen solchen Trend wieder umzukehren

Der Bund plant eine neue Düngeverordnung. Wann ist mit der Umsetzung zu rechnen?

Im Dezember soll darüber im Bundesrat abgestimmt werden. Wir warten darauf schon seit drei Jahren. Die EU-Kommission hat Deutschland bereits wegen Nichteinhaltung der EU-Nitratrichtlinie vor dem Europäischen Gerichtshof angeklagt. Das ist das schärfste Schwert, das die EU hat. Ein zweites Vertragsverletzungsverfahren wurde von der EU gegen Deutschland aufgrund der Wasserrahmenrichtlinie eingeleitet. Auf Deutschland als Umweltsünder kommen da Strafzahlungen in Millionenhöhe zu, wenn wir unsere Düngeverordnung nicht endlich ans Umweltrecht anpassen.

Was können die Länder tun, wenn der Bund sich weiter Zeit lässt?

In Niedersachsen handeln wir bereits, aber ohne die neue Düngeverordnung ist das sehr mühselig. Wir haben gemeinsam mit dem Umwelt- und dem Bauministerium einen Runderlass zur besseren Datenerfassung bei der Lagerung und beim Verbleib von Wirtschaftsdünger, also Gülle, Gärreste und andere organische Nährstoffe, herausgegeben. In einem gemeinsamen Projekt mit der Landwirtschaftskammer und den Wasserverbänden geht es um die Zertifizierung von Gülle-Börsen. Wir haben mit Millionenaufwand unsere Düngebehörde, die Landwirtschaftskammer, aufgestockt, und wir haben gerade die Landkreise angeschrieben und zur gezielten Ursachenforschung aufgefordert, wo in den Grundwassermessstellen besonders hohe Nitratgehalte vorkommen.

Was können die angeschriebenen Kreise tun?

Wir können dort im Einzelfall prüfen, ob die Nährstoffbilanzen der Betriebe stimmen oder ob womöglich ein Landwirt zu viele Tiere pro Hektar hält und nicht ausreichend Gülle verbringt. Und wir haben allein im vergangenen Jahr mehr als 1000 Bußgelder wegen Verstößen gegen die Düngeverordnung verhängt, ein deutlicher Anstieg.

Was muss die neue Düngeverordnung leisten?

Wir brauchen einen automatisierten Datenabgleich. Momentan stochern wir als Düngebehörde im Nebel. Wir wissen, dass große Teile Westniedersachsens überdüngt sind, rechnerisch 40 000 Hektar. Das errechnen wir aus der Anzahl der Tiere, der Biogasanlagen und den anfallenden Nährstoffen. In Niedersachsen sind das fast 60 Millionen Tonnen an Kot, Gülle und Gärreste. Das verrechnen wir mit der landwirtschaftlichen Fläche. Selbst wenn die optimal ausgenutzt wird, muss aus dem Weser-Ems-Gebiet ein großer Teil der Gülle in östliche Landesteile verbracht werden. Wenn ein Landwirt nicht genügend eigene Flächen hat, muss er seine Gülle zum Beispiel von Vechta ins Braunschweiger Land bringen. Wir erfassen, wie viel Gülle und Kot aus dem einen Landkreis in einen anderen verbracht wurde. Wenn wir diese Daten verbinden, merken wir, dass da noch eine Lücke ist. Rechnerisch wird in Westniedersachsen etwa eine Fläche so groß wie der Bodensee überdüngt. Da gibt es einige schwarze Schafe, wenige Betriebe, die offenbar die Kosten des Transports scheuen. Aber wir wissen nicht, welche Betriebe das sind. Wir können nur Zufallskontrollen durchführen. Es darf aber nicht sein, dass es billiger ist, Gülle auf den nächsten Maisacker der Überschussregion zu kippen, statt dass sie umweltfreundlich künstlichen Mineraldünger in Ackerbauregionen ersetzt.

Sie sprechen von Bußgeldern und schwarzen Schafen. Ist das Problem, dass bestehende Vorgaben nicht eingehalten werden, oder sind die Vorgaben zu lasch?

Beides. In einigen Landkreisen haben wir viel zu viele Tiere. Deswegen fördern wir in solchen Regionen den Neubau von Ställen nicht mehr, sondern machen Auflagen, damit die Tierzahl dort nicht mehr steigt. Im vergangenen Jahr hatten wir auch erstmals einen leichten Rückgang der Schweine, Hühner und Puten in diesen Regionen. Auch unsere Tierschutzanstrengungen unterstützen das: Wenn die Schweine 20 Prozent mehr Platz bekommen im Stall, hat man auch 20 Prozent weniger Schweine im genehmigten Stall und damit weniger Dünger – so hat das der Präsident der Landwirtschaftskammer kürzlich zusammengefasst.

Ist die intensive Form der Tierzucht, wie sie zum Beispiel in Vechta oder Cloppenburg praktiziert wird, mit Wasserschutz vereinbar?

Aus ökologischer und auch ökonomischer Sicht sind da Grenzen des Wachstums erreicht oder überschritten. Es sind dort keine Flächen mehr vorhanden, wo der Dünger ordnungsgemäß ausgebracht werden könnte. Und viele Transporte und ein regelrechter Gülletourismus sind ja auch nicht wünschenswert. Deswegen haben wir uns der sanften Agrarwende verschrieben. In Cloppenburg, Vechta und im Emsland steigen die Tierzahlen nicht mehr. Die Tierschutzanstrengungen des Landes werden das verstärken. Wenn der Bauer für sein Tierwohl-Fleisch 20 Prozent mehr Geld und für seine faire Weidemilch einen höheren Milchpreis bekommt, kann er auch von einem geringeren Tierbestand leben.

Die Tierzucht-Schwerpunkte im Westen des Landes werden aber bestehenbleiben?

Langfristig brauchen wir eine bessere Verteilung von Tieren in Niedersachsen. Daher fördern wir tierwohlgerechte Ställe vor allem in Regionen mit wenigen Großvieheinheiten. Wer etwa in Peine oder Wolfenbüttel einen Bio-Legehennenstall bauen will, kommt eher in unser Förderprogramm als ein Bauer in Cloppenburg oder Vechta. Es ergibt keinen Sinn, in Gifhorn nur das Futter anzubauen, um es dann nach Cloppenburg zu bringen und schließlich die Gülle wieder nach Gifhorn zu transportieren.

Da kann man gleich den tierwohlgerechten Stall in Gifhorn bauen. Das spart Transporte und schafft regionale Kreisläufe.

Der Landwirt kann mit seinem und seinem Stall aber nicht umziehen.

Nein, aber wir haben überall innovative Landwirte und können dafür sorgen, dass neue Ställe eher in vieharmen Regionen entstehen.

Brauchen wir einen Neustart der Landwirtschaft, wie Ihre Parteikollegin Bärbel Höhn fordert?

Wir wollen einen grundlegenden Umbau der Tierhaltung. Dazu zählt vor allem das Tierwohl: Die Ställe müssen an die Tiere angepasst werden, nicht umgekehrt. Wir wollen einen Ausstieg aus der industriellen Massentierhaltung und einen Umbau zu einer tierwohlgerechten Landwirtschaft, die nachhaltig ist und in Kreisläufen denkt. Wir haben auch schon einige Erfolge. Es gibt kein Bundesland mit mehr Schweinen, die einen intaktem Ringelschwanz haben. Auch das Kürzen der Schnäbel bei den Legehennen wird jetzt eingestellt. Und wir sind bei Bio- und Freilandlegehennen Marktführer geworden in Deutschland. Schon fast jedes zweite Bio-Ei kommt aus Niedersachsen.

Extensive landwirtschaftliche Betriebe nutzen Nährstoffe und Energie weniger effizient als hochspezialisierte Intensivbetriebe. Brauchen wir dann nicht am Ende mehr Energie, mehr Fläche und mehr Nährstoffe für dieselben Erträge?

Biologische und tiergerechte Haltung handelt in Kreisläufen. Momentan haben wir eine industrielle Tierhaltung, die viel Futter aus Südamerika bezieht. Dieses zumeist genmanipulierte Soja-Futter wird hier verbraucht, und am Ende haben wir viel zu viel Phosphat und Nitrat. Unsere Böden werden überdüngt, während in vielen Teilen der Welt die Böden auslaugen. Landesweit werden in Niedersachsen derzeit etwa 40 000 Tonnen Phosphat und 80 000 Tonnen Stickstoff über den Bedarf der Pflanzen hinaus gedüngt. Das hat mit einer effizienten oder ressourcenschonenden Landwirtschaft nichts zu tun. Deshalb plädieren wir dafür, mehr heimisches Futter anzubauen und fördern den heimischen Eiweißfutter-Anbau. Ich halte die industrielle Landwirtschaft langfristig weder für nachhaltig noch für effizient, wenn wir am Ende für billiges Fleisch im Laden mit erhöhten Gesundheitskosten und Wasserpreisen bezahlen.

Sie sprechen die ausgelaugten Böden an. Unser Leser Gerd Marquard aus Salzgitter fragt, ob es nicht möglich wäre, überschüssige Gülle in Länder mit Nährstoffmangel zu exportieren.

Zunächst haben wir in den Ackerbauregionen in Ostniedersachsen noch eine Menge Potenzial für den Einsatz von organischen Dünger. Dadurch kann man dort künstlichen Mineraldünger einsparen. Die Landwirtschaftskammer hat errechnet, dass sich bis zu 100 Millionen Euro für Mineraldünger einsparen ließen, wenn mehr Dünger aus der Weser-Ems-Region in die Regionen Braunschweig, Hannover oder Lüneburg verbracht würde. Das ist gut für die Umwelt. Wenn Dünger emissionsarm und präzise mit neuen Techniken ausgebracht und nur so viel gedüngt wird, wie die Pflanze braucht, kann der gesamte Phosphatbedarf und etwa die Hälfte des benötigten Stickstoffs aus den Resten tierischer Produktion und von Biogasanlagen gedeckt werden.

Beim Mineraldünger sind Verluste und Verarbeitung durch die Pflanze besser bekannt als bei organischem Dünger. Entsteht da ein Risiko für Landwirte, dass durch unzureichende Düngung die Erträge oder der Proteingehalt der Pflanzen sinken?

Genau da setzen wir mit einem neuen Verbundprojekt an. Wir fördern mit der Landwirtschaftskammer in den Aufnahmeregionen von organischem Dünger eine intensive Beratung der Landwirte. Außerdem sprechen wir mit den Transportunternehmen über eine Zertifizierung der Gülle-Transporte. Denn nicht jede Gülle, jeder Hühnertrockenkot hat den gleichen Nährstoffgehalt. Dieser soll präzise ermittelt werden, damit der Landwirt gezielt düngen kann. Im vergangenen Jahr hatten wir das Problem, dass zwar mehr Gülle in die Regionen Braunschweig und Lüneburg gebracht wurde, gleichzeitig aber der Absatz von Mineraldünger gar nicht verringert wurde. Erfreulicherweise habe ich aber gerade vom Landvolk erfahren, dass im aktuellen Jahr der Absatz von Mineraldünger nun endlich gesunken ist. Wenn Dünger entsprechend dem Nährstoffbedarf der Pflanzen eingesetzt wird, sind auch keine Ertrags- oder Qualitätseinbußen zu befürchten.

Ihr Ministerium befindet sich häufig in Frontstellung zu den Landwirten. Ziehen Sie beim Nitrat an einem Strang

Ich habe mich sehr über die Aussagen von Ulrich Löhr vom Braunschweiger Landvolk in Ihrer Zeitung gefreut, dass er die Probleme in Teilen des Landes anerkennt und dass wir das gemeinsam – auch durch eine bessere Aus- und Verbringung – gemeinsam lösen müssen. 95 Prozent der Landwirte verhalten sich ordnungsgemäß und überdüngen nicht. Deshalb ist es im ureigenen Interesse der Landwirtschaft, zu fairen Bedingungen zu kommen, an die sich in Zukunft alle halten. Denn wenn einige wenige durchs Netz rutschen, fällt das auf die gesamte Landwirtschaft zurück, auch wenn wir vielerorts keine flächendeckende Belastung der Böden haben. Deswegen arbeiten wir sehr eng mit den Landwirten bei der Lösung dieses Problems zusammen.