Schöningen. Archäologen stießen in Schöningen auf Reste eines Säbelzahntigers. Der spektakuläre Fund wirft Fragen auf.

Ein Leser „Tillich“ sagte auf unseren Internetseiten über den Säbelzahntiger-Fund von Schöningen:

Jetzt wissen wir, weshalb die Leute die Speere haben einfach fallen lassen ...

Die Antwort recherchierte Michael Strohmann

Dass der Urzeit-Mensch von Schöningen vor etwa 300 000 Jahren in ständiger Furcht vor dem Säbelzahntiger gelebt hat, ist durchaus möglich. Der spektakuläre Fund von Überresten des gefährlichsten Tieres der Eiszeit im Schöninger Braunkohletagebau wirft jedenfalls ein neues Licht auf die Bedeutung der weltbekannten Schöninger Speere. Sie könnten dem Homo heidelbergensis, so die Annahme der Forscher, nicht nur zur Jagd auf Wildpferde gedient haben, sondern auch als Verteidigungswaffe gegen den gefährlichen Angreifer auf vier Beinen.

Mit diesem Aspekt werde ein neues Kapitel aufgeschlagen in der Diskussion um Fähigkeiten und Verhalten des frühen Menschen, sagte gestern Prof. Dr. Thomas Terberger vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege bei der Präsentation der Säbelzahntiger-Funde im Schöninger Speere-Erlebniszentrum Paläon. Was, wenn sich die Schöninger Urzeit-Jäger überhaupt nur durch den Einsatz ihrer bis zu 2,3 Meter langen Holzspeere und einer ebenfalls in Schöningen entdeckten schweren Lanze gegen die Raubtier-Konkurrenz behaupten konnten? Eine Frage, der die Archäologen laut Terberger in den nächsten Jahren nachgehen werden.

Womöglich werden sie bei weiteren Grabungen auch noch auf einen der mehr als zehn Zentimeter langen oberen Eckzähne des Säbelzahntigers stoßen. Bislang haben die Archäologen um den Grabungsleiter Dr. Jordi Serangeli von der Universität Tübingen vier Schneidezähne des ausgestorbenen Raubtieres gefunden – nur 50 Meter entfernt vom Fundort der berühmten Holzspeere, die 1994 entdeckt wurden. Ein Glücksfall für die Forscher, dass es sich um einen jungen Säbelzahntiger gehandelt hat. „Die Zähne sind kaum abgenutzt, ein wahrer Bilderbuchfund“, frohlockte Terberger. Er kenne weltweit keine besser erhaltenen Exemplare, ergänzte Serangeli.

Dass Mensch und Raubtier nebeneinander existierten, dafür hat es bislang in Mitteleuropa an archäologischen Belegen gefehlt. Der Säbelzahntiger, dem mittelfristig die erste große Sonderausstellung im Schöninger Paläon gewidmet werden soll, hatte messerscharfe Krallen und brachte es auf eine Schulterhöhe von bis zu 1,1 Metern und eine Länge bis zu 2 Metern. Sein Gewicht von 200 Kilogramm entspricht dem eines heutigen Löwen. Zu seiner Beute dürften Pferde und junge Elefanten gehört haben.

Auf den bedeutenden Fund stießen die Archäologen schon Mitte Oktober 2012. „Ich wusste zunächst nicht, auf was wir da gestoßen waren“, blickte Jordi Serangeli am Dienstag zurück. „Ich hatte so etwas noch nie gesehen.“ Es habe Monate gedauert und die Mitarbeit von Experten der Universität Leiden in den Niederlanden erfordert, um den Zahn- und Knochenfund wissenschaftlich exakt bestimmen zu können. Erst als eine gesicherte Bewertung der Grabungsergebnisse möglich war, habe man sich an ihre Präsentation gemacht.

Als Prachtstück des Schöninger Fundes gilt ein 4,5 Zentimeter langer, schwarzer Zahn. Seine sägezahnartige Riffelung ist hervorragend erhalten geblieben. Die Schwarzfärbung ist eine Folge der jahrtausendelangen Lagerung in huminsäurereichen Schichten.

Die Paläon-Verantwortlichen sehen die Bedeutung des Forschungs- und Erlebniszentrums am Rande des Schöninger Tagebaus durch den neuerlichen archäologischen Top-Fund nicht nur bestätigt, sondern gestärkt. Das Paläon spiele in jeder Hinsicht in der Champions League, betonte der Vorsitzende des Fördervereins Schöninger Speere, Wolf-Michael Schmid. Der Verein setze alles daran, dass das so bleibe. Die Überreste des Säbelzahntigers sorgten für einen „zweiten Motivationsschub“ – nach dem Auffinden der ältesten Holzjagdwaffen der Menschheit.