Braunschweig. Der Dauerregen hat Straßen überflutet und Keller volllaufen lassen. Schunter, Oker oder Leine führen so viel Wasser wie seit Jahren nicht mehr.

Unser Leser Julian Kurzidim aus Braunschweig fragt

Warum gab es die Überschwemmungen? Man hatte doch den Eindruck, dass es zumindest keinen Wolkenbruch, sondern normales, wenn auch andauerndes Regenwetter gab. War das Hochwasser also absehbar?

Die Antworten recherchierte Dirk Breyvogel

Von Bauernregeln kann man ja halten, was man will. „Ist der Frühling trocken, gibt’s einen nassen Sommer“, heißt beispielsweise eine, die den Menschen in unserer Region bestimmt nicht über die Lippen kommt. Denn schon der Frühling fiel in diesem Jahr kalt und im Laufe der Zeit extrem nass aus. Viel schlechter kann, nimmt man sich die Regel zu Herzen, der Sommer nicht werden.

Der Dauerregen der letzten Tage hat dazu geführt, dass die Pegelstände von Oker, Schunter, Aller, Innerste, Leine oder Fuhse extrem angestiegen sind. Im Süden Braunschweigs liefen auch gestern Keller voll, die Bahnstrecke zwischen Braunschweig und Hildesheim war wegen einer Überflutung im Raum Hoheneggelsen zeitweise gesperrt, und in Sarstedt im Kreis Hildesheim kämpften Hunderte von Feuerwehrleuten darum, den Ort vor der Überflutung zu bewahren.

„Wir haben fast überall Stufe drei ausgerufen. Die Scheitel der Flüsse sinken zwar leicht. Wir haben aber Pegelstände, beispielsweise an der Schunter in Harxbüttel, die über drei Meter liegen. Das ist mehr als zwei Meter mehr als der Durchschnittswert, bezogen auf die letzten zehn Jahre“, sagt Herma Heyken, Pressesprecherin des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. Die Lage ist und bleibt ziemlich angespannt. Heyken: „Sollten die Meteorologen Recht behalten, kann es noch bis Samstagmorgen in der Region rund um Braunschweig durchregnen.“

Hochwasser-Experten wie Gerhard Riedel vom Leichtweiß-Institut für Wasserbau der TU Braunschweig analysieren, wie Überschwemmungen entstehen und wie der Schaden für Menschen und Gebäude so gering wie möglich gehalten werden kann. Eine einfache Antwort hat er auf die Frage des Lesers aber auch nicht. Riedel ist überzeugt: „Hochwasser sind nicht zu verhindern. Und sie werden immer von individuellen Faktoren beeinflusst“, sagt der promovierte Ingenieur.

Zu den Faktoren gehört neben dem Zeitpunkt und dem Ort auch die Regenmenge – und die habe es derzeit in sich. Riedel macht den Unterschied zwischen der Hochwasser-Lage an großen Gewässern wie dem Rhein und der Lage in Südost-Niedersachsen deutlich: „Die Vorwarnzeit ist hier viel geringer. Wenn es Hochwasser am Rhein gibt, wissen das die Einsatzkräfte und die Anwohner meist drei Tage vorher. Das Wasser aus dem Harz ist in der Regel schneller da.“

Die Forscher beobachten an regenreichen Tagen wie diesen die Oberläufe der Flüsse. Oberlauf, erklärt Riedel, sei in erster Linie eine Zeit- und erst dann eine geografische Angabe. „Starkregen lässt die Oberläufe schnell ansteigen, das Wasser fließt dann in Wellen in Richtung Unterlauf ab. Oft ist es so, dass mehrere Oberläufe von Flüssen in ein und denselben Unterlauf fließen. Im schlechtesten Fall kann der Unterlauf dieses Wasser nicht mehr aufnehmen, und es kommt zu Überschwemmungen.“

Unser Leser Andreas Fischer aus Wolfenbüttel fragt

Hat sich der Hochwasserschutz der vergangenen Jahre bewährt? Oder liegt es an der Verteilung der Regenmenge, dass die Lage sich so entwickelt hat?

Wissenschaftler Riedel sieht die Region gut aufgestellt beim Hochwasser-Schutz. „Es wurden Rückhaltebecken gebaut und auch Überschwemmungs-Polder eingerichtet.“ Man müsse aber die genaue Wetterlage in diesen Tagen berücksichtigen. „Rückhaltebecken verhindern in der Regel nur, dass kurze kräftige Wolkenbrüche zu einer plötzlichen Überflutung eines Ortes führen. Wenn es Tage oder Wochen dauerhaft regnet, sind auch diese Sicherheitsvorkehrungen überfordert“, erläutert er.

Früher seien Kommunen nach dem Motto verfahren: Wir versprechen den Bürgern die absolute Sicherheit. Heute wisse man: Wer in der Nähe von Flüssen baut, geht ein Restrisiko ein.

Für Riedel ist die Frage der Renaturierung von Flussläufen keine Frage von richtig oder falsch. „Wünschenswert ist das natürlich, aber es ist zu teuer und nicht finanzierbar.“ Das sei die bittere Wahrheit, auch für diejenigen, die jetzt Vorwürfe gegen Städte erheben würden, weil sie glauben, es seien keine Vorsichtsmaßnahmen ergriffen worden. Hochwasserschutz richte sich immer danach, wie hoch der Schaden für Menschen und Gebäude sein könnte. „Der beste Hochwasserschutz ist, nicht nahe von Flussläufen zu bauen.“

Herma Heyken vom Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz kennt allerdings aus dem Alltag ihrer Arbeit die Bemühungen der Kommunen, neue Baugebiete auch gegen den Naturschutz durchzusetzen. „Das ist zwar die Ausnahme und nicht die Regel. Es kommt aber immer wieder vor“, sagt Heyken, deren Behörde in Niedersachsen schon gut 4000 Kilometer Flusslauf gesichert hat.

Mit sichern sei gemeint, Flussläufe auch hinsichtlich ihrer Gefahr von Überschwemmungen zu überprüfen und die Ergebnisse den Kommunen mitzuteilen, sagt sie. „Wir gehen bei unseren Berechnungen vom ungünstigsten Fall aus, einem Jahrhundert-Hochwasser, und markieren dann die betroffenen Gebiete. In der Regel wird kein Überschwemmungsgebiet als privates Baugebiet ausgeschrieben.“ Es käme aber vor, dass Städte und Kommunen bei geplanten Industriegebieten eigene Gutachter schicken, um die Werte der Behörde zu prüfen.

Rekord-Niederschlag in Braunschweig

Die aktuelle Wetterlage macht Häuslebauer in unserer Region nicht optimistischer. In den Wohngebieten nahe den übervollen Flüssen ist keine Entwarnung in Sicht. Immer wieder ziehen Tiefdruckgebiete über den Südosten Niedersachsens hinweg. Elke Roßkamp vom Deutschen Wetterdienst in Hamburg hat die Zahlen für unsere Region herausgesucht und stellt fest: „Dieser Mai ist so nass wie seit langer Zeit nicht mehr. In manchen Regionen gab es noch nie so viel Regen. In Braunschweig wurde schon am Dienstag der Rekord-Niederschlag für einen Mai gebrochen.“

Der bisherige Rekord wurde im Jahr 1961 gemessen. Damals lag die Niederschlagsmenge bei 156,2 Litern Regen pro Quadratmeter, in diesen Tagen ist die Grenze von 178 Litern bereits überschritten. Die Messstation in Salzgitter-Lichtenberg hat ebenfalls eine neue Rekordmarke erreicht.

Auch für den Mai, der im Volksmund gern als Wonnemonat bezeichnet wird, gibt es Bauernregeln: „Ein kühler Mai wird hoch geacht’, hat stets ein gutes Jahr gebracht“, heißt es. Hoffentlich.

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