Wolfenbüttel. Der Wolfenbütteler Andreas Molau wendete sich ans Ausstiegsprogramm des Verfassungs- schutzes. Keiner will den Lehrer einstellen. In der Freiwilligenagentur kommt er unter Leute.

Andreas Molau (links) war Spitzenkandidat der NPD bei der Landtagswahl 2008 in Niedersachsen. Hier schritt er mit Parteichef Udo Voigt zum Wahlkampfauftakt ins Congress Centrum Hannover.
Andreas Molau (links) war Spitzenkandidat der NPD bei der Landtagswahl 2008 in Niedersachsen. Hier schritt er mit Parteichef Udo Voigt zum Wahlkampfauftakt ins Congress Centrum Hannover. © Lübke/dpa

Der Fall des ehemaligen rechtsradikalen Funktionärs Andreas Molau eignet sich bestens, um diese Frage zu beantworten: Der im Kreis Wolfenbüttel lebende 45-Jährige erlebte das Innenleben radikaler Parteien als Funktionär. Und er wird über das Ausstiegsprogramm „Aktion Neustart“ des niedersächsischen Verfassungsschutzes betreut.

„Ich habe lieber alle an einem Tisch und gucke ihnen gerade ins Gesicht.“
„Ich habe lieber alle an einem Tisch und gucke ihnen gerade ins Gesicht.“ © Astrid Hunke-Eggeling, Leiterin der Freiwilligenagentur Wolfenbüttel

Dieses ist ein Beispiel dafür, wie der Staat versucht, Extremisten zurück ins normale Leben zu holen – ein schwieriges und auch gefährliches Unterfangen:

Andreas Molau (rechts) engagiert sich ehrenamtlich in der Freiwilligenagentur in Wolfenbüttel – und arbeitet dort eng mit seinen jungen Kollegen aus Migrantenfamilien zusammen: Besnik Salihi (vorne), Sezer Kücük (hinten) und Christina Becker. Hier bereiten Sie ein Fest in der Stadt vor, bei dem sich Menschen mit und ohne Behinderung näher kommen sollen.
Andreas Molau (rechts) engagiert sich ehrenamtlich in der Freiwilligenagentur in Wolfenbüttel – und arbeitet dort eng mit seinen jungen Kollegen aus Migrantenfamilien zusammen: Besnik Salihi (vorne), Sezer Kücük (hinten) und Christina Becker. Hier bereiten Sie ein Fest in der Stadt vor, bei dem sich Menschen mit und ohne Behinderung näher kommen sollen. © Uwe Hildebrandt

Sezer Kücük (27), Besnik Salihi (21), Christina Becker (19) und Andreas Molau (45) sind ein eingespieltes Team. Sie sitzen erst am Konferenztisch des Raumes der Freiwilligenagentur in Wolfenbüttel. Dann gehen sie zum Computer. Ihr Baby, das „1. gemeinschaftliche Parkplatzfest für Menschen mit und ohne Behinderung“, ist in die heiße Planungsphase eingetreten. Am 10. Mai soll es an der Wolfenbütteler Hauptkirche steigen.

Molau hat viel Erfahrung mit Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungsmanagement, mit ausgefeiltem Formulieren. Er war schon Pressesprecher einer Bundespartei, er organisierte einen ganzen Europawahlkampf, er brachte mit pointierten Reden Säle zum Brodeln. Von diesen Erfahrungen können Sezer, Christina und Besnik profitieren, das Begegnungsfest wird gelingen. Und dann ist auch noch die Stimmung bestens. Die Vier duzen sich, sie scherzen zwischendurch.

Was sich hier in einem Wolfenbütteler Büro abspielt, ist schwer zu begreifen. Denn Molau war unter anderem Spitzenkandidat der niedersächsischen NPD bei der Landtagswahl 2008. Er war Vorstandsmitglied der Bundespartei. Er war in Sitzungen dabei, in denen Parteifreunde den Holocaust leugneten. Zur nationalsozialistischen Ideologie, zu der sich NPD-Funktionäre immer wieder bekennen, gehörte die Tötung von Behinderten und der Kampf gegen Fremde. Noch immer ist eine Molau-Rede im Internet zu sehen, in der er gegen Döner-Buden wettert und „No-Go-Areas für Schwarze“ fordert. Zuletzt engagierte er sich bei der islamfeindlichen Partei Pro-NRW.

Und nun sitzt der selbe Mann hier mit Besnik, einem Kosovaren mit albanischen Wurzeln. Mit dem türkischen Staatsbürger Sezer. Und mit Christina, deren Familie aus Kirgistan nach Deutschland kam. Alle drei geben für die Freiwilligenagentur Tanz- und Fitnesskurse.

Besnik, der 2010 den Gemeinsam-Preis des Braunschweiger Doms und unserer Zeitung gewann, unterrichtet zum Beispiel die „Breakdance-Omis“. Christina gibt einen Fitness-Kurs für Muslima, das Kopftuch behalten die meisten dabei auf.

In besagter Rede hatte sich Molau für die Schärfung der deutschen Identität eingesetzt. Gäste, so erklärte er, hätten eine besondere Eigenschaft: Sie reisen wieder ab.

War es für seine drei Mitstreiter kein Problem, als Molau ihnen die Hand reichte? „Mich interessiert dieser Hintergrund nicht“, sagt Besnik Salihi, „ich gucke mir an, ob es läuft – und mit ihm läuft es sehr gut.“

Molau hat mit den jungen Wolfenbüttelern gerade ein weiteres Projekt gestartet. Senioren werden im Umgang mit neuer Kommunikationstechnik geschult, zum Beispiel mit Smartphones. Heute soll das erste Schulungstreffen sein. Der Andrang ist groß. Und Molaus Medien- und Technikkompetenz sowie die didaktischen Fähigkeiten des ausgebildeten Lehrers sind für die Freiwilligenagentur ein Gewinn. Es ist unverkennbar, wie Molau sich bemüht, Gutes zu tun.

„Schon allein die Tatsache, dass er hierher kommt und mit uns zusammenarbeiten will, ist doch ein Grund, nicht mehr skeptisch zu sein“, sagt Christina Becker. Und auch Sezer, dessen Name hier wie „Cäsar“ ausgesprochen wird, pflichtet ihr bei. Er will nicht anderen das zufügen, was ihm ständig widerfährt, erzählt der 27-Jährige: „Egal, wo man hinkommt, wird man als Kanake wahrgenommen.“ Sezer erlebte, wie er nach einer längst bereuten Straftat von anderen weiter gemieden wurde. Er spricht die denkwürdigen Worte: „Ich weiß, wie es ist, eine Person mit Vergangenheit zu sein.“

Andreas Molau bekommt seine Vergangenheit mit voller Wucht zu spüren, wie er erzählt. Seit er sich vor einem Jahr an das Ausstiegsprogramm des Verfassungsschutzes gewendet hat, musste er viel erdulden. Ihm wurde im Internet gedroht, dem „Demokratenschwein“, der „Judensau“. Er wisse ja, was mit Hochverrätern passiere. Die Polizei fuhr Streife vor seinem Haus.

Besonders frustrierend war für den 45-Jährigen, dass keiner auf seine Qualifikationen zurückgreifen wollte. Molau erzählte in Telefonaten oder bei Bewerbungsgesprächen von seiner Vorgeschichte, damit es später kein böses Erwachen gibt. Im Moment seines Outings sei stets eine Klappe gefallen, erzählt er, so einen wie ihn wolle man nicht. Das galt auch für karitative Einrichtungen wie die Caritas. Beim Arbeitsamt gilt er als nicht vermittelbar. Häufig bekam Molau diesen Satz zu hören: „Das klingt schön, was sie sagen, aber ich glaube Ihnen nicht.“

Astrid Hunke-Eggeling von der Freiwilligenagentur Wolfenbüttel ist die große Ausnahme. Sie zögerte nur einen kurzen Moment, beriet sich mit ihrem Vorstand. Doch dann schoss ihr ein Grundsatz in den Kopf: „Zu uns kann jeder kommen, alle haben die gleichen Voraussetzungen.“ In der Freiwilligenagentur sei sowieso eine bunte Mischung an Menschen aktiv. Und außerdem, so Hunke-Eggeling: „Ich habe lieber alle an einem Tisch und gucke ihnen gerade ins Gesicht, als dass sie woanders sind und keiner mit ihnen redet.“

Es ist genau das, was Molau sich für Aussteiger wie ihn wünscht: Nicht die Schotten dichtmachen, sondern reden! „Ich verstehe, dass da Misstrauen ist. Ich habe Verständnis dafür, dass die Menschen wissen wollen, wie ehrlich solch ein Wandel ist“, sagt Molau. Das könne man aber nur erfahren, wenn man ihn arbeiten lasse und mit ihm spreche.

Geht das also so einfach, dass man erst gegen Ausländer wettert und sie dann als Gegenüber schätzt? Kann man einen Schalter umlegen? Oder ist Molaus Häutung doch nur eine große Inszenierung, die der Tatsache geschuldet ist, dass ihm in den zerstrittenen rechtsradikalen Parteien ein Aufstieg verwehrt blieb?

„Ich habe keinen Schalter umgelegt, das war ein jahrelanger Prozess“, erzählt der 45-Jährige. Und bei den Zusammenkünften mit ihm wird deutlich, dass er seinen Ausstieg ernst meint. Molau erzählt, wie ihm die rechtsradikalen Zirkel unangenehmer geworden seien. Es habe Hinterzimmertreffen gegeben, in denen dem Nationalsozialismus gehuldigt wurde – seine Forderung, sich von diesem Bezug zu lösen, sei abgewiesen worden.

Er erzählt von einem Doppelleben: Als Funktionär habe man gegen Ausländer gewettert und sich im Familienurlaub mit Menschen aus anderen Ländern gut verstanden. Er erinnert sich noch, wie sein Zahnarzt ihm unterbreitete, dass er einen Rechtsradikalen nicht mehr behandeln werde – „zum Glück vor der Behandlung und nicht währenddessen.“

Molau erzählt, wie ihm die Versammlungen in düsteren Sälen bisweilen Beklemmungen bereiteten – und wie er doch seinen Anhängern die Parolen lieferte, die sie hören wollten. Hinterher habe er öfter ein ungutes Gefühl gehabt. Seine Rede, in der er gegen Dönerbuden und Schwarze wetterte, ist ihm peinlich. „Ich weiß, dass ich Schaden angerichtet habe“, sagt er. Er gibt zu, dass es ein erhebendes Gefühl gewesen sei, wie ihn bei seiner Rede zum niedersächsischen Wahlkampfauftakt 2008 in Hannover die Delegierten gefeiert hätten.

Sein Frust, so erzählt Molau, sei immer größer geworden. Er erlebte die Grabenkämpfe. Als Molau einmal mit sich rang, für den Parteivorsitz zu kandidieren, sagte ein NPD-Mitarbeiter zu ihm: „Molau, du bist ein guter Kamerad. Aber dein Großvater war Halbjude – für einen Führungsposten bist du ungeeignet.“ Molau galt als „Achteljude“, so redeten Parteifreunde übereinander.

Auch seine Weltanschauung habe sich geändert, erzählt er. Er habe verstanden, dass es keinen homogenen Volkskörper gibt, wie ihn die NPD erträumt. Und es gebe auch keinen „netten Nationalismus“, wie er ihn gewollt habe. Er wisse nun, dass sich Menschen zugleich als Türken und Deutsche fühlen könnten. Molau: „Das beides gleichzeitig geht, das habe ich damals nicht geglaubt.“

Dass sein Ausstieg so lange auf sich warten ließ, sei damit zu erklären, dass dieser ihm nahezu unmöglich erschien. 2012 war es dann so weit, wohl auch, weil der Vater von zwei Kindern seiner Familie die Ausgrenzungen und die ständigen Postenwechsel nicht mehr zumuten wollte.

„Der niedersächsische Verfassungsschutz hat in Beratungen Herrn Molau in seinem Entschluss bestärkt, sich von der Szene zu lösen“, erklärte gestern Anke Klein für die Behörde. Voraussetzung für einen solchen Ausstieg sei, dass dieser glaubhaft vollzogen werde – „wir beurteilen ihn als glaubhaft“, so Klein. „Durch die öffentlich an der Szene geäußerte scharfe Kritik hat er sich jede Rückkehr dorthin verbaut.“ Molau ist ein besonderer Fall, denn das Ausstiegsprogramm ist zu allererst auf junge Aktivisten ausgerichtet. Ihr rechtsextremes Weltbild ist noch nicht so gefestigt, sie sind weniger stark in Strukturen eingebunden. „Der Ausstieg aus der rechtsextremistischen Szene ist generell ein langwieriger Prozess der Begleitung“, sagt die Verfassungsschützerin. Neben einer regelmäßigen Beratung suchen die Helfer auch mit nach einem Job, damit die Integration in die Gesellschaft gelingt.

ANDREAS MOLAU

Der 45-Jährige, der in einem Dorf im Kreis Wolfenbüttel wohnt, studierte Deutsch, Geschichte und Politologie auf Lehramt. Linke Lehrer, die keine andere Meinung zugelassen hätten, hätten sein Interesse für nationales Gedankengut geweckt, wie er erzählt. Nach dem Studium arbeitete er als Redakteur bei der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“. Anschließend wurde er bei der Braunschweiger Waldorf-Schule angestellt, der Molaus Vorleben nicht bewusst war. Acht Jahre arbeitete Molau dort. Er und seine Frau hätten damals immer wieder Angst gehabt, „dass die Bombe platzt“, erzählt er. 2004 kündigte er schließlich selbst. Es hatte erste vorsichtige Nachfragen zu seiner Vita gegeben. Und er wollte die Chance ergreifen, für die gerade in den sächsischen Landtag eingezogene NPD-Fraktion zu arbeiten. Auch seine Kinder mussten die Waldorf-Schule verlassen. 2007, er war inzwischen Pressesprecher und wissenschaftlicher Mitarbeiter der NPD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern, wollte Molau sogar für den Bundesvorsitz der NPD kandidieren. „Ich hätte das unter der Voraussetzung gemacht, dass sich die Partei liberalisiert“, sagt er heute. Stattdessen beziehe sich die NPD noch immer zwanghaft auf den Nationalsozialismus. Dennoch war Molau Spitzenkandidat der NPD bei der Landtagswahl in Niedersachsen Anfang 2008. Anschließend wechselte er zur Deutschen Volksunion (DVU), deren Pressesprecher er wurde. Er habe auch den Europawahlkampf für die DVU organisiert, erzählt Molau. Ab 2009 versuchte Molau erstmals, als Selbstständiger Fuß zu fassen. Mit einem ebenfalls aus der NPD ausgetretenen Partner gründete er eine Werbeagentur, der jedoch mit der Zeit die Aufträge ausblieben. Seine letzte Station im rechtsextremen Parteienspektrum war schließlich die islamfeindliche Partei „Pro NRW“. Wie schon bei NPD und DVU seien ihm auch hier die Unprofessionalität der Arbeit und die ideologischen Widersprüche deutlich geworden. Vor einem Jahr, im Mai 2012, wendete sich Molau an das Ausstiegsprogramm des Niedersächsischen Verfassungsschutzes.