Braunschweig.

Kaum ein anderes hochschulpolitisches Thema polarisiert so sehr wie die Studiengebühr. Sieben westdeutsche Bundesländer haben in den vergangenen Jahren eine Studiengebühr eingeführt; fünf von ihnen haben sie inzwischen wieder abgeschafft, nur Bayern und Niedersachsen sind übriggeblieben. Der Streit dreht sich um die Frage: Hält die Studiengebühr junge Menschen aus Familien mit geringem Einkommen vom Studium ab? Bei der Suche nach der Antwort findet man Studien und Statistiken – aber keine eindeutige Antwort.

„Die Studenten wissen die Leistung zu schätzen, die sie für die Studiengebühr bekommen. Sie entwickeln ein besonderes Verantwortungsgefühl.“
„Die Studenten wissen die Leistung zu schätzen, die sie für die Studiengebühr bekommen. Sie entwickeln ein besonderes Verantwortungsgefühl.“

Was zahlen Studenten in Niedersachsen?

Die Studiengebühr, auch Studienbeitrag genannt, ist ab dem ersten Semester fällig und beträgt pro Semester 500 Euro, also rund 83 Euro im Monat. Neben der Studiengebühr ist an allen Hochschulen ein Semesterbeitrag zu zahlen; er beinhaltet das Semesterticket für den öffentlichen Nahverkehr, Beiträge für das Studentenwerk und die studentische Selbstverwaltung sowie einen Verwaltungskostenbeitrag. Semesterbeiträge werden von allen Hochschulen in Deutschland erhoben; die Höhe variiert und liegt in der Regel zwischen 180 Euro und 260 Euro.

„Bildung ist keine Ware für Privilegierte, die man nur gegen Bezahlung konsumieren kann. Bildung ist ein öffentliches Gut und muss allen frei zur Verfügung stehen.“
„Bildung ist keine Ware für Privilegierte, die man nur gegen Bezahlung konsumieren kann. Bildung ist ein öffentliches Gut und muss allen frei zur Verfügung stehen.“

Was bringt die Studiengebühr

den Hochschulen?

„Gegen den Semesterbeitrag von 250 Euro ist nichts einzuwenden, aber dass wir inklusive Studiengebühr pro Semester 750 Euro zahlen, ist nicht mehr angemessen.“
„Gegen den Semesterbeitrag von 250 Euro ist nichts einzuwenden, aber dass wir inklusive Studiengebühr pro Semester 750 Euro zahlen, ist nicht mehr angemessen.“

In Niedersachsen kommen landesweit pro Jahr rund 100 Millionen Euro zusammen, davon zum Beispiel 10 Millionen Euro an der TU Braunschweig, 8 Millionen an der Ostfalia Hochschule und 2,7 Millionen an der TU Clausthal. Das Geld fließt nicht in den Landeshaushalt, sondern kommt den Hochschulen direkt zugute. Sie müssen es für die Verbesserung der Lehre und der Studienbedingungen verwenden. Die Studenten entscheiden mit über den Einsatz des Geldes.

Nach Angaben der Landeshochschulkonferenz werden je nach Hochschule 40 bis 70 Prozent dieser Einnahmen für Personal verwendet, der Rest unter anderem für Lehr- und Lernmittel, längere Bibliotheksöffnungszeiten, Exkursionen und Laborausrüstungen.

„Die Studiengebühr ist eine Investition, die sich lohnt. Die Absolventen haben in der Regel hohe Erfolgsaussichten am Arbeitsmarkt und sehr gute Verdienstchancen.“
„Die Studiengebühr ist eine Investition, die sich lohnt. Die Absolventen haben in der Regel hohe Erfolgsaussichten am Arbeitsmarkt und sehr gute Verdienstchancen.“

Ein Beispiel: Die TU Braunschweig hat im Jahr 2011 laut Präsident Jürgen Hesselbach aus Einnahmen der Studiengebühr 62 hauptberufliche Mitarbeiter beschäftigt, zum Beispiel Studiengangskoordinatoren, sowie 40 Personen im Bereich Technik und Verwaltung – insgesamt sind das 102 zusätzliche reguläre Arbeitsverhältnisse. Außerdem wurden 1200 nebenberufliche Stellen geschaffen, vor allem für zusätzliche studentische Hilfskräfte im Tutorenbereich, die den Lehrstoff in kleinen Gruppen aufarbeiten.

„Damit können wir die Betreuungsintensität immens erhöhen“, sagt Hesselbach. „Wir führen die inzwischen sinkende Zahl der Studienabbrecher darauf zurück.“

Lukas Jacobs, Asta-Vorstand der TU Clausthal
Lukas Jacobs, Asta-Vorstand der TU Clausthal

Dass die Einnahmen aus der Studiengebühr an den Hochschulen sinnvoll eingesetzt werden und dort notwendig sind, ist unumstritten. Die Frage ist nur, wer diese Summe aufbringen soll: die Studenten oder der Staat, also alle Steuerzahler?

Die Befürworter der Studiengebühr –

Landesregierung und Rektoren

Die Mehrzahl der Hochschulrektoren und Wissenschaftsministerin Johanna Wanka (CDU) sehen sie keine Anhaltspunkte für eine Benachteiligung von Studenten aus Familien mit geringem Einkommen – schließlich könne jeder Student ein Studienbeitragsdarlehen aufnehmen.

Hierbei handelt es sich um einen Kredit bei der landeseigenen N-Bank, der mit maximal 7,5 Prozent verzinst wird; derzeit liegen die Zinsen deutlich darunter. Die Rückzahlung beginnt zwei Jahre nach Beendigung des Studiums, und auch nur dann, wenn ein Einkommen von mehr als 1170 Euro netto erzielt wird. Für die Rückzahlung hat man 20 Jahre Zeit.

Einige Hochschulen haben zudem Stiftungen eingerichtet, um Studenten in Härtefällen zu unterstützen.

Ministerin Wanka zufolge gibt es daher keinen Grund, weshalb junge Menschen wegen der Studiengebühr vom Studium in Niedersachsen abgehalten werden sollten. „Die Hochschulen erfreuen sich nicht trotz, sondern wegen der Studienbeiträge eines guten Rufes“, sagt sie. So komme etwa an der Ostfalia jeder vierte Student aus einem Bundesland ohne Studienbeiträge.

Die Gegner der Studiengebühr –

Studenten und Opposition

Die Allgemeinen Studierendenausschüsse (Asta) der niedersächsischen Hochschulen fordern eine komplette Abschaffung der Studiengebühr. „Sie führt dazu, dass neben Kindern aus Arbeiterfamilien vor allem junge Frauen vor den Kosten beziehungsweise der Verschuldung zurückschrecken und deswegen auf ein Studium verzichten“, sagt Michaela Lange (26) vom Asta-Vorstand der TU Braunschweig.

Lukas Jacobs vom Asta-Vorstand der TU Clausthal weist darauf hin, dass etliche Studenten Probleme hätten, ihr Studium zu finanzieren. „Nicht jeder kriegt einen Nebenjob, und nicht jeder Nebenjob lässt sich mit dem Studium vereinbaren – man will aber auch nicht verschuldet ins Berufsleben starten“, sagt der 21-Jährige. Ähnlich sieht es Maximilian Burkhardt vom Asta-Vorstand der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig: „Ich kenne einige, die nicht studieren, weil sie es sich nicht leisten können.“

Etwas andere Töne sind von Jakob Kraus zu hören. Der 22-Jährige vom Asta-Vorstand der Ostfalia in Salzgitter gehört zu jenen wenigen Studenten, die zwiegespalten sind. „Ich bin im Grunde für eine Studiengebühr, aber nicht in dieser Höhe und noch nicht im Grundstudium“, sagt er. „Ich finde es ungerecht gegenüber denjenigen, die nicht studieren, wenn mein Studium komplett vom Staat bezahlt wird, obwohl ich später wahrscheinlich gut verdienen werde.“

Die Oppositionsparteien im niedersächsischen Landtag sehen in der Studiengebühr eine Hürde für junge Menschen aus einkommensschwachen Familien. Die beiden wissenschaftspolitischen Sprecherinnen von SPD und Grünen, Gabriela Andretta und Gabriele Heinen-Kljajic, nennen vor allem zwei Argumente gegen die Studiengebühr:

Zum einen habe Niedersachsen mit 31 Prozent eine der schlechtesten Studienanfängerquoten in Deutschland; die Quote zeigt den Anteil der Studierenden an der gleichaltrigen Bevölkerung. Zum anderen habe Niedersachsen den größten Wanderungsverlust aller Bundesländer: Die Zahl der wegziehenden Studenten ist deutlich größer als die der herziehenden.

Was sagen Wissenschaft und Statistik?

Ein Blick in Studien und Erhebungen liefert keine klare Antwort. Ein Überblick:

▶ Im September 2012 hat das Mannheimer Zentrum für europäische Sozialforschung eine Studie zur sozialen Ungleichheit beim Hochschulzugang veröffentlicht. Das wichtigste Ergebnis: Kinder aus Akademiker-Haushalten haben eine sechsmal so hohe Chance, ein Studium aufzunehmen, wie Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern. Zur Studiengebühr schreibt der Autor aber nur Folgendes: „Zum Effekt der Studiengebühren auf die soziale Ungleichheit gibt es bisher nur wenige und nicht eindeutige Befunde.“

▶ Im Juni 2012 veröffentlichte das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung eine Studie zur Auswirkung von Studiengebühren auf die Studierneigung. Grundlage waren Befragungen von Studenten in den Jahren 2002 bis 2008 durch das Hochschul-Informationssystem. Das Fazit der Autoren: „Es zeigten sich keine Hinweise, dass nach der Einführung von Studiengebühren die Studierneigung in Ländern mit Studiengebühren stärker zurückgegangen wäre als in Ländern ohne Studiengebühren.“

▶ Im Jahr 2008 wurde vom Hochschul-Informationssystem eine im Auftrag des Bundesbildungsministeriums erstellte Studie veröffentlicht. Die Ergebnisse basieren auf einer Befragung von rund 5000 Jugendlichen Ende 2006 und Anfang 2007, die gerade ihr Abitur absolviert hatten – Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen hatten zu diesem Zeitpunkt gerade die Studiengebühr eingeführt, andere Länder standen kurz davor.

Fazit: Knapp vier Prozent der Befragten gaben an, dass sie das gewünschte Studium nicht aufnehmen werden, weil sie sich die Studiengebühr nicht leisten könnten. Mehr als die Hälfte dieser vier Prozent schloss aber nicht aus, später dennoch zu studieren.

▶ Das Deutsche Studentenwerk kam bei einer Erhebung im Jahr 2009 zu folgendem Ergebnis: Die Studenten, die in einem der gebührenpflichtigen Länder ihre Hochschulzugangsberechtigung erworben haben, bleiben genauso häufig zum Studium in einem dieser Länder wie vor Einführung der Studiengebühren. „Die in den Diskussionen häufig geäußerte Erwartung einer ,Gebührenflucht‘ findet insofern keine Bestätigung“, heißt es.

Außerdem wird in dem Bericht darauf hingewiesen, dass Studenten aus eher bevölkerungsarmen Flächenländern generell mobiler sind als Studenten, die in ihrem Bundesland ein breites Angebot an Hochschulen vorfinden. Dies gilt besonders für die norddeutschen Bundesländer: Mehr als die Hälfte der Studierwilligen aus Brandenburg, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen geht demnach in ein anderes, häufig angrenzendes, Bundesland. Die Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin profitieren von diesem Zuzug.

Wie geht es weiter?

Bei einem Wahlsieg wollen SPD und Grüne die Studiengebühr zum Wintersemester 2014/2015 abschaffen und den Hochschulen die wegfallende Summe ersetzen. Bei den Grünen heißt es zur Höhe der Kompensation: „möglichst vollständig“. Die SPD spricht von mindestens 100 Millionen Euro pro Jahr. Diese Summe soll durch Umschichtungen im Haushalt frei werden – so will die SPD laut Gabriela Andretta unter anderem prüfen, ob alle bestehenden Förderprogramme für die Ernährungsindustrie nötig sind. Außerdem sollen die Einnahmen des Landes durch einen höheren Spitzensteuersatz und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer aufgebessert werden – das allerdings ist Bundesrecht und von entsprechenden Mehrheiten abhängig.

Die Hochschulrektoren gehen davon aus, dass die Studiengebühr auch bei einem Wahlsieg von CDU und FDP vor ihrem Ende steht. Kaum einer glaubt daran, dass Niedersachsen die Gebühr als bundesweit einziges Land weiter erheben wird, wenn Bayern sich demnächst auch davon verabschiedet. Und dem Versprechen der Opposition, den Wegfall zu kompensieren, vertrauen die Rektoren nicht – dafür sei die Haushaltslage viel zu angespannt.