Hannover. Phil Collins sticht schmerzlich heraus beim ersten von zwei Hannover-Konzerten der legendären, aber auch sichtlich gealterten Band auf Abschiedstour.

Das war’s dann, nach fast zweieinhalb Stunden. Das zwölftletzte von hunderten Konzerten, die Genesis in ihrer langen Karriere gespielt haben. Die sieben Musiker verbeugen sich und gehen ab, bis auf drei, die Arm in Arm stehenbleiben. Die Kerncrew: Phil Collins, Mike Rutherford und Tony Banks. Sie verneigen sich noch einmal für den anhaltenden Applaus der fast 10.000 Fans in der Hannoveraner ZAG-Arena. Bevor sie, Collins gestützt auf einen Krückstock, langsam von der Bühne abtreten. Unter stehenden Ovationen – wohl mehr für das Lebenswerk des Trios, als für diesen speziellen Abend.

Keyboarder Banks und Bassist und Gitarrist Rutherford lernten sich schon als Schüler an der elitären Charterhouse School im englischen Surrey kennen. 1967 gründeten sie Genesis, 1970 stieg Collins ein, zunächst als Schlagzeuger. 1975 ersetzte er den ausgestiegenen Frontmann Peter Gabriel als Sänger. In der Folge entwickelten sich Genesis von einer avantgardistischen Progressive-Rock- zu einer chartstauglichen Mainstream-Band. Der Erfolg kulminierte Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre mit den Alben „Invisible Touch“ und „We Can’t Dance“. Collins war auch solo zum Superstar aufgestiegen. Von Genesis wandte er sich ab. Bis zur Reunion-Tour des Trios 2007. Und nun, noch einmal 15 Jahre später, der Abschiedstour: „The Last Domino?“.

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Eine Gruppe älterer Herren

Neue Songs gibt’s seit 25 Jahren nicht mehr. Also spielen Rutherford, Banks und Collins, alle knapp über 70, Titel der Last-Domino-Best-of-CD, fast exakt in der Album-Reihenfolge. Wie an jedem Abend ihrer wegen der Covid-Pandemie teils verschobenen Abschiedstour. Diese Routine merkt man den Musikern auch an. Sie wirken nicht lustlos, aber eben doch wie eine Gruppe älterer Herren, die mit stoischer Ruhe eine feste Folge von teils komplexen Songs in komplett durcharrangierter Form gewissenhaft abarbeitet.

Collins sticht in mehrerer Hinsicht heraus. Zum einen, weil er offensichtlich der Gebrechlichste des Trios ist. Er humpelt, von Rutherford gestützt, mit einem Krückstock auf die Bühne. Dort singt der 71-Jährige im Sitzen, wie schon auf seiner Solo-Abschiedstour im Hannoveraner Stadion im Sommer 2019. Seine kehlige Stimme ist noch etwas brüchiger und enger geworden. Sie hebt sich scharf ab vom ziemlich bombastisch schwellenden Sound der Band. Medial ins Riesenhafte vergrößert sind die Falten in Collins gealtertem Gesicht zu sehen, das gezeichnet ist von körperlichen Leiden und wohl auch von quälenden Streitigkeiten nach unglücklichen Ehen.

Opulent und blutarm

Ganz in schwarz gekleidet stellt Collins seine Hinfälligkeit bewusst aus. Das wirkt durchaus würdevoll. Die intensivsten Songs werden aus Schmerz geboren, und Collins hat solo und mit Genesis so einige dieser Art geschrieben. Denen haucht er mit seiner schneidend hellen Stimme bei aller Hinfälligkeit immer noch Leben ein, manchmal fast grimmig. Und strahlt damit eine schmerzliche Intensität aus, die Rutherford, Banks und ihrem langjährigen Co-Bassisten und Gitarristen Daryl Stuermer abgeht, trotz aller handwerklichen Qualitäten. So richtig nimmt ihr zwölftletztes Konzert, das erste von zweien in Folge in Hannover, keine Fahrt auf. Klassiker der Collins-Ära wie „Mama“, „Home by the Sea“ und „Fading Lights” kommen zwar mit eindrucksvoll bis überfrachtet opulentem Sound daher. Aber unter den Keyboard-lastigen Klanggebilden wirken sie blutarm.

Das kann auch Collins‘ kongenialer Sohn Nic am Schlagzeug nicht ganz wettmachen. Der 20-Jährige trommelt, gelegentlich stolz beäugt vom Papa, ebenso versiert und kraftvoll wie einst jener. Seine Drums sind auch mit den Collins-typischen Hall- und Kompressionseffekten belegt, was den ohnehin üppigen Genesis-Sound noch weiter aufpumpt. Zwei junge Backgroundsänger und Percussionisten komplettieren die Band. Aber schon rein optisch will sich die Jugendgruppe mit den Älteren im statischen Bühnenbild nicht recht mischen. Jeder musiziert konzentriert an seinem Platz, bis die Kernband in der Mitte des Konzerts in kleinerer Besetzung zum Stuhlkreis zusammenrückt und Schmuckstücke wie „Thats‘ All“ und „The Lamb lies down on Broadway“ soundtechnisch leicht abgerüstet zum Besten gibt.

Collins spricht von „Mr. Putins Invasion in die Ukraine“

Knapp 10.000 Fans sind bei diesem ersten Großkonzert in Niedersachsen nach dem Ende der Winterruhe dabei. Theoretisch soll die ZAG-Arena bis zu 13.500 Zuschauer fassen, mit Stehplätzen im Innenraum. Maximal 75 Prozent Auslastung unter 2G plus lässt die aktuelle Corona-Verordnung zu. Komplett bestuhlt wirkt die Halle mit rund 9800 Zuschauern nun bis auf den letzten Platz besetzt.

Collins hat sie im Griff. Nur mit den gestreckten Fingern dirigiert der kleine, kranke Frontmann das Riesenpublikum, wenn er bei „I know what you like“ die Zahl der Schläge anzeigt, die pro Takt mitgeklatscht werden sollen. Zwischendurch moderiert er immer mal wieder ein bisschen, so selbstbewusst wie selbstironisch. Zum 80er-Jahre-Hit „Land of Confusion“ bemerkt Collins, dass er damals gegen die neoliberalen Führer Reagen und Thatcher gerichtet war. Aber man könne ihn auch auf Corona beziehen. „Und nun hat sich Mr. Putin für die Invasion in die Ukraine entschieden. Und so handelt der Song schon wieder von etwas anderem.“

Gegen Ende tanzen auch ein paar Leute

Genesis beenden das reguläre Programm mit „Invisible Touch“, einem ihrer größten Hits, und ein paar Leute in der Riesenarena tanzen jetzt auch. Passend zur Zugabe „I can’t dance“, bevor das Konzert mit dem melancholisch dahinfließenden, soundtechnisch angenehm entschlackten Klassiker „The Carpet Crawlers“ würdevoll ausklingt.