Braunschweig. Fast wäre Mirvete Ismaili an den Sprachschwierigkeiten gescheitert. Doch unterstützende Mitmenschen gaben ihr Kraft. Sie hat sich durchgebissen.

„Den Mutigen und Tüchtigen hilft das Glück“ – so oder ähnlich soll es die römische Göttin Fortuna formuliert haben. Genau lässt sich das nicht mehr sagen. Aber genau sagen lässt sich, dass im Fall von Mirvete Ismaili (geborene Xhelili) der Spruch der Göttin wahr geworden ist.

Die heute 48-Jährige wurde in Albanien geboren und erlebte eine behütete Kindheit in einer Kleinstadt im äußersten Süden Serbiens. Der Balkankrieg trieb die Familie Richtung Westen. Mit 16 Jahren kam Mirvete Xhelili in Braunschweig an. Heute ist sie Chefin im Salon „Stadtfriseur“. „Die größte Hürde war für mich die Sprache“, sagt sie.

Durch Zufall eine Lehrstelle beim Stadtfriseur

Der Vater ist da schon länger als Gastarbeiter in Deutschland. Genauer – in Braunschweig. Also ist das Reiseziel klar. Und nun steht sie hier, fremde Stadt, fremde Sprache, keine Freunde, mitten in der Pubertät. „Es war nicht leicht für mich. Und für meine Familie auch nicht.“ Eigentlich will sie Krankenschwester werden. Aber damals weiß niemand, wie sie das bewerkstelligen könnte.

Ein älterer Bruder, der ebenfalls schon etwas länger in Braunschweig lebt, hat Freunde, und so ergibt sich ein Kontakt zum Stadtfriseur.

Der Laden ist noch jung, Klaus Hochheim hat ihn 1990 an der Casparistraße gegründet. Und er schließt das junge Mädchen aus Albanien ganz offensichtlich in sein Herz. Gemeinsam mit seiner Ehefrau gibt er Mirvete eine Lehrstelle und unterstützt sie, wo es nur geht. „Das ganze Team hat mich aufgenommen wie eine Familie“, sagt die erfolgreiche Geschäftsfrau dankbar.

Doch die Sprachbarrieren drohen ihre berufliche Laufbahn zu stoppen. „Ich habe zwar parallel zur Ausbildung einen Deutschkurs gemacht“, erzählt sie, „aber ich habe fast nichts verstanden.“

Kollegen und der „alte“ Chef glauben an „Fräulein Xhelili“

Geduldig zeigen ihr die Kollegen alles, was im Friseurhandwerk wichtig ist. „Ich weiß noch genau, wie eine Kollegin die Lockenwickler für eine Dauerwelle vor mir hinlegte und mir die Bedeutung jeder einzelnen Farbe erklärte“, erinnert sich die heutige Chefin an ihre Anfänge, „aber ich wusste überhaupt nicht, was sie von mir wollte.“

Ein anderes Mal bittet eine Kundin um die Zeitschrift „Der Spiegel“. Die junge Frau aus Albanien ist komplett verunsichert. „Ich habe nur gedacht: Was will sie? Hier gibt es doch so viele Spiegel?“

Nach einem Jahr verlässt sie der Mut, sie überlegt, wieder in die alte Heimat zu ziehen. „Ich fühlte mich falsch, dumm und leer. Ich habe gedacht, ich schaffe es nicht“, beschreibt sie eine schwere Zeit in ihrem Leben. Aber auch hier steht ihr der Chef zur Seite. „Mensch, Fräulein Xhelili, reden Sie“, fordert er sie auf, ihre Schüchternheit zu überwinden, um mehr Unterstützung zu bitten und Wünsche deutlicher zu äußern.

„Ok, so schlecht kann ich ja nicht sein.“

Wöchentliche Schulungen im Betrieb helfen, ihr Wissen zu vertiefen und Vertrauen aufzubauen. „Ich habe die Kurve gekriegt“, sagt sie. Irgendwann platzt der Knoten, und sie hört auf, nach Perfektion zu suchen, traut sich, auch mit Akzent zu sprechen. „Es ist noch immer zu hören, dass Deutsch nicht meine Muttersprache ist, na und?“, sagt sie heute selbstbewusst.

Als sie ihre praktische Prüfung schließlich mit Gut besteht, versteht auch sie: „Ok, so schlecht kann ich ja nicht sein.“

Einige Zeit nach der Gesellenprüfung empfiehlt ihr der Chef, Erfahrungen auch in anderen Salons zu machen. Sie wechselt zu den Gebrüdern Pach an den Altewiekring und bleibt für drei Jahre. „Ich habe mich sehr wohl gefühlt“, erinnert sie sich, „vor allem habe ich auch dort erlebt, dass andere Menschen etwas in mir sehen, was ich selbst gar nicht erkenne.“

Entscheidung für die Familie

1998 legt sie ihre Meisterprüfung ab und macht sich mit einem Geschäftspartner an der Schöppenstedter Straße selbstständig. Als dieser Partner allerdings aus gesundheitlichen Gründen aufhören muss, beschließt auch sie, auszusteigen. „Ich war damals schon verheiratet und hatte zwei kleine Kinder, das wäre nicht gut gegangen“, erzählt sie von einer Entscheidung, die ihr schwerfiel. Seit 2000 ist sie mit Ilias Ismaili verheiratet. Ein Mann aus ihrer Heimat. Und nach wie vor ihre große Liebe. „Mein Fels in der Brandung“, sagt sie mit leuchtenden Augen, „er unterstützt mich in allem.“

„Sieh zu, dass du nicht abhängig bist“

Aber „nur“ Familie ist für die junge Frau auf Dauer keine Option. „Meine Mutter hatte mir schon als kleines Mädchen gesagt: Sieh zu, dass du nicht abhängig bist.“ Und wie es der Zufall will, trifft sie ihren alten Chef Klaus Hochheim auf der Straße, der direkt sagt: „Kommen Sie doch wieder zu uns.“

Das war 2005. Es folgen lange Jahre einer guten Zusammenarbeit. Der Chef hat sie offensichtlich schon früh als mögliche Nachfolgerin im Blick. „Er hatte die Geduld, auf mich zu warten“, erzählt sie. 2021 schließlich war ihr Jahr. Mitten in der Coronapandemie übernimmt Mirvete Ismaili als neue Chefin den „Stadtfriseur“.

Zehn Angestellte und drei Auszubildende gehören zum Team. Zwei Mitarbeiterinnen waren schon da, als die Chefin noch „Fräulein Xhelili“ war. „Wir mussten alle in die neuen Rollen hineinwachsen“, sagt Mirvete Ismaili,, für sie wurden die Kolleginnen zu Mitarbeiterinnen, für die Mitarbeiterinnen wurde eine Kollegin zur Chefin. Sie haben das geschafft. „Alle sind geblieben“, sagt die Chefin stolz. Und auch die Stammkunden sind den Wechsel in der Führung gern mitgegangen.

Mirvete Ismaili hat ihre Rolle angenommen, weiß ihr Team zu führen. Vom „alten“ Chef habe sie sich viel abgeschaut. „Ich habe ihm oft gesagt: „Chef, Sie haben uns gut erzogen.“

„Ich lebe meinen Traum“

Das Team vom Stadtfriseur (von links): Gabriele Vehrke, Britta Könneker, Anke Blasikiewicz, Mirvete Ismaili, Melani Hilke und Zivadinka Milanovic-Fricke.
Das Team vom Stadtfriseur (von links): Gabriele Vehrke, Britta Könneker, Anke Blasikiewicz, Mirvete Ismaili, Melani Hilke und Zivadinka Milanovic-Fricke. © Bernward Comes

Sie hat ihre Augen und Ohren überall. Und: „Ich kann in den Augen lesen.“ Das hilft, kleine Unstimmigkeiten schon früh zu erkennen und anzusprechen. Und nutzt ihr auch bei Neueinstellungen. „Ich erkenne schnell einen guten Charakter und Ehrlichkeit, das sind die Werte, die für mich zählen“, sagt sie.

Dankbar ist sie auch ihrer Familie. „Ich habe eine wunderbare Familie, die mich großartig unterstützt“, schwärmt sie, „mein Mann hilft mir vor allem handwerklich, die Kinder bei den sozialen Medien.“ Alle wohnen noch zu Hause, regelmäßig geht es gemeinsam zum Urlaub in die alte Heimat nach Preševo .

Werden die Kinder in ihre Fußstapfen treten? „Mein Sohn Riad studiert schon Fahrzeugtechnik“, sagt sie, „und Lora (17) besucht das Gymnasium, sie will sicher auch studieren. Und die kleine Alejna (9) – wer weiß, vielleicht.“

Mirvete Ismaili lebt ihren Traum. „Es war nicht mein Traum, aber er ist es geworden“, sagt sie. Mit Mut und Fleiß hat sie ihr Glück geschmiedet.