Wieda. Mobilitätsfrust im ländlichen Raum: Der Südharz kämpft mit verkehrstechnischer Isolation, meint Redakteur Thorsten Berthold.

Es ist 1997, ich bin in der Oberstufe am Päda und freu mich - nicht. Nicht weil ich auf das Gymnasium in Bad Sachsa gehe, sondern weil die Frage, wie ich zwischen meinem Wohnort in Wieda und der Schule hin und her komme, eine logistische Herausforderung ist. Die Freistunden im Stundenplan waren schon damals mit dem Fahrplan der Busse kaum zu vereinbaren. Gar nicht daran denken möchte ich, was es bedeutet hätte, das Gymnasium in Herzberg zu besuchen. Dann wäre ich neben dem Bus auch noch auf die Bahn angewiesen. Der Slogan „Die Bahn kommt“ wirkte schon Ende der 1990er irgendwie zynisch.

Noch absurder wird es für mich aber, wenn man sich das Problem der Bahn zwischen Walkenried und Ellrich anschaut. Die Wiedervereinigung ist zwar schon drei Jahrzehnte her, aber Niedersachsen und Thüringen spielen dort immer noch Bullshit-Bingo miteinander: „Zahl Du die Verbindung im Südharz. Nein, Du!“, scheinen sich die Verantwortlichen auf beiden Seiten der Ländergrenze zuzurufen, mit dem Ergebnis, dass die Grenzregion aus verkehrstechnischer Sicht nach wie vor besteht.

Bahnfahren im Südharz: Auch drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung gibt es eine Grenze vor Ort

Kein Wunder also, dass sich die Menschen vor Ort abgehängt fühlen. Dort, wo die Entscheidungen getroffen werden, in Erfurt und Hannover ist ja auch alles okay. Mit S-Bahn und Bussen in kurzen Taktungen funktioniert alles bestens. Bei uns im ländlichen Raum im Südharz wäre man schon mit einer weiteren Spätverbindung zufrieden, um auch mal in Göttingen abends Kultur, Party usw. genießen zu können.

Jetzt könnte ich wieder zynisch werden und sagen: Dann nutzen wir alle halt weiterhin das Auto und schieben Verkehrs- und Mobilitätswende weg von uns. Aber selbst das wird einem vermiest: Die tägliche Fahrt auf den Schlaglochpisten der Region lässt einen darüber nachdenken, am besten gleich zu Hause zu bleiben.

Offiziell ist die Grenze zwar seit drei Jahrzehnten Geschichte, der Südharz bleibt nach in letzter Konsequenz weiterhin das ungeliebte Stiefkind.

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