Göttingen. Sensationelle Funde bei Bad Sachsa, Scharzfeld und Göttingen: Biologen entdecken über 100 Jahre lang verloren geglaubte Wildbienenarten. Die Details.

Ohne Bienen und andere Bestäuber wäre unser Leben ärmer - ärmer an Obst und Gemüse, ärmer an biologischer Vielfalt. In den vergangenen Jahrzehnten ist die Zahl der Bienen deutlich zurückgegangen, Dutzende Wildbienen-Arten stehen auf der Roten Liste, sind also vom Aussterben bedroht, oder sie sind sogar bereits ausgestorben. Doch jetzt wurden verschollene Arten wiederentdeckt: In Projekten der Biologischen Schutzgemeinschaft Göttingen e.V. (BSG) und der Georg-August-Universität Göttingen konnten zahlreiche hochgradig gefährdete Wildbienen- und Wespen-Arten nachgewiesen werden - in Niedersachsen sowie auch im Altkreis Osterode und Südharz.

Zu den sensationellen Funden gehören drei Wildbienen-Arten, die in Niedersachsen mehr als 100 Jahre als ausgestorben bzw. verschollen galten, und drei Arten, die erstmals für Niedersachsen nachgewiesen wurden. Untersucht wurden mehrere Flächen inner- und außerhalb von Schutzgebieten, darunter der „Sachsenstein“ im Naturschutzgebiet (NSG) Gipskarstlandschaft bei Bad Sachsa, das NSG „Steinberg“ bei Scharzfeld und der Alte und der Experimentelle Botanische Garten (ABG bzw. EBG) in Göttingen.

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Die Forschungstätigkeiten sind Teil der systematischen Kartierung des Arbeitskreis (AK) Wildbienen der BSG in Südniedersachsen, welcher die Erforschung und den praktischen Schutz der regionalen Wildbienen-Vielfalt und anderer Stechimmen zum Ziel hat. Die Ergebnisse wurden jüngst in der Fachzeitschrift „Ampulex“ veröffentlicht. Autor des Artikels sind die Wildbienen-Experten Fionn Pape und Thomas Fechtler und der Stechimmen-Fachmann Prof. Dr. Christoph Bleidorn, Leiter der Abteilung Evolution & Biodiversität der Tiere. Nachzulesen sind die Veröffentlichungen in der neuesten Ausgabe von „Ampulex“.

Südniedersachsen ist ein Hotspot für hochgradig gefährdete Wildbienen.
Fionn Pape, Erstautor der Studie

Ausgestorbene und seltene Bienen wiederentdeckt - Fionn Pape, BSG-Vorstandsmitglied, Co-Koordinator des Arbeitskreises Wildbienen und Erstautor der Studie, erklärt:

„Südniedersachsen ist ein Hotspot für hochgradig gefährdete Wildbienen und andere Stechimmen wie Gold- und Faltenwespen, das hat unsere Untersuchung erneut gezeigt. Der Wiederfund der in ganz Deutschland extrem seltenen und vom Aussterben bedrohten Ockerköpfigen Herbstsandbiene (Andrena simillima) im NSG Steinberg bei Scharzfeld und der Erstnachweis der Bitterkraut-Wespenbiene (Nomada pleurosticta) am Sachsenstein im NSG Gipskarstgebiet bei Bad Sachsa zeigt insbesondere die enorme Bedeutung der Gipskarstlandschaft Südharz. Herausragender Artenreichtum bedeutet aber auch große Verantwortung – Arten, die landesweit nur in Südniedersachen vorkommen, können auch nur hier geschützt werden. Alle untersuchten Gebiete und die darin vorkommenden Arten sind von einer naturschutzgerechten Pflegenutzung und hier vorwiegend der Weidetierhaltung abhängig. Nun gilt es, Naturschutz-Maßnahmen so zu gestalten, dass die bedrohten Wildbienenarten auch in der Praxis profitieren. Die Biologische Schutzgemeinschaft wird sowohl die Erforschung der regionalen Wildbienen-Fauna als auch ihren praktischen Schutz zusammen mit vielen anderen Akteuren kooperativ vorantreiben.“

Bärenklau-Sandbiene (Andrena rosae), Weibchen. Diese in ganz Deutschland gefährdete Sandbienenart wurde 2022 im Experimentellen Botanischen Garten Göttingen nach über 100 Jahren für Niedersachsen wiederentdeckt.
Bärenklau-Sandbiene (Andrena rosae), Weibchen. Diese in ganz Deutschland gefährdete Sandbienenart wurde 2022 im Experimentellen Botanischen Garten Göttingen nach über 100 Jahren für Niedersachsen wiederentdeckt. © . | Dipl.-Biol. Thomas Fechtler

Thomas Fechtler, Wildbienen-Experte und Co-Autor der Studie, zum Thema:

„Dass botanische Gärten wertvolle Hotspots für das Vorkommen verschiedener Tiergruppen sind, ist bereits häufiger dokumentiert worden. So wurden sowohl im ABG als auch im EBG jüngst jeweils weit über 100 Wildbienen-Arten festgestellt. Erstaunlich war darunter der hohe Anteil sehr seltener und bestandsbedrohter Arten. Der Nachweis der Stacheltragenden Kegelbiene (Coelioxys echinatus) im ABG und der Rosen-Sandbiene (Andrena rosae) im EBG, beides Wiederfunde für die niedersächsische Fauna, betonen den herausragenden Wert unserer botanischen Gärten für den Schutz und den Erhalt sehr seltener Insektenarten im Göttinger Stadtgebiet.“

Botanische Gärten sind wertvolle Hotspots für das Vorkommen verschiedener Tiergruppen.
Thomas Fechtler, Wildbienen-Experte und Co-Autor der Studie

Und: „Insbesondere im ABG haben wir vom AK Wildbienen in den letzten Jahren gezielte Fördermaßnahmen für blütenbesuchende Insekten umgesetzt. Dies geschah und geschieht in enger Zusammenarbeit mit Gartenkustos Dr. Michael Schwerdtfeger. Wir haben Beete angelegt, an denen Besucherinnen und Besucher sehr leicht das interessante Verhalten von Wildbienen beobachten können. Inzwischen vergeht kaum ein Sommertag, an dem nicht zahlreiche Interessierte, oft ,bewaffnet‘ mit Makroobjektiven, an den Beeten niederknien, um seltenen Arten aufzulauern.“

Wildbienen-Vielfalt in Süd-Niedersachsen

Ein Teil der Nachweise erfolgte im Rahmen des BSG-Projektes „Förderung von Hotspots der Wildbienen-Vielfalt in Süd-Niedersachsen. Arten erhalten | Biotope entwickeln | Vielfalt erleben“ (2020-23), das von der Bingo-Umweltstiftung Niedersachsen gefördert wurde. Ein großer Teil der Arbeit erfolgte auch auf ehrenamtlicher Basis bzw. im Rahmen anderweitiger Projekte.

Der insgesamt 13 Info-Tafeln zu Artenvielfalt, Ökologie & ihrem Schutz umfassende Wildbienen-Lehrpfad im Experimentellen Botanischen Garten wurde von den Wildbienen-Fachleuten Thomas Fechtler und Fionn Pape in Zusammenarbeit mit Garten-Kustos Dr. Lars Köhler und weiteren Akteur*innen konzipiert und erstellt. Die Umsetzung wurde ebenfalls von der Bingo-Umweltstiftung Niedersachsen gefördert.

Fechtler weiter: „Auch im EBG wurden jüngst die Wildbienen für Besucherinnen und Besucher leicht erlebbar gemacht: Im Juni dieses Jahres wurde der neue Wildbienen-Lehrpfad eingeweiht. Über 50 Interessierte nahmen an der Veranstaltung teil und wurden von mir zusammen mit dem Wildbienen-Experten Fionn Pape entlang der 13 Stationen geführt. Das Besondere des Göttinger Wildbienen-Pfades: Sämtliche der vorgestellten Arten kommen auch im EBG vor und sind im direkten Umfeld der jeweiligen Schautafeln zu finden, etwas Glück und Sonnenschein vorausgesetzt. Ein Besuch lohnt sich.“

Christoph Bleidorn, Leiter der Abteilung Evolution & Biodiversität der Tiere (Uni Göttingen) & Co-Autor der Studie:

„Andere Stechimmengruppen stehen häufig im Schatten der Wildbienen, obwohl diese ebenso divers und auch ökologisch interessant sind. Die Nachweise der Goldwespe Chrysis leachii am Sachsenstein und Steinberg, und der solitären Faltenwespe Microdynerus nugdunensis in der ,Ballertasche‘ sind faunistisch bemerkenswert. Bisher war das Vorkommen dieser Arten eher auf die südlichen oder östlichen Bundesländer beschränkt und es bleibt zu beobachten, ob sie durch die klimatischen Änderungen nun auch vermehrt weiter nördlich zu finden sein werden.“

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