Scharzfeld. Neueste Funde zeigen: Schon Neandertaler hatten einen Sinn für Statussymbole. Die aktuellen Erkenntnisse aus der Urzeitforschung im Harz.

  • Die Einhornhöhle in Scharzfeld im Südharz enthüllt neue Geheimnisse
  • Funde zeigen: Schon Neandertaler hatten einen Sinn für Statussymbole
  • Die Neandertaler als Höhlenlöwenjäger und Künstler: die Erkenntnisse

Schon der Neandertaler hatte einen Sinn für Statussymbole. Das haben Untersuchungen an eiszeitlichen Tierresten aus der Einhornhöhle in Scharzfeld im Südharz ergeben. Forscher hatten dort 2019 bei Ausgrabungen unter Federführung des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege neben zahlreichen anderen Funden auch einige Knochen des Höhlenlöwen entdeckt.

Bei der Untersuchung der Überreste fiel dem damaligen Grabungsteilnehmer Gabriele Russo vom Institut für naturwissenschaftliche Archäologie der Universität Tübingen eine Schnittspur an einem Zehenknochen auf. Nach Angaben der Forscher ergibt ein Schnitt an dieser Stelle nur dann einen Sinn, wenn das Tier zur Fellgewinnung enthäutet wurde. Das Besondere dabei: Aus der Schnittspur ergibt sich, dass das Tier inklusive der Krallen enthäutet wurde. Die Forscher gehen davon aus, dass die gut sichtbaren Krallen im Löwenfell dem Prestige des Besitzers dienen sollten, teilte das Landesamt am Donnerstag mit.

Steinzeit im Harz: Höhlenlöwen waren die gefährlichsten Tiere

Höhlenlöwen waren die gefährlichsten Tiere der letzten 200.000 Jahre in Eurasien, bis sie am Ende der Eiszeit ausstarben. Die Ergebnisse der neuen Studie sind vor allem deshalb bemerkenswert, weil der Neandertaler lange Zeit als vergleichsweise primitiver Vormensch galt. Inzwischen ist zwar bekannt, dass er effektiv Werkzeuge und Waffen herstellen konnte. Der jetzt untersuchte Knochenfund zeigt nicht nur, dass die Neandertaler das Fell des Höhlenlöwen für sich nutzten, sondern auch, dass das Fell eines solch gefährlichen Tieres für sie eine große Bedeutung hatte, die über den Wert eines reinen Gebrauchsgegenstandes hinausging.

Die Einhornhöhle in Scharzfeld im Südharz ist immer wieder für Überraschungen gut.
Die Einhornhöhle in Scharzfeld im Südharz ist immer wieder für Überraschungen gut. © HK | Verein

Der Sprecher des Verbundprojekts, Professor Thomas Terberger vom Landesamt für Denkmalpflege und dem Seminar für Ur- und Frühgeschichte der Universität Göttingen, verweist darauf, dass der Löwe bis heute als herrschaftliches Symbol gilt. Dies sei offenbar auch schon bei dem Vorläufer des modernen Menschen der Fall gewesen: „Der Wunsch, mit dem Fell dieses gefährlichen Tieres Respekt und persönliche Kraft zu gewinnen, wurzelt allem Anschein nach bereits in der Zeit des Neandertalers.“

Vermutlich wurden die Löwen auch vom Neandertaler gejagt

Ob die Neandertaler Höhlenlöwen auch aktiv gejagt haben, ließ sich anhand der Funde aus der Einhornhöhle allerdings nicht feststellen. Das von dem Knochen abgetrennte Fell hätte auch von einem tot aufgefundenen Tier stammen können. Um dieser noch ungeklärten Frage nachzugehen, nahm der Tübinger Nachwuchswissenschaftler Gabriele Russo andere bereits bekannte Funde von Höhlenlöwen unter die Lupe. Die entscheidende Entdeckung gelang ihm in Siegsdorf in Bayer. 1975 hatte dort ein Jugendlicher exzellent erhaltene Überreste eines Höhlenlöwen entdeckt, die heute im örtlichen Museum ausgestellt sind.

Die Höhlenlöwen waren etwa ein Drittel größer als die heutigen afrikanischen Löwen und ernährten sich von den damals lebenden Herdentieren und größeren Pflanzenfressern.
Die Höhlenlöwen waren etwa ein Drittel größer als die heutigen afrikanischen Löwen und ernährten sich von den damals lebenden Herdentieren und größeren Pflanzenfressern. © stock.adobe.com | zegendos

Bei der Untersuchung des etwa 50.000 Jahre alten Skelettes entdeckte Russo neben zahlreichen Schnittspuren auch eine Beschädigung an einer Rippe, die er zusammen mit der Archäologin Annemieke Mills von der Universität Reading (Großbritannien) als Jagdverletzung identifizierte. Die Rippenverletzung zeige die typischen Bruchmuster einer Verletzung durch eine Waffe, erläutert Russo. Die Forscher vermuten, dass der Löwe wahrscheinlich durch einen Stoß mit einem Speer in den Brustraum getötet wurde, als er bereits am Boden lag. Damit lasse sich erstmals nachweisen, dass der Neandertaler Höhlenlöwen tatsächlich gejagt habe.

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Der Neandertaler war dem modernen Menschen sehr ähnlich

Die Ergebnisse der neuen Studie sind nach Ansicht der Archäologen ein weiteres Indiz dafür, dass der Neandertaler dem modernen Menschen sehr viel ähnlicher war als noch vor kurzem gedacht. Dies zeige auch ein weiterer spektakulärer Fund, der vor zwei Jahren publik gemacht wurde: Die Forscher hatten bei ihrer Grabung im Eingangsbereich der Einhornhöhle einen Knochen eines Riesenhirsches gefunden, der mit einem Winkelmuster verziert war. Dies zeige, dass der Neandertaler bereits Jahrtausende vor der Ankunft des modernen Menschen in Europa in der Lage war, Muster auf Knochen selbständig herzustellen und mit Symbolen zu kommunizieren. „Die neuen Erkenntnisse zum Umgang des Neandertalers mit dem Höhlenlöwen passen somit gut ins Bild“, sagte Terberger. Die Studie wurde in der Zeitschrift „Scientific Reports“ veröffentlicht.

Der Höhlenlöwe

Die Erscheinung der Höhlenlöwen in Europa liegt ungefähr 900.000 Jahre zurück. Mit dem Abschluss der großen Eiszeit vor etwa 10.000 Jahren verschwanden sie aus unseren Regionen. Diese majestätischen Raubtiere waren etwa ein Drittel größer als die heutigen afrikanischen Löwen und ernährten sich von den damals lebenden Herdentieren und größeren Pflanzenfressern.

Interessanterweise unterschieden sich die Höhlenlöwen von ihren afrikanischen Verwandten, da sie keine charakteristischen Mähnen trugen, wie Zeichnungen nahelegen.

Es wird angenommen, dass der Mensch ebenfalls Teil der Nahrungskette der Höhlenlöwen war. Ihre Stärke, Wildheit und Gefährlichkeit übten eine faszinierende Anziehung auf die damaligen Menschen aus. Dies wird durch beeindruckende Mammutelfenbeinschnitzereien von Höhlenlöwen belegt, die im Lonetal entdeckt wurden. Ein Fragment eines über 30.000 Jahre alten Höhlenlöwen aus der Vogelherdhöhle zählt zu den ältesten Kunstwerken der Menschheitsgeschichte.

Vor etwa 10.000 Jahren erlosch das Leben der Höhlenlöwen. Dieses Schicksal teilten sie mit vielen anderen ausgestorbenen Tieren der Eiszeit, da ihre Nahrungsquellen, insbesondere die großen Herden in den offenen Steppen, verschwanden

Die Einhornhöhle Scharzfeld ist ein gigantischer Friedhof

Die Einhornhöhle ist die größte Besucherhöhle des Westharzes. Im Grunde ist sie ein gigantischer Friedhof. Über hunderttausende von Jahren haben sich hier die Skelette von unzähligen Tieren angelagert. Forscher schätzen, dass dort allein etwa 40.000 Höhlenbären verendet sind, die meisten vermutlich während des Winterschlafs. Bei Grabungen fanden sich außerdem Reste von zahlreichen anderen ausgestorbenen Tieren, die während der Eiszeit dort lebten. Neandertaler nutzten die Höhle als Werkstatt und verarbeiteten dort Steine zu Schabern und Spitzen.

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