Braunschweig. Viele Menschen mit Attest sehen sich zu Unrecht ausgeschlossen, etwa weil Geschäfte in der Pandemie auf ihr Hausrecht pochen.

„Ich bin seit Mai 2020 von der Maskenpflicht befreit und habe ein ärztliches Attest. Das nutzt mir aber wenig, ich laufe überall Gefahr, abgewiesen zu werden. Jeder beruft sich auf sein Hausrecht. Zu Unrecht.“ Dies berichtet Rosemarie Manke aus Braunschweig.

Für Rosemarie Manke ist es ein „ständiges Spießrutenlaufen“: Die Braunschweigerin ist gegen Corona geimpft, kann aber aus medizinischen Gründen keine Maske tragen. Ihr Hausarzt hat ihr ein entsprechendes Attest ausgestellt. Sie ist damit von der Maskenpflicht ausgenommen. So steht es in der Corona-Verordnung des Landes. Doch was unsere Leserin erlebt hat, sieht sie im krassen Widerspruch dazu. „Egal ob beim Friseur, auf Reisen, ja sogar bei meiner langjährigen HNO-Ärztin wurde ich abgewiesen“, berichtet sie – alles, weil sie keine Maske trägt.

Sie gibt ein Beispiel: Mehrfach habe sie während der vergangenen anderthalb Jahre versucht, nach Gran Canaria zu fliegen – ihre „zweite Heimat“, wie sie betont. In ihrem Reisebüro erkundigte sie sich, ob die Reise in ihrem Fall auch ohne das Tragen einer Maske möglich sei. Die Reisebüro-Mitarbeiterin habe ihr mitgeteilt: Da sie von der Maskenpflicht befreit sei, gebe es kein Problem. Daraufhin habe sie gebucht. Doch jeweils kurz vor Reisebeginn erkundigte sich Rosemarie Manke telefonisch am Flughafen, um sicherzugehen. Jedes Mal habe man ihr mitgeteilt: „Keine Maske – kein Zutritt!“ Daraufhin habe sie die Reisen stornieren müssen. Auch wenn sie einen Teil des Geldes zurück erhalten habe, sei ihr so ein Schaden von rund 2000 Euro entstanden. „Das macht entweder so mürbe, dass man resigniert. Oder es macht aggressiv und wütend, je länger es andauert.“

„Kein Zutritt“: Für Betroffene eine massive Einschränkung

Ihr Fall zeigt: Für Menschen, die keinen Mund-Nase-Schutz tragen können, bedeutet der verweigerte Zugang zu Geschäften, Praxen, Verkehrsmitteln, Dienstleistungen oder Veranstaltungen eine massive Beeinträchtigung. Besonders empört sie: „Immer muss das Hausrecht als Begründung herhalten. Das ist Diskriminierung – und nicht vom Hausrecht gedeckt.“

Dass manche Geschäfte oder Veranstalter im Corona-Zusammenhang ihr Hausrecht überstrapazieren, berichtete das Landesgesundheitsministerium schon im November 2020. Immer mehr Menschen beschwerten sich, weil ihnen der Zugang zu Geschäften oder öffentlichen Einrichtungen zu Unrecht verwehrt wurde, obwohl sie von der Maskenpflicht befreit sind, berichtete damals Petra Wontorra, Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung. Bei der „Zutrittsverweigerung“ würden sich „Hausherren“ regelmäßig auf ihr Hausrecht berufen.

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Rechtsanwalt: Hausrecht ist sehr weitreichend

Von unserer Zeitung befragt, weist der Braunschweiger Rechtsanwalt Thomas Laskowsky darauf hin, dass das Hausrecht Eigentümern, Mietern oder Pächtern von Immobilien oder Grundstücken grundsätzlich gestattet, den Zutritt zu begrenzen oder auch vollständig zu verwehren. „Das Hausrecht“, erklärt er, „ist sehr weitreichend – somit können auch Konzertveranstalter, Friseursalons, Verkehrsbetriebe oder Flughäfen den Zutritt verwehren“. Der Inhaber des Hausrechts kann festlegen, welche Bedingungen für den Zutritt oder für die Nutzung gelten. „Dazu können dann auch eine Masken- oder Testpflicht gehören“, so Laskowsky. Zudem könne trotz eines ärztlichen Attests eine generelle Maskenpflicht im Einzelfall sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig sein. Die Corona-Verordnung erlaubt Geschäften, Veranstaltern und Anbietern von Dienstleistungen ausdrücklich, Regeln festzulegen, die über die Maßnahmen der Verordnung hinausgehen.

An seine Grenzen stößt das Hausrecht aber, wenn dadurch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verletzt wird. „Unzulässig ist unter anderem eine Diskriminierung aufgrund einer Behinderung“, erklärt der Jurist Laskowsky. Die Berufung aufs Hausrecht darf also nicht dazu führen, dass jemand wegen seiner Behinderung benachteiligt wird. „Und zu einer Behinderung im Sinne des Gesetzes können auch chronische Krankheiten zählen – etwa solche, die das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes unmöglich machen.“

Antidiskriminierungsstelle meldet steilen Anstieg – auch wegen Corona

Unstrittig ist es im Zuge der Corona-Maßnahmen zu Nachteilen für Menschen gekommen, die aus medizinischen Gründen keine Maske tragen oder – wie ein Mann aus dem Landkreis Peine, über den unsere Zeitung Ende September berichtet hat – aufgrund einer Behinderung nicht geimpft oder getestet werden können.

Auch an den Zahlen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) lässt sich dies ablesen. Seit Beginn der Corona-Pandemie ist die Zahl der Anfragen dort in die Höhe geschossen. Den Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen zeigt ein Blick in den aktuellen Jahresbericht für das Jahr 2020, der im Mai dieses Jahres veröffentlicht worden ist. Das Dokument erfasst, wie viele Menschen sich aus verschiedenen Gründen (siehe Grafik) benachteiligt sahen und dies der Stelle meldeten. Nach einem moderaten Anwachsen über die letzten Jahre hinweg gab es 2020 einen steilen Anstieg um rund 80 Prozent von 3580 Anfragen (2019) auf 6383 im Jahr 2020.

„In der Tat hängt eine große Zahl dieser Anfragen mit Corona zusammen“, erläutert ein ADS-Pressesprecher unserer Zeitung. 1904 Fälle – rund 30 Prozent – standen demnach in Zusammenhang mit den Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung. Am deutlichsten fällt der Anstieg bei den Personen aus, die sich aufgrund einer Behinderung oder chronischer Krankheiten diskriminiert sahen. Von 933 im Jahr 2019 stieg ihre Zahl 2020 auf 2631 – fast das Dreifache. Dies sei vor allem auf die vielen Anfragen zum Mund-Nasen-Schutz (1496 an der Zahl) zurückzuführen, die diesem Merkmal zugeordnet wurden. Auch eine entsprechende Beschwerde unserer Leserin Rosemarie Manke ist darunter.

Auch rassistische Diskriminierungen können mit Corona zu tun haben

Ins Auge fällt auch der Anstieg bei der Kategorie „Ethnische Herkunft“. 2020 sahen sich fast doppelt so viele Menschen rassistisch benachteiligt wie im Vorjahr. Auch dieser Anstieg hat laut ADS-Bericht zumindest teilweise mit der Corona-Pandemie zu tun: „Dabei ging es etwa um Dienstleistungen, die mit Verweis auf die asiatische Herkunft einer Person verweigert wurden.“ In der ersten Pandemiephase, als das Virus vor allem in China wütete – US-Präsident Donald Trump sprach damals vom „China-Virus“ – warnte die chinesische Botschaft davor, dass chinesische Bürger auch hierzulande ausgegrenzt oder angefeindet werden könnten. Wie der Bericht zeigt, war diese Sorge offenbar nicht völlig unbegründet.

Allerdings warnt die ADS davor, die Aussagekraft der eigenen Zahlen überzubewerten. „Wir können nicht jeden Einzelfall überprüfen“, sagt der Sprecher der Stelle. Insofern stehe nicht fest, ob hinter jedem gemeldeten Fall tatsächlich eine echte Diskriminierung stehe.

Nicht der Fall ist dies, wenn Menschen der Zutritt verwehrt wird, die aus persönlicher Überzeugung gegen das Aufsetzen einer Maske sind. „Die Pandemie zu leugnen, ist keine Weltanschauung im Sinne des AGG“, stellt der Bericht der Bundesstelle klar. Teilweise sei gezielt dazu aufgerufen worden, sich wegen der Maskenpflicht bei der Bundesstelle zu beschweren. Wie groß der Anteil solch fragwürdiger Anfragen war, lasse sich nicht genau beziffern, heißt es im Bericht der ADS. Man gehe aber davon aus, „dass für die meisten Personen eine reale Betroffenheit bestand“.

Inwiefern eine Diskriminierung im rechtlichen Sinne vorliegt, hängt – wie immer – vom Einzelfall ab. Und der Fall unserer Leserin? Da am Flughafen und im Flugzeug sehr viele Menschen aufeinandertreffen und in der Folge weit „verstreut“ werden, sei das „Infektions- und Verbreitungspotenzial für das Virus“ besonders hoch. Das spricht aus Sicht der ADS „für das Erfordernis einer ausnahmslosen Pflicht“ zum Tragen einer Maske. Um herauszufinden, ob sie doch Recht hat, müsste sie vor Gericht ziehen.

Niedersachsens Behindertenbeauftragte Petra Wontorra fordert, es gar nicht erst soweit kommen zu lassen. Veranstalter und Geschäftsinhaber sollten sich schon vorab auf Menschen einstellen, die aufgrund ihrer Behinderung oder Erkrankung keine Maske tragen oder keine Impfung erhalten können. „Diese Menschen dürfen nicht schlechter gestellt werden als andere“, betont sie. „Hier müssen rechtzeitig Zugangsregeln aufgestellt werden, so dass diese Personen nicht unberechtigt von sozialer, gesellschaftlicher und kultureller Teilhabe ausgeschlossen werden.“