Braunschweig. Die Strahlung von Mobilfunknetzen wie 5G gibt keinen Anlass zur Sorge, sagt die oberste Strahlenschützerin Inge Paulini im Interview.

Mensch und Umwelt vor Schäden durch Strahlung zu schützen – das ist die Aufgabe des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS). Gegründet wurde es 1989, wenige Jahre nach der Tschernobyl-Katastrophe. Seit 2016 ist die in Salzgitter ansässige Behörde nicht mehr zuständig für Atomanlagen und für Atommüll. Die promovierte Toxikologin Inge Paulini (59) leitet das BfS seit 2017. Im Interview spricht sie über die Gefahren durch Sonnenstrahlung, das radioaktive Gas Radon und den neuen 5G-Mobilfunk.

1989 wurde das BfS gegründet, um Zuständigkeiten zu bündeln. 2016 wurden Ihrer Behörde wichtige Zuständigkeiten wieder entzogen. Wie steht das BfS heute, nach gut 30 Jahren, da?

Wir betreiben nach wie vor Strahlenschutz. Nur haben wir heute in unserer fokussierten Form mehr Gelegenheit, uns auf diese Kerntätigkeit zu konzentrieren. Es stimmt: Mit unseren alten Zuständigkeiten ging eine größere öffentliche Sichtbarkeit und mehr politisches Interesse einher. Aber der neue Zuschnitt ist auch eine Befreiung, weil das Thema Endlagerung nicht mehr alles andere überdeckt. Die Umstrukturierung war eine große Zäsur, aber ich finde unser Themenspektrum nach wie vor sehr breit und interessant. Und genug zu tun gibt es auch – nicht zuletzt, die Bevölkerung über viele unserer Themen noch besser zu informieren. Tatsächlich sehen wir, gerade was elektromagnetische Felder und optische Strahlung angeht, in der Bevölkerung, aber auch in der Politik noch gravierende Wissensdefizite.

Wie einfach ist das bei Themen wie dem 5G-Mobilfunknetz, über dessen gesundheitliche Auswirkungen sich nicht nur Bürger, sondern auch Gelehrte streiten?

Was stimmt: Wissenschaftler sind nicht immer einer Meinung. Sie stellen Ergebnisse in Frage und gewinnen so neue Erkenntnisse. Das ist das Umfeld, der fruchtbare Nährboden, in dem wir uns als wissenschaftlich arbeitende Behörde bewegen. Aber: Die Gelehrten streiten sich weniger, als Ihre Frage vermuten lässt. Gerade im Bereich Mobilfunk sind wir auf einer sehr sicheren Seite. Gleiches gilt für die schädlichen Auswirkungen der Sonnenstrahlung. Praktisch niemand bestreitet, dass es einen direkten ursächlichen Zusammenhang gibt zwischen dem Maß, in dem wir uns der Sonne aussetzen und der Entstehung von Hautkrebs.

Die Hautkrebsraten steigen weltweit dramatisch. Liegt das nur an mangelndem Strahlenschutz?

Ja, vor allem. Es hat viel mit dem Lebensstil, dem Urlaubs- und Freizeitverhalten zu tun. Maßgeblich ist die Frage, wie viel wir draußen sind und uns der Sonnenstrahlung aussetzen. Eine im BfS beliebte Eselsbrücke lautet: Zwischen elf und drei – sonnenfrei. Also die Empfehlung, sich mittags nicht in der Sonne aufzuhalten. Aber auch langärmelige Kleidung oder Hüte helfen. Auf unserer Webseite stellen wir eine deutschlandweite UV-Vorhersage bereit, die Auskunft gibt, wie viel Schutz nötig ist. Leider müssen wir davon ausgehen, dass die Hautkrebsgefahr durch den Klimawandel noch weiter zunehmen wird – durch mehr Sonnentage und folglich mehr Aufenthalt im Freien.

Wie kann das BfS hier ganz konkret tätig werden? Können Sie mehr tun, als an die Vernunft der Menschen zu appellieren?

Ich kann und will natürlich niemandem verbieten, in die Sonne zu gehen. Wir arbeiten mit allen zusammen, die sich professionell mit diesem Thema beschäftigen: mit Hautärzten, mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, mit den Wissenschaftsverbänden – auch mit Architekten. Es stellt sich zum Beispiel die Frage: Wie gestalte ich Städte? Wie schaffe ich Schatten auf Schulhöfen, in Kitas oder auf Flächen, auf denen Menschen Sport treiben.

Wieviel Handy-Strahlung nimmt der Körper beim Telefonieren auf? Die SAR-Werte unterscheiden sich von Modell zu Modell.
Wieviel Handy-Strahlung nimmt der Körper beim Telefonieren auf? Die SAR-Werte unterscheiden sich von Modell zu Modell. © Jürgen Runo | Jürgen Runo

Wäre nicht auch denkbar – analog zum Thema Tabak-Werbung – Reklame mit gebräunten Menschen zu untersagen, die sich in fahrlässiger Weise der Sonne aussetzen? Vielleicht verändern wir so unseren Schönheitsbegriff. Das müsste doch im Interesse des BfS sein.

Als BfS können wir solche Verbote nicht aussprechen. Aber wir weisen immer wieder klar darauf hin: Wer sich in die Sonne begibt, um braun zu werden, gefährdet seine Gesundheit und riskiert Krebs. Sehr problematisch sind aus unserer Sicht auch die Solarien. Seit vielen Jahren warnen wir vor diesen – aus gesundheitlicher Sicht – schädlichen Einrichtungen. Die UV-Strahlung der Sonnenbänke hat genau die gleiche Wirkung wie die UV-Strahlung der Sonne. Ein verändertes Schönheitsideal – weniger Sonnenbräune, mehr Blässe – wäre aus meiner Sicht schon hilfreich.

Und diese Hinweise Ihrer Behörde – etwa über die Gefahren durch Solarien – werden von der Politik nicht aufgenommen?

Unser Auftrag ist, das Themenfeld Strahlenbelastungen und ihre Auswirkungen zu untersuchen. Auf Basis dieser wissenschaftlichen Grundlage geben wir Empfehlungen ab – etwa über die Gesundheitsschädlichkeit von Solarien. Das geben wir in den politischen Prozess. Anders als wir, muss die Politik natürlich auch weitere – etwa wirtschaftliche – Gesichtspunkte berücksichtigen. Wir sind nur ein Player von mehreren. Und letztlich gehört zu unserer Freiheit als Menschen auch, dass wir uns selbst Schaden zufügen dürfen. Das gilt hier genauso wie beim Rauchen oder beim Alkoholkonsum. Immerhin haben wir in Deutschland ein Mindestalter für Besuche im Sonnenstudio eingeführt.

Auseinander gehen die Meinungen beim Thema Mobilfunk-Strahlung. Mancher hat große Angst, durch 5G-Netze krank zu werden, andere telefonieren bedenkenlos stundenlang mit dem Handy. Wie gehen Sie mit so unterschiedlichen Wahrnehmungen um?

Ja, es gibt eine öffentliche Diskussion über dieses Thema. Aber in der Wissenschaft wird diese Debatte so nicht geführt. Die Forscher, die sich mit Strahlung durch Mobilfunk auskennen, sind sich in ihrer Risikobewertung in allergrößten Teilen einig. Aus den zurückliegenden Jahrzehnten der Mobilfunk-Nutzung, die sich ja stark gewandelt hat, haben wir keine Nachweise erhalten, dass wir uns sorgen müssten. Aus einzelnen Studien, die in eine andere Richtung deuten, kann man noch keine Wirkung ableiten. Man muss immer das Gesamtbild sehen. Das heißt: Wir müssen auch nach möglichen Wirkmechanismen fragen und danach, ob Effekte in der Bevölkerung auftreten. Der einzig nachgewiesene Effekt ist die Erwärmung des Gewebes. Bei Einhaltung der Grenzwerte ist diese jedoch nicht größer als übliche Temperaturschwankungen im Alltag. Zudem werden die Grenzwerte bei Weitem nicht ausgeschöpft.

Der „Tagesspiegel“ zitiert eine im Auftrag des BfS entstandene Studie, der zufolge Mobilfunkstrahlung die Ausbreitung von Tumoren im Körper von Mäusen erheblich beschleunigt.

Die Ergebnisse dieser und anderer in den letzten Jahren durchgeführter größerer Tierexperimente sind nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragbar. Wenn Tiere in sehr spezifischen Versuchsanordnungen der Strahlung ausgesetzt werden, können sich Wirkungen ergeben, die in den Situationen, in denen Menschen Mobilfunkfeldern ausgesetzt sind, nicht auftreten. Prinzipiell erwärmt sich der Körper zwar auch bei uns Menschen, wenn wir Mobilfunk nutzen, aber nur über kurze Zeiten und räumlich sehr begrenzt, so dass wir gut damit zurechtkommen. Von den in den Tierversuchen beobachteten – geringen – Krebsraten kann man nicht direkt ableiten, dass sie eine Folge der Strahlung sind. Zur Ableitung von Grenzwerten können die Ergebnisse nicht herangezogen werden. Sie stützen aber unsere Empfehlungen, die Exposition möglichst gering zu halten.

Was macht Sie sicher, dass es keine schädlichen Wirkungen gibt?

2002 bis 2008 haben wir ein großes Forschungsprogramm zum Mobilfunk umgesetzt. Da sind alle Fragen über mögliche Zusammenhänge untersucht worden – bis hin zur Elektrosensibilität. Die Symptome und das Leiden, über das Betroffene berichten, sind real. Dennoch: Bis heute konnte in einer Reihe von Studien kein ursächlicher Zusammenhang belegt werden. Die Probanden haben in den Versuchen die Strahlung nicht gespürt. Das heißt aber auch nicht, dass wir uns der Frage nicht mehr widmen. Im Gegenteil: Wir versuchen weiter, offene Fragen zu klären.

Wo gibt es diese denn noch?

Die Wirkung hängt immer von der Frequenz der Strahlung ab. Möglicherweise sollen in den nächsten Jahren 5G-Frequenzen vergeben werden, zu denen die Studienlage noch nicht so umfassend ist. Um hierfür vorbereitet zu sein, beforschen wir diese Frequenzen momentan. Da sie sehr kurzwellig sind, dringen sie nicht in den Körper ein, treffen also auf die Haut oder die Augen. Diese Wissenslücken betreffen aber nicht die Frequenzen, die schon betrieben werden. Die sind gut erforscht.

Reden wir hier eigentlich von der Strahlung durch Masten oder durch das Mobiltelefon am Ohr?

Sowohl als auch. Trotzdem gibt es einen großen Unterschied, was die Intensität der Strahlung angeht, der wir ausgesetzt sind. Nicht der Mast, sondern das eigene Handy, wenn es sendet, ist die stärkste Strahlungsquelle. Am größten ist die Belastung, wenn ich bei schlechtem Empfang mit dem Handy am Ohr telefoniere, weil die Sendeleistung des Geräts dann besonders stark ist.

Dabei unterscheiden sich die Emissionen der Handys von Modell zu Modell stark.

Das stimmt und ist ein wichtiger Punkt, an dem wir seit Jahren intensiv arbeiten. Wir stellen auf unserer Webseite eine ständig aktualisierte Liste zur Verfügung, über die sich Verbraucher über den sogenannten SAR-Wert einzelner Handymodelle informieren können. Dieser Wert bezeichnet die Energie der elektromagnetischen Felder, die vom Körper aufgenommen werden. Jeder, der für sich oder seine Kinder ein neues Smartphone anschaffen will, sollte darauf achten, ein Modell mit niedrigem SAR-Wert zu kaufen.

Eine natürliche Strahlungsquelle ist das radioaktive Gas Radon, das vor allem in gebirgigen und Bergbau-Gegenden – etwa dem Harz – aus dem Boden strömt. Wie schätzen Sie diese Gefahr ein?

Radon ist nach dem Rauchen einer der wichtigsten Risikofaktoren für Lungenkrebs. Als BfS sammeln wir die verfügbaren Informationen zur Radonbelastung und stellen diese der Öffentlichkeit zur Verfügung – etwa in Form einer Radon-Deutschlandkarte auf unserer Webseite. Auf ihr können Bürger nachschauen, wo die Wahrscheinlichkeit erhöhter Radonwerte besonders groß ist. Das bedeutet allerdings noch nicht automatisch, dass die Radonwerte dort – etwa in Kellerräumen – tatsächlich erhöht sind. Wird eine erhöhte Radonkonzentration in einem Raum gemessen, ist die Frage: Was kann ich tun? Zum Glück kann oft über relativ einfache, kostengünstige Maßnahmen viel erreicht werden: Als Erstmaßnahme hilft regelmäßiges Lüften oder das Kitten von Rissen in Wänden und der Bodenplatte.

Wie erklären Sie sich, dass die Gefahren durch Strahlung so unterschiedlich eingeschätzt werden: beim Mobilfunk offenbar eher über-, beim Radon und beim UV-Licht eher unterschätzt?

Auch die Risikowahrnehmung gehört zu unseren Forschungsthemen. Die Kernfrage ist: Lassen wir uns leiten von vagen Befürchtungen, von wissenschaftlichen Fakten oder von der öffentlichen Diskussion – nach dem Motto „Viele reden drüber, dann muss es ja schlimm sein“? Auch konkrete Katastrophen spielen eine Rolle dabei, wie wir Gefahren einschätzen. Tschernobyl und Fukushima waren so einschneidend, dass wir uns noch nach Jahrzehnten daran erinnern – während wir einen Sonnenbrand im Alltag schnell vergessen und das Risiko, in ferner Zukunft Hautkrebs zu bekommen, leicht verdrängen.

Geht es auch um Vertrauen in die Wissenschaft?

Auf jeden Fall. Es kommt darauf an, wie glaubwürdig und verständlich wir unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse kommunizieren. Wir müssen die vorhandenen, mehr oder weniger begründeten Befürchtungen aufgreifen und ihnen die tatsächlichen Risiken gegenüberstellen. Dass Strahlung überall vorhanden und überwiegend völlig unproblematisch ist, wissen viele immer noch nicht. Wir müssen künftig noch stärker beachten, welche Bilder von Strahlung wir produzieren, wie beängstigend diese sind, was die Menschen wahrnehmen und was sie sich merken. Und natürlich müssen wir sie weiterhin wissen lassen, dass wir sie schützen.

In Kürze: Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS)

– Das Bundesamt für Strahlenschutz gehört zum Geschäftsbereich des Bundesumweltministeriums.

– Im BfS arbeiten mehr als 500 Menschen an sechs Standorten. Der Hauptsitz der Behörde ist in Salzgitter-Lebenstedt.

– Seit 2017 ist Inge Paulini Präsidentin des BfS. Die 59-Jährige ist promovierte Toxikologin.