Berlin. Polens Verteidigungsminister verspricht: Sein Land wird die stärkste Armee Europas haben. Ist das nur Wahlkampfgetöse? Nicht ganz.

Kettenrasseln vor der Wahl: Die polnische Regierungspartei PiS will Polens Armee innerhalb der nächsten zwei Jahre zur stärksten Armee Europas aufrüsten. Das kündigte Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak auf einer Wahlkampfveranstaltung in der Stadt Wołomin an, wie die Nachrichtenagentur Polska Agencja Prasowa (PAP) berichtet. Dafür sei Voraussetzung, dass die nationalkonservative Regierung im Herbst bestätigt werde.

Błaszczak, der gleichzeitig Vize-Regierungschef ist, sagte der PAP zufolge: "Wenn die Wähler, wenn das Volk uns eine weitere Amtszeit geben, dann können wir uns in zwei Jahren wieder hier in Wołomin treffen und dann kann ich Ihnen zeigen, dass die polnische Armee die stärkste Landarmee Europas sein wird."

Polen wählt im September ein neues Parlament (Sejm), sowohl die Regierungskoalition als auch die Opposition haben realistische Chancen, die Geschicke des Landes federführend lenken zu dürfen. Entsprechend markige Sprüche sind aus beiden Lagern zu vernehmen, Regierungschef Mateusz Morawiecki etwa gab sich Anfang des Jahres als "Verfechter der Todesstrafe" zu erkennen.

Mateusz Morawiecki, Ministerpräsident von Polen.
Mateusz Morawiecki, Ministerpräsident von Polen. © Michal Dyjuk/AP/dpa/Archivbild

Versprechungen von der stärksten Armee Europas dürften da mindestens in eine ähnliche Kategorie fallen. 2022 gab die Regierung 14,5 Milliarden US-Dollar für Verteidigung aus. Zwar hält das Land als eines von wenigen damit die zwei Prozent Marke der Nato ein, liegt aber im Vergleich mit den Verbündeten zurück. Die Bundesrepublik etwa investierte mehr als 50 Milliarden US-Dollar, Großbritannien rund 57 Milliarden. Selbst ein stark aufgestocktes Budget wird Polens Streitkräfte nicht aus dem Stand an die Spitze der europäischen Armeen katapultieren.

Warschau rüstet in großem Stil auf

Dennoch steckt in den Versprechen des Verteidigungsministers mehr als Wahlkampfgetöse. Denn Polen rüstet auf – und das massiv. Seit 2006 hat sich das Verteidigungbudget verdoppelt, von 6,62 Milliarden US-Dollar auf 13,71 Milliarden im Jahr 2021. Und es soll noch mehr werden: Für Aufsehen sorgte die Ankündigung von Regierungschef Morawiecki, Warschau werde 2023 vier Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die polnische Armee ausgeben. Für 2023 sind im Haushalt regulär 18 Milliarden US-Dollar vorgesehen, dazu kommt ein 10 Milliarden Dollar schwerer Sonderfonds.

Dieses Geld investiert Warschau unter anderem in Panzer und Schützenpanzer und damit, wie von Błaszczak versprochen, in seine Landstreitkräfte. In Südkorea hat Polen 1000 Kampfpanzer vom Typ K2 bestellt. Die ersten Fahrzeuge sind bereits eingetroffen, weitere sollen vor Ort in Lizenz produziert werden. Dazu kommen 650 Geschütze und 48 leichte Kampfflugzeuge. In den USA kaufte das Land 250 Abrams Panzer sowie Unterstützungsfahrzeuge. Zuletzt kündigte Verteidigungsminister Błaszczak an, Polen werde 1000 Schützenpanzer vom Typ Borsuk beim heimischen Panzerbauer Hutę Stalowa Wola kaufen. Bereits 2024 könnte die Serienproduktion beginnen, schätzen Experten.

Polens Verteidigungsminister unterzeichnet einen Rüstungsvertrag mit den USA. 250 Kampfpanzer Abrams sollen den Besitzer wechseln.
Polens Verteidigungsminister unterzeichnet einen Rüstungsvertrag mit den USA. 250 Kampfpanzer Abrams sollen den Besitzer wechseln. © IMAGO / NurPhoto

Die Bestellungen werden nicht nur die Fähigkeiten der polnischen Armee stärken. Einerseits hat das Land verhältnismäßig sehr viele seiner Panzer und anderer militärischer Fahrzeuge an die Ukraine übergeben, alleine mindestens 260 Kampfpanzer aus sowjetischer Produktion, sowie mehrere Dutzend modernere Leopard 2.

Das Kiel Institut für Weltwirtschaft beziffert den Wert dieser und anderer Lieferungen auf bislang rund 2,64 Milliarden US-Dollar (2,4 Milliarden Euro). Polen landet damit auf Platz vier bei den Militärhilfen für die Ukraine, hinter Deutschland, Großbritannien und den USA. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt gibt Polen sogar wesentlich mehr als diese Staaten. Die entstandenen Lücken wollen gefüllt werden und die Bestellungen der letzten Monate leisten genau das.

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Polen lernt aus dem Ukraine-Krieg

Andererseits blickt Polen mit besonderer Perspektive auf den Angriffskrieg Russlands. Da der russische Machthaber Wladimir Putin mehrfach seine imperialen Absichten zum Ausdruck gebracht hat, muss Polen, dessen Staatsgebiet im Lauf der Geschichte mehrfach auch unter russischer Herrschaft stand, davon ausgehen, dass ein Angriff zumindest nicht ausgeschlossen ist.

Moskau schickt nun vor allem Panzer und Artillerie in den Kampf und versucht, die Ukraine in einem langen Abnutzungskrieg mit schierer Materialüberlegenheit in die Knie zu zwingen. Um so einen Angriff abzuwehren, benötigt eine Armee entsprechende Vorräte, an Fahrzeugen, Ersatzteilen und Munition. Sollte es eines Tages zu einem Angriff Russlands auf Polen kommen, hätte das Land unter anderem mit seinen großen Panzerstreitkräften eine passgenaue Antwort parat.

Gleichzeitig weiß die Regierung in Warschau, dass Tausende neuer Panzer ein Abschreckungspotenzial mitbringen. Putin und seine Strategen dürften es sich zweimal überlegen, ob sie die ohnehin schwer angeschlagenen russischen Streitkräfte in den Kampf gegen einen gut gerüsteten Gegner schicken. Zwar besitzt Russland nominell etwa 12.500 Panzer verschiedener Typen und Technologiestufen.

Frisch geliefert: Südkoreanische Panzer und Haubitzen stehen im Hafen von Danzig.
Frisch geliefert: Südkoreanische Panzer und Haubitzen stehen im Hafen von Danzig. © IMAGO / newspix
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Regierung will neuen "Verrat des Westens" verhindern

Der Ukraine-Krieg zeigt aber, dass die zahlenmäßige Überlegenheit alleine längst nicht reicht, um einen schnellen Sieg zu erzielen. Und gerade den bräuchte es aus russischer Sicht gegen das Nato-Mitglied Polen, dass sich unter dem Abwehrschirm von Atomwaffen befindet. Die einzige Möglichkeit eine nukleare Antwort auf einen Angriff mit konventionellen Waffen zu verhindern, wäre, den Gegner so schnell zu überwältigen, dass die übrigen Nato-Mitglieder keinen Zweck mehr darin sähen, einen Atomkrieg zu risikieren.

Das mag aus (west-)europäischer Sicht unrealistisch erscheinen, wäre aus polnischer Sicht aber nicht das erste Mal, das Verbündete nicht kommen. Bis heute fühlt sich Polen vom Westen Verraten, weil Frankreich und Großbritannien im September 1939 nicht in Deutschland einmarschierten, obwohl beide Länder die polnische Unabhängigkeit garantiert hatten.

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Um zu verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt, muss Polen in der Lage sein, längere Zeit eine nennenswerte Verteidigung auf die Beine zu stellen. Mindestens, bis die Nato Verstärkung organisieren kann. Angesicht der leeren Depots und lückenhaft ausgerüsteten Armeen in Europa kann viel Zeit vergehen, bis Hilfe kommt. Diese gilt es zu überbrücken und damit das funktioniert, benötigt Warschau – wie die Bundesrepublik im Kalten Krieg – eine schlagkräftige Armee.

Die Versprechungen des Verteidigungsministers sind also nicht nur markige Worte, sondern bilden die Realität ab. Mittelfristig dürfte keine Landstreitkraft in Europa schlagkräftiger werden als die Polens. Alleine weil dem Land keine andere Wahl bleibt.