Wolfsburg. Das Haus von Familie Oliinyk ist zerstört. Schon früh wurde ihre Heimatregion Saporischschja in der Ukraine von Putins Truppen angegriffen.

Ihr Haus ist zerstört, ihre Heimatregion von Russen besetzt. „Der Krieg kann noch sehr lange dauern“, sagt Nadiia Oliinyk. „Ich weiß nicht, ob ich dann noch die Kraft habe, alles wieder aufzubauen.“ Die heute in Wolfsburg lebende 43-Jährige Ukrainerin stammt aus dem Ort Stepnohirsk, ungefähr 17 Kilometer von Saporischschja entfernt.

Saporischschja erlangte im russischen Angriffskrieg frühzeitig traurige Berühmtheit. Seit März 2022, als Moskaus Truppen große Teile der Südukraine besetzten, erklärt Putin auch das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja, das größte Kernkraftwerk Europas zu russischem Eigentum.

Ukrainer in Wolfsburg: Das Haus in der Ukraine liegt in Schutt und Asche

Nadiia Oliinyk war im März 2022 gemeinsam mit Sohn Vadym, damals 16, aus der Ukraine geflohen. Der Vater blieb zunächst zurück. Er fand, nachdem das Haus der Familie durch die russischen Truppen in Schutt und Asche gelegt wurde, Unterkunft bei Bekannten außerhalb des russisch besetzten Gebietes.

„Wenn Fedir im russisch besetzten Gebiet geblieben wäre, hätte er den russischen Pass bekommen und gegen unsere ukrainischen Mitbürger kämpfen müssen“, schildert Nadiia Oliinyk. Sie hatte bei der Flucht eine Vorahnung und nahm den ukrainischen Pass ihres Mannes mit. Eineinhalb Jahre war die Familie getrennt, der Vater blieb in der Ukraine und gelangte dann nach Weißrussland, wo er 2023 seine Frau wiedersah. Und von dort aus mit nach Wolfsburg ging.

Mutter und Sohn suchten während der Flucht nach Arbeit in Deutschland

Mit Bus und Bahn waren Mutter und Sohn in den März-Tagen 2022 in Richtung Deutschland geflohen, als die Region Saporischschja angegriffen und maßgeblich zerstört wurde. In Polen fanden sie zunächst bei Freunden eine Übernachtungsmöglichkeit. „Wir haben die ganze Zeit auf unseren Handys nach Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland gesucht. Arbeit ist entscheidend, lebenswichtig“, unterstreicht die junge Frau, die viele Jahre für die russische Bahn gearbeitet hatte.

Als Teamleiterin einer Zugbegleitungscrew hatten sie weite Reisen in russische Nachbarländer und sogar bis nach Süd- und Nordkorea geführt, erzählt sie nicht ohne Stolz. Dann kam der Schock des russischen Angriffskrieges. Beruf, Haus und Heimat waren weg. „Aber wir waren am Leben und mussten um eine neue Existenz kämpfen“, sagt sie. „Ein Ziel haben.“

4. Februar 2024, Saporischja: Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj  besucht die Region Saporischschja, die Schauplatz heftiger Kämpfe mit den russischen Truppen war.
4. Februar 2024, Saporischja: Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj besucht die Region Saporischschja, die Schauplatz heftiger Kämpfe mit den russischen Truppen war. © dpa | Uncredited

Auf ihren Handys fanden sie Arbeitsangebote von VW und landeten in Wolfsburg. Die Flüchtlingsunterkunft Barnstorf war die erste Station von Mutter und Sohn. „Bei VW gab es keine Arbeit, aber ich konnte sofort bei einem Pflegedienst anfangen“, erzählt Nadiia Oliinyk. „Erst als Pflegeassistentin und dann als Pflegerin.“ Im Deutschkursus will Nadiia Oliinyk demnächst das nächste Level absolvieren. „Dann kann ich die Krankenschwesterausbildung machen“, blickt sie nach vorn. „Arbeit ist in dem Bereich genug da“, freut sie sich.

Sohn geht auf die Eichendorffschule und will vielleicht Elektriker werden

Sohn Vadym geht auf die Eichendorffschule und macht gerade ein Praktikum bei einem Vorsfelder Elektrobetrieb. Die Arbeit mache Riesenspaß und sei sehr interessant, erzählt Vadym. Vor allem das Thema Photovoltaik fasziniert den 18-Jährigen, der zudem unterstreicht, dass er seinem Praktikumsbetrieb viel verdanke. „Ich lerne sehr viel, fachliche Dinge und natürlich die Sprache.“

Vater Fedir (46) kann bei unserem Gespräch nicht dabei sein, er arbeitet als Fahrer für den Wolfsburger Pflegedienst, für den auch seine Frau tätig ist. „Er hat auch schnell angefangen zu arbeiten, als er vergangenes Jahr hierher kam. Und er lernt selbst zuhause schon Deutsch, weil er noch etwas auf einen Platz im Sprachkurs warten muss“, berichtet Pflegerin Oliinyk. „Es ist so wichtig, dass man gleich versucht, Beschäftigung zu finden. Ich hoffe, dass viele meiner Landsleute es genauso machen. Sonst hast du kein Ziel und es zieht dich nur runter.“ Fedir (46) ist in der Ukraine Berufskraftfahrer gewesen.

Saporischschja 2022: Rettungskräfte vor den Trümmern eines zerstörten Wohnhauses.
Saporischschja 2022: Rettungskräfte vor den Trümmern eines zerstörten Wohnhauses. © dpa | -

Ukrainische Familie hat in Wolfsburg schnell Kontakte geknüpft

Ist die Familie, abgesehen vom Zurechtkommen in Beruf und Schule, in Wolfsburg „angekommen“? „Die Wolfsburger waren von Beginn an unglaublich hilfsbereit“, schildert Nadiia Oliinyk. „Bei der Wohnungssuche haben sie uns geholfen, und wenn man offen ist und freundlich, bekommt man sehr schnell Kontakte.“ Nicht zuletzt ihrem Deutsch-Lehrer, der sie für den Bildungsträger Arbeit und Leben unterrichte, sei sie unendlich dankbar. „Ich bin schnell vorangekommen und kann mich so auch beruflich schneller entwickeln“, unterstreicht die Ukrainerin.

Vadym erzählt, dass er beim ESV Wolfsburg eine sportliche Heimat und Freunde gefunden hat. Er spielt Volleyball in einer deutsch-russischen Gruppe. Und auch beim TV Jahn ist er sportlich unterwegs. Probleme, Feindseligkeiten zwischen Russen und Ukrainern wegen des Krieges? „Warum? Es muss Frieden sein“, sagt Vadym. „Es ist nicht unser Krieg.“ In der Schule gebe es auch ein russischstämmiges Mädchen, mit dem er sich sprachlich verständigen kann. Man helfe sich, es sei ein Miteinander.

Saporischschja 2022: Das Bild zeigt ein Mädchen, das mit anderen Flüchtlingen aus dem besetzten Cherson auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums in Saporischschja in der Ukraine ankommt.
Saporischschja 2022: Das Bild zeigt ein Mädchen, das mit anderen Flüchtlingen aus dem besetzten Cherson auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums in Saporischschja in der Ukraine ankommt. © dpa | Florian Bachmeier

Hat er noch Kontakte nach Hause in die Ukraine, zu Freunden, Bekannten? Ein Freund, der jetzt auch 18 Jahre alt sei, gehe auf die Militärschule, werde möglicherweise bald eingezogen. Ein anderer, der nur 17 Jahre alt wurde, sei durch einen Raketenangriff umgekommen, schildert Vadym traurig und nachdenklich.

Vadym muss nach Berlin, seine Papiere verlängern

Vadym müsse demnächst nach Berlin, sagt seine Mutter, damit seine Papiere für Deutschland verlängert würden. Mit 17 Jahren würden mittlerweile junge Männer ins ukrainische Militär eingezogen, schildert die Ukrainerin, die ihre Hoffnung weiter auf den deutschen Staat setzt. Die Bundesregierung hatte im vergangenen Jahr erklärt, dass sie keine wehrpflichtigen Ukrainer, die nach Deutschland geflüchtet sind, ausliefern werde.

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