Nordstadt. Die Ehrenamtlichen vom Nabu wollen ihren Kröten-Einsatz am Promilleweg nach 42 Jahren stoppen – zu gefährlich. Die Stadt äußert sich irritiert.

Die Amphibienschützer vom Nabu in Wolfsburg schieben richtig Frust: Schon seit 42 Jahren retten die ehrenamtlichen Helfer nach ihrer Darstellung im Frühjahr Kröten & Co. am Alten Teich in der Nordstadt auf ihrer Wanderung vor dem Tod auf der Straße. Weil ihnen die Verkehrssituation jedoch zu gefährlich geworden ist, haben sie die Stadt um Unterstützung gebeten. Allerdings fühlen sie sich im Stich gelassen.

„Stadt ignoriert Sicherheit von ehrenamtlichen Nabu-Helfern“ – so hat der Vorsitzende des Naturschutzbundes in Wolfsburg eine Art Brandbrief an unsere Redaktion überschrieben. In der Mail von Sonntagabend kritisiert Michael Kühn, dass die Sicherheit der ehrenamtlichen Helfer am Alten Teich „von der Stadt Wolfsburg nicht ernst genommen wird“.

Wird Sammlung gestoppt, sterben streng geschützte Amphibien

Ausführlich schildert der Nabu-Chef, dass die Amphibienschützer durch die Autos auf der Straße Zum Fuhrenkamp zwischen der Nordstadt und Vorsfelde stark gefährdet seien und man die Stadt deswegen frühzeitig um Hilfe gebeten habe. Aber: „Eine Einbahnstraßenregelung oder auch die Übernahme der Sammlung durch eine Firma oder die Stadt wurde abgelehnt“, schreibt Kühn.

„Wenn wir die Sammlung einstellen, sterben die Tiere, darunter auch hoch geschützte Arten wie der Kammmolch. Machen wir weiter, gefährden wir unsere Mitglieder“, verweist der Nabu-Vorsitzende, der auch ehrenamtlicher Naturschutzbeauftragter der Stadt ist, auf die prekäre Lage.

Allerlei Amphibien retten die Ehrenamtlichen vom Nabu am Promilleweg in der Nordstadt in Eimern am Straßenrand.
Allerlei Amphibien retten die Ehrenamtlichen vom Nabu am Promilleweg in der Nordstadt in Eimern am Straßenrand. © Nabu Wolfsburg

Gefahr für Naturschützer auf Promilleweg in der Nordstadt

Laut Naturschutzbund hat sich die Verkehrssituation auf dem relativ schmalen so genannten Promilleweg im Laufe der Jahrzehnte verschärft: „Wo früher nur ein paar Autos fuhren, sind jetzt viel mehr und breitere Fahrzeuge mit höherer Geschwindigkeit unterwegs. Die Gefahr für die Nabu-Helfer, an der Straße von einem Auto erfasst zu werden, ist stark gestiegen“, berichtet Kühn. „Bisher ist es nur bei Beinahe-Unfällen und leichten Kollisionen geblieben, aber das Risiko, angefahren zu werden, steigt rapide.“ Andernorts habe es schon tödliche Unfälle gegeben.

Aber warum wollen die Amphibienschützer ausgerechnet jetzt, mitten in der laufenden Saison, ihr Engagement stoppen? Eindrücklich schildert der Nabu-Vorsitzende im Gespräch mit unserer Zeitung die gefährliche Situation, der sich die Ehrenamtlichen beim Einsammeln von Kröten, Fröschen und Molchen aussetzen.

Erinnerung an Tod einer Krötensammlerin im Landkreis Wolfenbüttel

Kühn erinnert zunächst an den tödlichen Unfall einer Krötensammlerin, der 2015 bei Cremlingen im Landkreis Wolfenbüttel passierte: Die Frau wurde beim Einsammeln von Amphibien von einem Auto angefahren und in einen Straßengraben geschleudert, wo sie ertrank.

„Ich hatte vor mehr als 20 Jahren selbst eine leichte Kollision, da habe ich einen Autospiegel abbekommen. Anderen unserer Mitglieder ist das auch schon passiert“, berichtet der Nabu-Chef. Das Problem sei, dass die Amphibiensammler in diesen Wochen bis etwa Ende April, wenn die Tiere vom Laichen im Alten Teich zurück Richtung Wald wollen – anders als vom Wald hin zum Gewässer – zwischen der Leiteinrichtung und der Fahrbahn laufen müssen, also unmittelbar am Straßenrand.

Wird das Wetter im Frühjahr feuchtwarm, beginnen Kröten, Frösche und Molche mit ihrer Wanderung. Werden die geschützten Tiere am Straßenrand nicht eingesammelt, werden sie von Autos überfahren.
Wird das Wetter im Frühjahr feuchtwarm, beginnen Kröten, Frösche und Molche mit ihrer Wanderung. Werden die geschützten Tiere am Straßenrand nicht eingesammelt, werden sie von Autos überfahren. © dpa (Symbol/Archiv) | Patrick Pleul

Vorsitzender will Verantwortung nicht mehr übernehmen

„Und es herrscht schlechte Sicht. Die Tiere wandern, wenn es regnerisch ist. Aber die Autofahrer rechnen nicht mit uns. Uns schützen nur unsere gelben Warnwesten“, erklärt Kühn. Mit dem Hinweisschild auf die Krötenwanderung verbinde kaum ein Autofahrer, dass bei schlechtem Wetter Personen direkt an der Straße unterwegs sind. Er verweist darauf, dass die Stadt selbst stets umfangreiche Verkehrssicherung betreibe, wenn beispielsweise an Straßenrändern gearbeitet werden müsse. „Aber wir dürfen nicht in den Verkehrsraum eingreifen.“

Doch wie groß die Gefahr ist, war den Wolfsburger Nabu-Helfern all die Jahre nicht bewusst, räumt der Naturschützer selbstkritisch ein: „Selbst der Tod der Krötensammlerin in der Region hat uns damals nicht die Augen geöffnet. Wie wir bisher gearbeitet haben, war fahrlässig. Wir sind als Verein verpflichtet, die Verkehrssicherung zu gewährleisten. Dafür haften wir als Vorstand. Ich als Vorsitzender werde die Verantwortung für unsere Mitglieder nicht mehr unternehmen. Ich werde daher bei unserer Hauptversammlung vorschlagen, dass wir die ganze Sammelei dieses Jahr beenden. Damit wird eine große Last vom Verein gelöst.“

Erst eine Schulung des Nabu-Landesverbands verdeutlichte Risiko

Erst eine erstmalige Schulung des Landesverbands im vergangenen Jahr habe den Amphibiensammlern vom Nabu in Wolfsburg klargemacht, welchem Risiko sie sich aussetzen, erläutert Kühn. „Wir müssen unsere Mitglieder schützen“, stellt er klar. Daher habe man im vorigen Jahr darauf gedrängt, dass die Stadt die Krötensammlung künftig übernimmt. „Aber wir haben der Stadt schon vor Jahren gesagt, dass wir das nicht mehr machen wollen.“ Auch der Ortsrat Nordstadt wisse seit Jahren um das Thema.

Nach Darstellung des Nabu weise der Verein die Stadt schon seit Jahren darauf hin, dass drei Amphibientunnel unter der Straße gebaut werden müssten, damit die Tiere gefahrlos wandern können und der gefährliche Job für die Ehrenamtlichen damit überflüssig wird. Für dieses Frühjahr habe der Nabu die Stadt gebeten, die Helfer zu schützen – indem die Stadt selbst oder eine Fachfirma das Einsammeln der Kröten und Frösche aus den Eimern am Straßenrand übernimmt. Oder die Stadt zeitlich begrenzt eine Einbahnstraße einrichtet. Als eine Art Übergangslösung.

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Nabu Wolfsburg erinnert Stadt an ihre Pflicht

Stattdessen habe die Stadt jüngst Tempo-30-Schilder aufgestellt, doch daran halte sich niemand, moniert Kühn, das habe er vorige Woche selbst erlebt. Sein Resümee: „Die Bedenken des Nabu bezüglich der Sicherheit der ehrenamtlichen Helfer werden von der Stadt Wolfsburg ignoriert. Nach dieser Entscheidung gehen wir auch davon aus, dass die benötigten Tunnel nicht genehmigt werden.“

Der Wolfsburger Nabu-Vorsitzende ist enttäuscht und prangert das Verhalten der Stadt an: „Es reicht! Der Schutz der Amphibien am Alten Teich ist die Aufgabe der Stadt Wolfsburg. Der Nabu hat diese Aufgabe für die Stadt seit 42 Jahren übernommen und unzählige Stunden hier kostenlos abgeleistet, um die Tiere vor dem Tod unter den Reifen zu bewahren, und jetzt ist es schon zu viel, dass wir darum bitten, unsere Helfer effektiv zu schützen!“

Enttäuschte Naturschützer wollen nun Konsequenz ziehen

Die aus Sicht des Nabu sinnlose Tempo-30-Aktion habe zu massiven Beschwerden bei der Vereinsspitze geführt, berichtet der Vorsitzende. „Die Reaktionen waren heftig und berechtigt.“ Die Naturschützer wollen daraus nun die Konsequenz ziehen und ihr Engagement stoppen: „Wir fordern die Stadt auf, die Rückwanderung der Tiere selbst zu organisieren und damit ihrer Verpflichtung am Alten Teich nachzukommen.“

Doch was wird aus den Amphibien, die noch einige Wochen wandern? „Die Tiere würden totgefahren. Aber bei den derzeitigen Temperaturen um null Grad in den Nacht- und Morgenstunden wandert kein Frosch, und es bleibt die nächsten Tage kalt“, erklärt Michael Kühn. „Danach muss man schauen. Wir sind absolut gesprächsbereit.“

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Stadt ist irritiert über Art der Kritik von Naturschützern

„Der Stadt Wolfsburg ist der wertvolle Einsatz der vielen ehrenamtlichen Helfenden für den Naturschutz selbstverständlich bewusst und wird regelmäßig öffentlich hervorgehoben. Natürlich sind wir auch offen für Anregungen und konstruktive Kritik aus diesem Bereich. Wir sind aber irritiert über die Art und Weise, wie diese Kritik jetzt geäußert wird“, nahm der Leiter der städtischen Kommunikation auf Anfrage unserer Zeitung am Montag Stellung zu den Vorwürfen. „Es ist aus unserer Sicht nicht zielführend für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, über die Medien mit Polemik und Schuldzuweisungen zu agieren“, teilte Lars M. Vollmering weiter mit.

Geforderte Amphibientunnel sollen in den nächsten Jahren kommen

Was die Kritikpunkte des Nabu betrifft, kündigte die Stadt auf Anfrage an, dass die Amphibientunnel „in den nächsten Jahren in mehreren Teilabschnitten“ gebaut werden sollen, konkreter wurde die Kommunikation nicht.

Als Begründung dafür, dass die Stadt die Amphibien nicht durch eigene Mitarbeiter oder durch eine Firma einsammeln lässt und auch keine Bedarfs-Einbahnstraße einrichtet, erklärte die Stadt: „Alle Maßnahmen müssen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit betrachtet werden. In den vergangenen Jahrzehnten waren weitergehende Maßnahmen nicht notwendig.“ Nun will die Stadt mit dem Nabu die weiteren Handlungsoptionen erörtern.

Stadt will mit Nabu über weiteres Vorgehen sprechen

Und was ist mit der Aufforderung der Naturschützer, dass die Stadt sich künftig selbst um den gesetzlich vorgeschriebenen Amphibienschutz kümmert? „Wir werden mit dem Nabu zeitnah in Gespräche über die weitere Vorgehensweise eintreten“, kündigte die Stadt an.

Amphibientunnel zum Schutz von Kröten und anderen Tieren gibt es an anderen Stellen in Wolfsburg teils schon seit langem. So wurde bereits vor Jahren die Herzogin-Clara-Straßen in Fallersleben untertunnelt, vor wenigen Jahren dann die Kreisstraße 114 in Fallersleben und erst im Vorjahr die K 111 zwischen Heiligendorf und Barnstorf.

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