Wolfsburg. Wie durch ein Wunder wurde durch die Taten des Fallenlegers in Wolfsburg und Lehre 2019 niemand ernsthaft verletzt. Angeklagt ist versuchter Mord.

Diese unheimlichen Tatserien hatten vor drei Jahren Angst und Schrecken ausgelöst: Mehrfach brannten Felder, dann gab es immer wieder hinterhältige Straßenfallen in der Dunkelheit. Im Dezember 2019 wurde ein Verdächtiger aus Sülfeld verhaftet. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann elffachen versuchten Mord sowie 15 Fälle von versuchter gefährlicher Körperverletzung vor. Nun wird ihm der Prozess gemacht.

Verhandelt wird am Landgericht Braunschweig, Prozessbeginn ist am 21. Oktober. Weitere Verhandlungstermine sind für den 25. Oktober sowie den 3. und 4. November angesetzt. Die Tatorte lagen in Wolfsburg und Lehre, angeklagt sind Taten im Zeitraum vom 3. Juni bis 1. Dezember 2019. Wie durch ein Wunder hat sich keines der Opfer ernsthaft verletzt.

Erst brannten Felder in Sülfeld und Umgebung

Der Angeklagte soll „im Zustand nicht auszuschließender erheblich verminderter Schuldfähigkeit“ gehandelt haben. Und zwar in der Absicht, „einen Verkehrsunfall herbeizuführen und die Fahrzeuginsassen hierdurch zu töten oder zu verletzen“, heißt es in der Prozessvorschau des Landgerichts.

Im Februar 2019 brannte ein Feld in Sülfeld. Diese Tat war womöglich das erste Werk des Sülfeld-Phantoms; der Mann soll in den folgenden Wochen weitere Brände an Feldern rund um Sülfeld und Fallersleben gelegt haben. Für die Anklage sind die Taten jedoch unerheblich.

Diese und andere Steine legte der Täter als Fallen auf Landstraßen in Sülfeld und Umgebung aus.
Diese und andere Steine legte der Täter als Fallen auf Landstraßen in Sülfeld und Umgebung aus. © Privat (Archiv) | Polizei

Hinterhältige Straßenfallen in der Dunkelheit aufgebaut

Dieser Fall ist in unserer Region einmalig: Ab Juni 2019 soll der inzwischen 45 Jahre alte Angeklagte sein kriminelles Tun darauf verlagert haben, an Landstraßen Fallen für Autos aufzubauen. „Die Hindernisse wurden jeweils in der Dunkelheit oder der Dämmerung bereitet, so dass die späteren Geschädigten keine Möglichkeiten hatten, die Hindernisse wahrzunehmen und auszuweichen“, erklärte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Braunschweig, Christian Wolters, zur Anklageerhebung im Dezember 2021 nach zweijährigen Ermittlungen.

podcast-image

Schon gehört? „Streitpunkte“ - Der Diskussions-Podcast unserer Zeitung ist auf allen gängigen Portalen verfügbar. Jetzt abonnieren und keine Folge mehr verpassen.

Die erste Tat, die die Staatsanwaltschaft als versuchten Mord wertete, passierte in der Nacht zum 26. September 2019. Der Mann soll mehrere Pflastersteine auf die Kreisstraße 73 gelegt haben. Morgens fuhr die Fahrerin eines Schülerbusses darüber und konnte nur mit Mühe einen Unfall verhindern.

Von der Forstweg-Brücke, die bei Sülfeld über die Nordumgehung führt, ließ der Täter einen Stein baumeln, ein LKW fuhr dagegen.
Von der Forstweg-Brücke, die bei Sülfeld über die Nordumgehung führt, ließ der Täter einen Stein baumeln, ein LKW fuhr dagegen. © regios24 (Archiv) | Michael Uhmeyer

Bei Ehmen lagen Pflastersteine auf der Straße

„Eine 55-Jährige aus der Samtgemeinde Isenbüttel fuhr mit ihrem VW Transporter am Morgen des 26. September bei Ehmen auf der Kreisstraße 73 – sie verbindet Ehmen mit der Landesstraße 321 bei Wettmershagen – über drei Steine“, berichtete unsere Zeitung damals über den heimtückischen Anschlag. „Sie kam unverletzt davon und konnte ihr Auto auf der Straße halten. Es entstand aber ein Sachschaden von 2000 Euro.“

Der fünfte angeklagte Mordversuch war eine besonders perfide Falle: In der Nacht auf den 24. Oktober 2019 soll der Angeklagte einen Stein an einem Seil an das Geländer der Brücke Forstweg gehängt haben, die am Gewerbegebiet Westrampe über die Nordumgehung führt. Der Stein knallte in die Frontscheibe eines Lkw, die durch die Wucht des Aufpralls zerbrach.

Angeklagter soll in Wolfsburg auch Kanthölzer und Nagelbretter ausgelegt haben

Der Angeklagte soll auch Kanthölzer und Nagelbretter auf Straßen ausgelegt haben. In vielen Fällen wurden diese Fallen rechtzeitig entdeckt, so dass es nicht zum Unfall kam.

Angesichts der immer kürzeren Tatabstände war die Öffentlichkeit alarmiert, die Behörden standen unter Druck. Eine Wildkamera lieferte die ersehnte heiße Spur: Die nahm Ende März 2019 an den Windrädern in Ehmen eine Sequenz auf. Sie zeigte, wie ein Mann über eine Wiese spazierte ­– im engen zeitlichen Zusammenhang mit einer Brandstiftung an einer Wiese.

Lesen Sie hier weitere Nachrichten aus Wolfsburg:

Erfolgreiche Fahndung mit Aufnahmen aus Wildkamera

Zunächst fahndeten die Ermittler erfolglos. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft und mit Genehmigung eines Gerichts konnte die Polizei mit den Aufnahmen Anfang Dezember 2019 in die Öffentlichkeit gehen. 100 Fahndungsplakate wurden aufgehängt, Beamte verteilten 1800 Flyer an alle Haushalte in Sülfeld und Ehmen mit Hinweisen auf den Gesuchten. Bald kamen Hinweise, die letztlich zur Ergreifung des Angeklagten führten.

Als der Tatverdächtige festgenommen wurde, habe dieser alle Taten eingeräumt, berichtete damals ein Polizeisprecher gegenüber unserer Zeitung. Und mehr noch: „Die Kollegen hatten das Gefühl, dass es für ihn wie eine Erlösung war.“

Kokainkonsum des Mannes spielte womöglich eine Rolle

Der Sülfelder war bis zu seiner Verhaftung strafrechtlich unbescholten, verheiratet und kinderlos, mit einem guten Job bei VW, wie unsere Zeitung erfuhr. Das Motiv für die beispiellose Tatserie soll im Prozess ergründet werden.

„Aufgrund eines psychiatrischen Gutachtens geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass nicht auszuschließen ist, dass die Schuldfähigkeit des Angeschuldigten bei Begehung der Taten aufgrund vorangegangenen Kokainkonsums erheblich vermindert war“, sagte Christian Wolters bezüglich der Anklage.