Wolfsburg. Von der Überschwemmung bis zum Cyberangriff. Die Bevölkerung müsse sich auf Krisen einstellen und reagieren können, fordert Boris Pistorius.

Überschwemmungen, Dürre, Pandemie, Ukraine-Krieg, Gaskrise – die Bevölkerung müsse sich auf Ereignisse einstellen, mit denen die wenigsten gerechnet hätten, sagt Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD). Anders als bei den jüngsten Ereignissen und bei dem, was auf das Land zukommen könne, dürfe man nicht erst handeln, wenn die Katastrophe schon da sei. „Jeder muss wissen, was zu tun ist. Das fängt beim Schulkind an, das wissen muss, wie es sich im Katastrophenfall verhält“.

Pistorius besuchte am Mittwoch auf Einladung von SPD-Landtagsabgeordneter Immacolata Glosemeyer das DLRG-Zentrum in Kästorf, das kürzlich erst eröffnet wurde. Die Wolfsburger Rettungs- und Katastrophendienste waren von der Berufsfeuerwehr übers DRK bis zu den Maltesern ebenfalls vertreten.

40 Millionen Euro habe das Land ad hoc zur Stärkung des Katastrophenschutzes freigegeben, erklärte der Minister, der gleichwohl auf die anderen Schrauben hinwies, an denen noch zu drehen sei. Dies seien die Stärkung des Ehrenamtes und ein noch besseres Zusammenspiel der Hilfseinrichtungen. Und es brauche regelmäßige Übungen des Ernstfalls.

„Wir müssen uns der zukünftigen Gefahren bewusst sein, dazu gehört auch das Thema Cyberangriff, und Vorsorge treffen. Dies aber in einer ruhigen Gelassenheit.“ Es gehe nicht darum, dies war dem Innenminister wichtig zu unterstreichen, in Panikmache und ständigen Alarmismus zu verfallen. „Wir müssen realisieren, dass sich die Welt verändert hat und krisenresilient werden.“

Ein durch die Unwetterkatastrophe 2021 komplett zerstörtes Haus in Marienthal im Ahrtal.
Ein durch die Unwetterkatastrophe 2021 komplett zerstörtes Haus in Marienthal im Ahrtal. © dpa | Boris Roessler

Auf Landesebene habe man gerade das Zusammenspiel von Katastrophenschutz und Rettungskräften auf einer Ebene geübt, bei der ein potenzielles zukünftiges Ziel eine Rolle spielte: die geplanten LNG-Terminals und ein gekapertes Schiff, das von Terroristen mit Sprengstoff beladen wurde und auf die Terminals zusteuert. „Wir haben das Szenario bei Wilhelmshaven mit allen Mitteln vom SEK bis zu Kräften auf Jetskis durchgespielt“, schilderte der Innenminister.

Beim Thema Cyberangriffen erinnerte er an den Fall des Krankenhauses von Neustadt am Rübenberge. „Das war nach dem Angriff arbeitsunfähig.“ Die heutige digitale Vernetzung biete einige Angriffspunkte, die auch die Infrastruktur schwer treffen könnte. Das reiche vom Windrad und der Stromerzeugung bis zur Trinkwasserversorgung.

Polizei, Bundeswehr, DRK und THW und weitere müssen im Katastrophenschutz eng zusammenarbeiten können. Zu den Folgen von Naturkatastrophen könnten beispielsweise auch Plünderungen zählen, so Pistorius. „Unsere Verwundbarkeit nimmt zu. Der Schutz der Bevölkerung, der Zivilschutz muss gestärkt werden. Ich stehe daher absolut hinter den 100 Milliarden Euro, die jetzt die Bundeswehr bekommt.“ Es gehe um Prävention. In Japan habe er zum Beispiel erleben können, wie jedes Kind in der Schule genau gewusst habe, welches Sirenen-Signal für was stehe. Wenn beispielsweise ein Tsunami und Hochwasser drohe. „Bei uns setzt schnell so etwas wie eine Katastrophen-Demenz ein.“ Es gehe um Augenmaß und Prävention. „Warum nicht ein paar mehr Flaschen Mineralwasser im Keller haben oder ein paar Dosen Ravioli?“, schlug Pistorius vor und schob schmunzelnd hinterher: „Ich kann mich noch gut an die Einmachgläser meiner Oma erinnern mit Gemüse und so weiter. Dass das gut geschmeckt hat, kann ich nicht behaupten. Aber es war eine Vorratswirtschaft.“

Arbeitgeber müssen beim Ehrenamt mitziehen

Die Trennung zwischen Zivil- und Katastrophenschutz müsse aufgehoben werden, die Kräfte müssten enger als bisher zusammenarbeiten können. Für den Bevölkerungsschutz seien auch viele Ehrenamtliche erforderlich. „Die Freistellung vom Arbeitgeber für Übung, Aus- und Fortbildung stellt einen wichtigen Baustein dar“, erklärte Pistorius. Man sei mit den Arbeitgebern im Gespräch. Letztlich sei es doch auch im Interesse des Arbeitgebers, sozial engagierte Mitarbeiter zu haben.

Landtagsabgeordnete Immacolata Glosemeyer, die auch Ortsbürgermeisterin in der Nordstadt ist, zeigte sich zuversichtlich, dass dies umsetzbar sei. Jüngst habe erst die Hilfsbereitschaft im Rahmen der Flüchtlingskrise gezeigt, wie groß das soziale Engagement in der Bevölkerung im Ernstfall sei.

Stadträtin Monika Müller, in deren Obhut derzeit auch der städtische Bereich des Brand- und Katastrophenschutzes liegt, schlug vor, dass man ähnlich wie die Corona-Warn-App auch die NINA-App auf dem Handy haben könnte. Die App des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe informiert über Gefahren und Bedrohungen vom Unwetter, übers Hochwasser bis zur Bombenentschärfung und Terror-Alarm. Ein „gesellschaftliches Commitment“ über das, was jeder einzelne tun könne, sei jetzt wichtig, so der Konsens.

Klage über bürokratischen Aufwand im Ehrenamt

Dem pflichteten die Vertreter von Feuerwehr, DRK, Malteser und weiteren bei – nicht allerdings, ohne auf Punkte hinzuweisen, die Sorge bereiten. Manuel Stanke, Leiter der Berufsfeuerwehr, wollte wissen, was das Land mit Blick auf die Gaskrise unternehme. Der Innenminister versicherte, dass permanent eine die Ressorts übergreifende Arbeitsgruppe dazu tage. Die Ehrenamtlichen forderten zudem, dass der immer größere bürokratische Aufwand, Dokumentation von Einsätzen und so weiter abgebaut werden müsse. Dies sei abschreckend für Menschen, die sich engagieren und praktisch handeln wollten.

Es brauche in jedem Fall mehr Ehrenamtliche für den Krisen- und Katastrophenschutz, darüber herrschte Konsens. Pistorius wandte sich gegen Rentenpunkte für die ehrenamtliche Arbeit, dies sei praktisch nicht umsetzbar. Die Einsatzbereiche seien zu unterschiedlich und nicht vergleichbar. Zudem zeige die Erfahrung, dass es den Ehrenamtlichen auch nicht um Bezahlung und Materielles gehe.

Dem pflichteten die Vertreter der Hilfseinrichtungen bei, wiesen aber ausdrücklich darauf hin, dass bei Vorschriften und Formalitäten noch Luft nach oben sei. Wenn man bei einem Einsatzfahrzeug, das aus einem anderen Bundesland stamme, im Ernstfall erst im Handbuch alles nachlesen müsse, werde zu viel Zeit vertan.

Pistorius erklärte, dass er zwar ein Freund des Föderalismus sei, sich aber dennoch dafür einsetze, dass auf Bundesebene wichtige Angleichungen passieren müssten.