Fallersleben. Gefrustete Eltern fordern einen fünften Zug am Gymnasium Fallersleben statt Losverfahren. Doch das hätte Folgen für andere Wolfsburger Gymnasien.

Frust und Ärger bei den betroffenen Familien sind groß: 22 Jungen und Mädchen haben vom Gymnasium Fallersleben fürs Schuljahr 2022/2023 eine Absage erhalten – quasi aus dem Lostopf! In ihrer Enttäuschung haben sich etliche Familien zusammengetan und fordern die Politik zum Handeln auf. Damit Schüler nicht teils quer durch die Stadt fahren müssen. Doch die Lage ist kompliziert.

Wie berichtet, treibt die vom Rat der Stadt Wolfsburg vor Jahren beschlossene Verfahrensweise immer wieder seltsame bis irritierende Blüten: Laut Satzung sind im stadtweiten Schulbezirk alle Gymnasien vierzügig. Gibt es an einer Schule wie dem seit vielen Jahren überaus beliebten Gymnasium der Hoffmannstadt zu viele Anmeldungen für die fünften Klassen, ist die Schule zum Losverfahren gezwungen.

Familien wohnen am Schulzentrum Fallersleben – und wurden rausgelost

So kam es, dass vor vier Jahren ein Junge, der mit seiner Familie nicht einmal 300 Meter Luftlinie entfernt vom Schulzentrum wohnt, per Los abgelehnt wurde. Und nur über die Sonderregelung, dass eine Klasse am Gymnasium ausnahmsweise auch 31 Schüler haben darf, doch noch angenommen werden durfte.

Aktuell gibt es zwei ähnlich krasse Fälle, wo das Los gegen die Familien entschied. Doch auch andere Familien wohnen in der näheren Umgebung. Und haben Probleme, ihren total enttäuschten Kindern plausibel machen, warum sie nun weiter weg zur Schule sollen ­– abgekoppelt von ihren Schulfreunden und vom gewohnten Umfeld –, wie sie unserer Zeitung beim Treffen am Schulzentrum berichteten.

Eltern fordern zum neuen Schuljahr fünften Zug am Gymnasium Fallersleben

Die Familien legten auch Schreiben vor, die sie an Ortsrats-, Schul- und Ratspolitiker geschickt haben. Darin schildern sie ihre Nöte und erläutern ihre Forderungen anhand von Argumenten. Ganz oben auf der Liste steht der Wunsch, fürs neue Schuljahr am überbuchten Gymnasium Fallersleben einen fünften Zug einzurichten. Perspektivisch seien aber wohl auch an anderen Gymnasium fünf Züge nötig.

Mehrere Familien, deren Kinder per Losverfahren am Gymnasium Fallersleben abgelehnt wurden, schilderten ihre Erfahrungen und Forderungen.
Mehrere Familien, deren Kinder per Losverfahren am Gymnasium Fallersleben abgelehnt wurden, schilderten ihre Erfahrungen und Forderungen. © regios24 | Helge Landmann

Zudem solle bei einem Losverfahren der schulnahe Wohnort berücksichtigt werden oder die Stadt in sinnvolle Schulbezirke aufgeteilt werden, argumentieren die Eltern. Denn: „Zurzeit ist der wohnortnahe Schulbesuch nicht der Normalfall, sondern der Glücksfall.“

599 Bewerber auf 600 Plätze an Wolfsburger Gymnasien

„Die nächsten Schülerjahrgänge bringen noch höhere Schülerzahlen“, betonten die betroffenen Familien. In diesem Jahr habe es 599 Bewerber auf 600 Plätze an den Gymnasien gegeben. Hinzu kämen mögliche Wiederholer, die folgerichtig keinen Platz an ihrer bisherigen Schule mehr bekämen. „Die Kapazitäten sind offensichtlich überlastet. Das System ist ausgereizt. Es besteht dringender Handlungsbedarf“, lautet das Fazit der Familien.

Die Entscheidung über die Zahl der Klassenzüge an Gymnasien liege bei der Stadt als Schulträger, nicht beim Regionalen Landesamt für Schule und Bildung (RLSB) Braunschweig, teilte Mareike Wellmeier von der Pressestelle des RLSB dazu mit. Um die Zahl der Absagen zu minimieren, habe das Amt gemäß Erlass schon entschieden, dass die Schülerhöchstzahl von 30 pro Klasse um bis zu je eine Schülerin oder einen Schüler überschritten werden darf. „Somit konnte 124 Schülerinnen und Schülern ein Platz angeboten werden.“

146 Anmeldungen auf 124 Plätze am Gymnasium Fallersleben

Von den per Los abgelehnten Schülern hätten sich aufgrund der Absagen zwölf Erziehungsberechtigte ans Gymnasium Fallersleben gewendet, das diese Schreiben ans RLSB weiterleitete. Aber: „Da ausreichend Schulplätze an anderen Gymnasien zur Verfügung stehen, wird es dabei bleiben, dass das Gymnasium Fallersleben lediglich vier fünfte Klassen bilden kann“, teilte Mareike Wellmeier mit.

Allein 19 der per Losverfahren gemäß Schulgesetz abgelehnten angehenden Fünftklässler stammen aus Wolfsburg, großenteils sogar direkt aus Fallersleben oder den Nachbarorten Sülfeld, Ehmen oder Mörse, sagte Schulleiter Sascha Knetsch unserer Zeitung. Es habe 146 Anmeldungen gegeben, nicht 144, wie von der Stadt gemeldet. Er bestätigte, dass es seit einigen Jahren Losverfahren an der Schule gab, in einem Jahr seien sogar etwa 40 Absagen erfolgt, an auswärtige Schüler. Doch 2018 wurde auch unter Wolfsburger Kindern gelost.

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Schulausschuss-Vorsitzende sieht Handlungsbedarf für Gymnasien

„Es ist nicht einfach. Wir sind immer proppevoll“, konstatierte Knetsch. Als Vater habe er vollstes Verständnis für die Familien. Doch dem Gymnasium sind die Hände gebunden, es muss sich an die Satzung zur Vierzügigkeit halten. Der Oberstudiendirektor sagte aber auch: „Im Fall der Fälle würden wir es räumlich und personell für wenige Jahrgänge hinbekommen, fünf Züge einzurichten.“ Doch die Entscheidung liege bei der Stadt – die sich wiederum an die politischen Vorgaben halten muss.

Und da ist aktuell kein Abgehen vom bisherigen Kurs in Sicht, wie Schulausschuss-Vorsitzende Christa Westphal-Schmidt sagte, das sei in der jüngsten Ausschuss-Sitzung Konsens gewesen. Die 600 Plätze an den Gymnasien seien bei 599 Anmeldungen erstmal ausgeschöpft, „aber wir werden nicht ad hoc einen fünften Zug einrichten. Das hat auch mit Räumlichkeiten und Lehrerversorgung zu tun.“ Und: Es müsse auch darum gehen, dass das Albert-Schweitzer-Gymnasium „eine lebensfähige Schule bleibt“.

Fallersleber Ortsbürgermeister will fünften Zug am liebsten sofort

Es sei aber unstrittig, dass es seit vier, fünf Jahren deutlich steigende Schülerzahlen an den Grundschulen gebe. „Daher werden wir sicher perspektivisch einen weiteren Zug in der Stadt brauchen, aber nicht im Jahr 2022“, sagte die SPD-Politikern, die die Enttäuschung der Familien verstehen kann.

Diesen fünften Zug hätte Ortsbürgermeister und Ratsherr André Schlichting von der CDU am liebsten sofort, und zwar in Fallersleben. „Die Situation wird ja nicht besser, auch durch neue Baugebiete wie den Kleekamp“, sagte er. „Ich werde mich zunächst dafür einsetzen, dass es in Fallersleben eine weitere fünfte Klasse gibt.“ Wenn das nicht möglich sei, dann müssten perspektivisch andere Rahmenbedingungen geschaffen werden. Und zwar müsse das für die ganze Stadt angegangen werden.