Berlin. Die deutsche Wirtschaft ist abhängig von China. Ein Abbruch der Beziehungen würde Deutschland sehr schwer treffen, zeigt eine Studie.

Die deutsche Wirtschaft ist tief verflochten mit anderen Ländern. Es gibt kaum noch einen Industriezweig, der nicht von Zulieferungen aus Drittstaaten abhängig ist. Umso beängstigender ist das Szenario, dass sich Deutschland plötzlich von einem wichtigen Handelspartner lossagen müsste.

Was bis vor gut einem Jahr noch praktisch unmöglich klang, ist spätestens seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine Realität geworden: Deutschland, die EU und viele westliche Partner brachen quasi von einem auf den anderen Tag ihre Handelsbeziehungen nach Moskau ab. Der Welthandel geriet ins Wanken, in Deutschland schnellten daraufhin die Gas- und Energiepreise in die Höhe. Ein Horrorszenario wurde zur Realität. Doch es könnte Deutschland noch schlimmer treffen.

So teuer wäre der Abbruch der Handelsbeziehungen

Denn eine andere Krise beschäftigt Experten schon länger: Wie stark würde es die deutsche Wirtschaft treffen, sollten die Handelsbeziehungen zu China abgebrochen werden? Schließlich gibt es schon länger Befürchtungen, dass China plant, Taiwan anzugreifen. Gleichzeitig werden in Deutschland die Rufe lauter, sich nicht abermals, wie einst von russischem Gas, von einem anderen Land abhängig zu machen.

Deutschland und China sind in ihren Handelsbeziehungen eng verflochten. Ein Abbruch der Beziehungen würde für Deutschland extrem teuer werden.
Deutschland und China sind in ihren Handelsbeziehungen eng verflochten. Ein Abbruch der Beziehungen würde für Deutschland extrem teuer werden. © dpa | Li Ziheng

Würden Deutschland und China tatsächlich den Handel mit Zwischen- und Vorprodukten abbrechen, könnte das reale Bruttoinlandsprodukt in Deutschland um zwei Prozent schrumpfen. Das zeigt eine Studie der Stiftung Familienunternehmen. Die Studienautoren betonen, dass der Abbruch der Import-Beziehungen Deutschland eigentlich immer teurer zu stehen kommt als der Abbruch der Export-Beziehungen - jedoch nicht mit China. Hier wäre es genau umgekehrt.

Verluste lägen bei knapp 60 Milliarden Euro

Importseitig würde sich eine sogenannte Entkoppelung der Wertschöpfungsketten mit etwa 22 Milliarden Euro niederschlagen, exportseitig mit rund 37 Milliarden Euro. Grundsätzlich gelte aber: Je stärker der bilaterale Handel von Zwischenprodukten oder Rohstoffen geprägt ist, umso größer sind die Effekte.

Sektoren, die laut der Studie besonders betroffen wären vom Abbruch der Handelsbeziehungen, sind beispielsweise die Bereiche Nahrungsmittel, Chemie, Kraftwagenbau, Baugewerbe, Handel und spezialisierte Dienstleistungen. Weniger negativ würde es sich hingegen auf die Sektoren Fischerei, Bergbau, Textil, Holz oder Postdienstleistungen auswirken.

Computer-Chips werden vor allem in Taiwan und China gefertigt

Als ein konkretes Beispiel bemüht die Studie die Herstellung von Computer-Chips in Ostasien. Bereits während der Corona-Pandemie hatten viele deutsche Unternehmen, vor allem in der Automobilbranche, ihre Produktion wegen Chip-Mangels drosseln müssen. Die zunehmenden Spannungen zwischen China und Taiwan befeuern nun Befürchtungen, dass ein geopolitischer Konflikt in dieser Weltregion zu dramatischen Einbrüchen in der Chip-Produktion und in der Versorgung der deutschen Wirtschaft führen würde, denn allein der größte Taiwanesische Auftragsfertiger TSMC hat laut Studie über 55 Prozent Marktanteil, danach folgt Samsung mit 16 Prozent. 14 europäische Anbieter haben insgesamt einen Marktanteil von gerade einmal 9 Prozent.

Europa und Deutschland sind besonders abhängig von Computer-Chips aus China und Taiwan.
Europa und Deutschland sind besonders abhängig von Computer-Chips aus China und Taiwan. © Shutterstock / Gorodenkoff | gorodenkoff

Hinzu kommt, dass die Halbleiterindustrien von China und Taiwan stark miteinander verwoben sind. Fällt China oder Taiwan als Zulieferer aus, leidet auch das jeweils andere Land - und am Ende auch der Empfänger in Deutschland. Die EU will daher mit ihrem sogenannten Chips-Act eine europäische Halbleiterindustrie aufbauen und mit Subventionen in Höhe von 45 Milliarden Euro den europäischen Marktanteil bis 2030 auf 20 Prozent erhöhen.

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So könnte sich die deutsche Wirtschaft schützen

Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen, sagt: „Die Erfahrungen der Corona- und Ukraine-Krise haben Politik und Unternehmen zu einer Neubewertung von Lieferketten und Abhängigkeiten gebracht. Das ist vernünftig.“ Doch die Studie zeige auch: Die Vorteile des globalen Handels seien meist unschlagbar. Es werde zudem sichtbar, „wie anpassungsfähig die Spieler in einer sozialen Marktwirtschaft sind, in der Preise steuern und nicht ein vermeintlich allwissender Staat“, so Kirchdörfer.

«Was wir alle nicht wollen, ist, dass der Kreml mit dem Gasverkauf hohe Devisen einnimmt»: Wirtschaftsexperte Gabriel Felbermayr.
«Was wir alle nicht wollen, ist, dass der Kreml mit dem Gasverkauf hohe Devisen einnimmt»: Wirtschaftsexperte Gabriel Felbermayr. © Hans Punz/APA/dpa

Die beiden Studienautoren Gabriel Felbermayr, Präsident des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIF), und Oliver Krebs von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, empfehlen der Politik, mit großer Vorsicht an das Thema Entkoppelung heranzugehen. Von entscheidender Bedeutung sei, so Felbermayr, dass die deutsche Wirtschaft Zeit zur Anpassung habe. Wird eine neue Handelspolitik rechtzeitig angekündigt, könnten die nötigen betrieblichen und wirtschaftlichen Umstrukturierungen vorweggenommen werden. So könnten Firmen zum Beispiel bei einer bevorstehenden Entkoppelung bereits frühzeitig nach alternativen Handelspartnern suchen und dadurch beim Inkrafttreten der Maßnahme Produktionsausfälle oder Überkapazitäten vermeiden.

Außerdem empfiehlt Felbermayr insbesondere der Regionalpolitik, negative Effekte abzufedern, wie etwa durch staatliche Investitionen, Förderung des Arbeitsmarkts oder der Ansiedlung von Betrieben. Regional stark vertreten sind oft Familienunternehmen. Und bei diesen ist laut Studie der Verlust durch den Abbruch von internationalen Handelsbeziehungen oft zweimal bis dreimal größer als im Durchschnitt.