Berlin. Immer mehr Unternehmen beklagen sich über Sanktionen wegen des Ukraine-Kriegs. Aber auch die Lage in China bereitet zunehmend Sorgen.

Krisen, Krieg und weitere Handelshemmnisse machen der stark exportabhängigen deutschen Wirtschaft zunehmend zu schaffen. Das geht aus der Umfrage „Going International“ der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) hervor, die am Mittwoch vorgestellt wurde. Danach sehen sich 56 Prozent der Unternehmen mit neuen Handelshindernissen konfrontiert. Seit Beginn der Umfrage vor 18 Jahren ist das der höchste gemessene Wert.

„Das trifft die weltweit aktive deutsche Wirtschaft besonders hart und verhindert einen Exportaufschwung im laufenden Jahr”, sagte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. Der DIHK hatte zwischen dem 30. Januar und dem 15. Februar 2400 Firmen befragt, die im Ausland aktiv sind.

57 Prozent der Firmen klagen über Sanktionen

Am häufigsten nennen die Betriebe Sanktionen als Handelshemmnis: 57 Prozent der Betriebe sind davon betroffen. In der Vorjahresumfrage lag dieser Wert noch bei 24 Prozent. Die EU sowie weitere Staaten haben umfassende Strafmaßnahmen gegen Russland und Belarus als Reaktion auf den russischen Krieg gegen die Ukraine erlassen. Unternehmen mit Russlandgeschäft müssen mit jedem neuen Sanktionspaket prüfen, ob ihre Geschäfte betroffen sind.

Aber auch beim Geschäft mit Großbritannien spürt die deutsche Wirtschaft eine Zunahme von Handelshemmnissen – 39 Prozent der Firmen klagt darüber. Dort sind drei Jahre nach dem Brexit zahlreiche Hürden entstanden. Dazu zählen eine höhere Zollbürokratie, tarifäre Handelshemmnisse und von der EU abweichende Standards.

Die Lage in China bereitet vielen Unternehmen zunehmend Sorgen

Weiterer Bremsfaktor: Immer mehr Unternehmen beklagen sich über Sanktionen wegen des Ukraine-Kriegs. Aber auch die Lage in China bereitet zunehmend Sorgen. Spekulationen um eine mögliche Invasion der Volksrepublik in Taiwan und die Gefahr damit einhergehender Sanktionen hat bei vielen Betrieben den Druck zur Diversifizierung erhöht.

China ist seit Jahren der größte Handelspartner Deutschlands. Drei von zehn Unternehmen nehmen eine Zunahme von Handelshemmnissen insbesondere in ihrem Geschäft mit China wahr. Für die Firmen erschweren dabei vor allem Local-Content-Vorschriften und Vorgaben zum Technologietransfer die Geschäftsbeziehungen. Bei Local-Content-Vorschriften muss ein bestimmter Wertschöpfungsanteil in dem jeweiligen Land produziert werden.

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Die Märkte in den USA gewinnen zunehmend an Attraktivität

Um Abhängigkeiten von China zu reduzieren beziehungsweise die Lieferketten zu diversifizieren, setzt knapp jeder dritte Betriebe (29 Prozent) auf die Region Asien und Pazifik. Länder wie Japan, Südkorea, Taiwan oder Vietnam geraten zunehmend in den Fokus. Aber auch die Märkte von Nordamerika (43 Prozent) und dort besonders den USA (35 Prozent) gewinnen zunehmend an Attraktivität.

Neben Krieg und Krisen gebe es aber noch weitere Hürden, monieren deutsche Unternehmen. Knapp die Hälfte der Firmen (47 Prozent) gibt lokale Zertifizierungsanforderungen als zentrale Barrieren im Auslandsgeschäft an. Hierbei verlangen einige Länder zusätzliche Prüfungen von ausländischen Firmen. Daneben erhöhen verstärkt Sicherheitsanforderungen bei 42 Prozent der Betriebe den finanziellen und zeitlichen Aufwand für das Auslandsgeschäft.

Auch bürokratische Vorgaben in Deutschland bremsen das Geschäft

Darüber hinaus erschweren bürokratische Vorgaben in Deutschland das internationale Geschäft der Unternehmen. So wirke das am 1. Januar 2023 in Kraft getretene Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) wie ein großes zusätzliches Handelshemmnis, betonte Treier. Mit dem Gesetz werden Firmen ab einer bestimmten Größe dazu verpflichtet, die festgelegten „menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten in angemessener Weise zu beachten“.

Treier: „Besonders widersinnig wird es, wenn sich selbst Unternehmen, die vom Gesetz gar nicht betroffen sein sollten, gezwungen sehen, sich proaktiv aus bestimmten Märkten zurückziehen. Das hat fatale Folgen gerade jetzt, wo es wegen der stärkeren Entkopplung der Weltwirtschaft politisch und wirtschaftlich auf Diversifizierung der Märkte, also eine breitere Streuung der Risiken, durch die Unternehmen ankommt.“

DIHK erwartet Delle im Exportwachstum

Bei einem Blick auf Länder und Regionen schneiden die USA noch am besten ab. 34 Prozent der Firmen erwarten hier für 2023 bessere Geschäfte. Demgegenüber melden in Russland nur drei Prozent der Betriebe, in Großbritannien acht Prozent und im Asien-Pazifik-Raum (ohne China) 17 Prozent (mit China 21 Prozent) der Unternehmen optimistische Geschäftsperspektiven.

Schon in der DIHK-Konjunkturumfrage zu Jahresbeginn 2023 hatten sich die Exporterwartungen der Firmen weiterhin gedämpft gezeigt. „Die DIHK rechnet daher mit einem realen Exportwachstum von 2,5 Prozent im Jahr 2023. Das ist ein Prozentpunkt niedriger als der Durchschnitt der 2010er- Jahre“, so Treier.

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Jeder zweite Betriebe will neue Märkte erschließen

Um dem Negativtrend entgegenzuwirken und sich den veränderten geopolitischen Gegebenheiten anzupassen, plant jeder zweite Betriebe (51 Prozent) die Erschließung neuer Märkte. Hier liegt der Fokus vor allem auf dem EU-Binnenmarkt (Euro-Zone 74 Prozent, Sonstige EU mit Schweiz und Norwegen 47 Prozent).

Der Inflation Reduction Act (IRA) der USA lockt immer mehr deutsche Unternehmen über den großen Teich. In dem Gesetz werden Firmen beim Aus- und Aufbau klimafreundlicher Technologien subventioniert, die in den Vereinigten Staaten produzieren oder US-Produkte verwenden. „Auch wenn Multilateralismus derzeit keine Hochkonjunktur hat: Jetzt ist die Zeit, mit Freihandelsabkommen für Planungssicherheit bei den Unternehmen zu sorgen. Wir brauchen eine neue Agenda, die auch die Aufgaben der WTO neu definiert und stärkt“, forderte Treier.