Berlin. Viele fragen sich, ob sie Einspruch gegen ihren Grundsteuer-Bescheid einlegen sollten. Was Deutschlands oberster Steuerberater rät.

Die Grundsteuerreform ist ein Ärgernis für Millionen Immobilienbesitzer in Deutschland – verbunden mit jeder Menge Chaos. Der Bund schuf ein eigenes Berechnungsmodell, aus dem die Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Hessen und Hamburg aber ausscherten. Je nach Modell war die Anforderung an die Eigentümer der rund 36 Millionen Immobilien unterschiedlich hoch – und die Fristen setzen viele unter Druck.

Zum Start in den Mai ist nun mit dem Bundesland Bayern auch die letzte Frist ausgelaufen. Doch das Rätseln geht für Haus- und Wohnungsbesitzer weiter: Sollte man Einspruch gegen den Grundsteuer-Bescheid einlegen? Immerhin hat ein Gutachten des Verfassungsrechtlers Gregor Kirchhof jüngst ergeben, dass das Bundesmodell womöglich gegen das Grundgesetz verstößt. Antworten auf diese Frage gibt der Präsident der Bundessteuerberaterkammer, Hartmut Schwab.

Herr Schwab, rund 20 Millionen Bescheide zur Grundsteuer wurden mittlerweile von den Finanzämter ausgestellt. Viele Immobilienbesitzer fragen sich nun: Einspruch einlegen oder nicht? Was sagt der Profi?

Hartmut Schwab: Mit Blick auf das Gutachten von Professor Kirchhof, das davon ausgeht, dass das Bundesmodell verfassungswidrig ist, ist es eigentlich anzuraten, Einspruch einzulegen. Aber: Die große Frage ist, ob es etwas bringt. Häufig hat die Grundsteuer kein riesiges Volumen, beträgt vielleicht 600 Euro im Jahr. Legen Sie nun Einspruch ein, streiten Sie sich um vielleicht 50 oder 60 Euro.

Für viele ist das viel Geld.

Schwab: Wer selbst Einspruch einlegt, kann das zunächst kostenlos tun. Legen Sie Einspruch über eine Steuerkanzlei ein, dann kostet es schnell zwischen 50 und 100 Euro. Wenn Sie den Fall bis zum Ende durchziehen, gibt es auch ein Prozessrisiko.

Musterverfahren in der Vergangenheit haben gezeigt, dass es Jahre dauern kann, bis es eine Entscheidung gibt. Und sollte das Bundesverfassungsgericht die Grundsteuer kippen, dann wird die Anwendung wahrscheinlich erst für die Zukunft gelten. Zumindest war das in der Vergangenheit so. Würde es die Grundsteuer rückwirkend für verfassungswidrig erklären, wären viele Kommunen und Städte auf einen Schlag pleite, weil sie die Grundsteuer nicht zurückzahlen könnten. Das ist unrealistisch.

Also muss jeder im Einzelfall abwägen?

Schwab: Ein pragmatischer Blick hilft. Zumal es bei der Grundsteuer Fortschreibungsmöglichkeiten gibt. Das bedeutet: Wenn ich einen fehlerhaften Bescheid habe, kann ich einen Antrag auf Fortschreibung stellen. Stelle ich diesen Antrag beispielsweise im Jahr 2025, weil ich feststelle, dass sich das Finanzamt um einen Quadratmeter verrechnet hat, dann muss der Fehler berichtigt werden und ich komme wieder in den Grundsteuerbescheid rein, auch wenn er jetzt schon rechtskräftig ist.

Hartmut Schwab ist seit 2019 Präsident der Bundessteuerberaterkammer. Er arbeitet als niedergelassener Steuerberater in Augsburg und ist zudem als Honorarprofessor an der Hochschule München tätig.
Hartmut Schwab ist seit 2019 Präsident der Bundessteuerberaterkammer. Er arbeitet als niedergelassener Steuerberater in Augsburg und ist zudem als Honorarprofessor an der Hochschule München tätig. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

Viele wissen gar nicht, ob ihr Bescheid fehlerhaft ist oder nicht – unter anderem wegen vieler pauschaler Annahmen im Bundesmodell.

Schwab: In diesem Fall würde man Einspruch einlegen und sich zum Beispiel auf die Begründung im Gutachten von Professor Kirchhof beziehen. Der erste Grund der Verfassungswidrigkeit besteht demnach darin, dass gewisse Wertparameter gar nicht nachprüfbar sind. Die Bodenrichtwerte etwa sind Werte, die von Gutachterausschüssen für ganz andere Zwecke erhoben werden. Gerade auf dem Land sind sie oft schwierig nachprüfbar. Aus ein, zwei Verkäufen werden dann Bodenrichtwerte errechnet, die oftmals nicht der Realität entsprechen.

Aber das trifft laut Gutachten auch auf Metropolen zu.

Schwab: Es ist die Frage, ob der Bodenrichtwert der richtige Wert für die Ermittlung der Grundsteuer ist.

Und, ist er das?

Schwab: Prinzipiell kann man den Wert eines Grundstückes heranziehen, weil die Grundsteuer vom Hebesatz der Gemeinde abhängt. Wenn ich einen hohen Wert bei der Grundsteuer anwende, kann die Gemeinde mit einem niedrigen Hebesatz die Grundsteuer aufkommensneutral gestalten.

Worauf der Bund aber keinen Einfluss hat. Und der Hebesatz ist eine der wenigen Möglichkeiten für die Gemeinden, selbst Geld einzufordern.

Schwab: Das stimmt, viele Werte werden durch die neue Berechnung sehr hoch. Wenn man den Bürgern keine exorbitanten Zahlungen bei der Grundsteuer aufbürden will, dann haben die Gemeinden gar keine andere Wahl, als die Hebesätze zu senken. So ist es auch vereinbart.

Rund 20 Millionen Grundsteuerbescheide sind mittlerweile zugestellt. Die Bundessteuerberaterkammer und auch die Steuergewerkschaft rechnen mit bis zu drei Millionen Einsprüchen.
Rund 20 Millionen Grundsteuerbescheide sind mittlerweile zugestellt. Die Bundessteuerberaterkammer und auch die Steuergewerkschaft rechnen mit bis zu drei Millionen Einsprüchen. © dpa | Jens Büttner

Schwab: Aber die Gemeinden haben keinen Zwang, das auch zu tun. Warum sollten sie eine lukrative Einnahmequelle beschneiden?

Schwab: Im Zweifel müssen sich die Gemeinden vor ihren Bürgern dafür rechtfertigen, dass diese deutlich mehr zahlen müssen. Die Grundsteuer ist ein gemeinhin akzeptiertes Modell, das etwa auch Mieter zahlen. Das ist für mein Dafürhalten auch redlich, weil die Gemeinde es als Finanzierungsinstrument nutzt, um etwa Betreuungseinrichtungen wie Kindergärten oder Freizeitangebote wie Schwimmbäder zu gewährleisten oder Straßen zu teeren. Nur darf die Gemeinde dabei nicht überziehen.

Aktuell ist es eine – oft unliebsame – Überraschung, was bei der Grundsteuer herauskommt. Wie kann das sein?

Schwab: Das ist der andere Grund, warum eigentlich alle Bescheide im gewissen Sinne verfassungswidrig sein könnten: Eigentlich müsste der Steuerbürger bei der Steuererklärung wissen, welche Steuer rauskommt. Und das ist gerade nicht der Fall.

Deshalb gibt es jetzt einen solchen Druck bei den Bescheiden, die Gemeinden müssen Proberechnungen erstellen, um ihre Hebesätze festzusetzen. In Bayern kommen sehr niedrige Werte heraus, da werden die Hebesätze wohl steigen. In anderen Städten sind es hohe Werte, da werden die Hebesätze sinken müssen.

Ist das bayerische Modell ein Vorbild?

Schwab: In einem gewissen Sinne schon, weil es leicht zu erklären ist. Andere Bundesländer wollen einen ‚wahren‘ Grundstückswert abbilden, den sie aufgrund der pauschalen Annahmen aber auch nicht erreichen.

Bisher wurde über Einsprüche noch nicht entschieden. Das bräuchte es aber, um Klagen voranzubringen. Spielen die Finanzämter bewusst auf Zeit?

Schwab: Die Finanzbehörden sind schlichtweg überfordert.

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Wie wirkt sich das auf die Steuerberater aus?

Schwab: Die Steuerberater sind noch voll ausgelastet mit den Schlussabrechnungen der Corona-Hilfen. Jetzt kam die Grundsteuer noch hinzu. Das war nicht hilfreich, aber wir haben es geschafft.

Findet man überhaupt einen Steuerberater, wenn man im Bescheid einen Fehler entdeckt?

Schwab: Es ist schwierig, einen Steuerberater lediglich für einen Einspruch zu finden, weil dieser für den Steuerberater nicht kostendeckend ist. Der Mandant muss aufgenommen und registriert werden. Und das bei einem Einspruch von vielleicht 50 Euro. Das rechnet sich nicht.

Wir hätten es sehr leicht gehabt, wenn die Finanzverwaltung alle Steuerbescheide unter Vorbehalt der Nachprüfung ausgegeben hätte. Dann würde keiner rechtskräftig werden und man hätte sich die Einsprüche sparen können. Leider hat sich der Gesetzgeber dagegen entschieden.

Welche Lehren sollten Bund und Länder ziehen?

Schwab: Die Bürger haben sich abgemüht, ihre Unterlagen und Daten zusammenzutragen. Jetzt, wo diese bei den Finanzämtern liegen, muss endlich eine Steuerdatenbank aufgebaut werden, auf die die Bürger kostenfrei zugreifen können. Wir brauchen Grundstückswerte ja nicht nur für die Grundsteuer, sondern zum Beispiel auch bei Ehescheidungen, Erbschaften oder Unternehmen für deren Bilanzen. Können wir die nun erhobenen Daten nutzen, würde das allen viel Zeit und Geld ersparen.

Die Steuergewerkschaft rechnet mit bis zu 3 Millionen Einsprüchen. Was ist Ihre Annahme?

Schwab: Ich rechne mit 1,5 Millionen bis 3 Millionen Einsprüchen.

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Welche Rolle spielt der Fachkräftemangel bei Ihnen?

Schwab: Manchmal frage ich mich, wo die Fachkräfte eigentlich alle hin sind. Auch wir müssen vermehrt Anstrengungen unternehmen, um noch Menschen zu finden. Dabei ist unser Ausbildungsberuf zum Steuerfachangestellten attraktiv. Es gibt keine arbeitslosen Steuerfachangestellten, der Beruf ist sicher. Nur ist unser Berufsstand bei jungen Menschen kaum bekannt. Die sehen Serien über Rechtsanwälte und Ärzte und begeistern sich dafür. Aber Steuerberater? Das hören sie vielleicht mal von ihren Eltern, sonst aber nicht.

Die Situation wird sich also verschärfen?

Schwab: Der durchschnittliche Steuerberater ist circa 54 Jahre alt. Positiv ist, dass immer mehr Frauen den Beruf für sich entdecken, sodass die Zahl der Steuerberater bundesweit zuletzt stetig leicht gestiegen ist. Zuletzt hatten wir 17.200 Auszubildende, was ebenfalls noch ein guter Wert ist. Die Branche zahlt attraktive Gehälter, das kann beim Werben um junge Nachwuchskräfte ein Vorteil sein.

Was verdient ein Steuerberater auf dem Land und in der Stadt?

Schwab: Das ist sehr unterschiedlich. In Metropolregionen wird mehr bezahlt als in Kleinstädten. Ein durchschnittliches Gehalt startet so um die 60.000 Euro. Klar ist auch, dass sich das dann je nach Werdegang noch fortentwickelt.

Viele verknüpfen die Arbeit des Steuerberaters mit altbackener Papierarbeit.

Schwab: Das stimmt aber nicht, die Steuerberater arbeiten sehr digital. Selbst die Finanzverwaltung gehört zu den digitaleren Verwaltungen. Das Chaos bei der Grundsteuer fußte vor allem darauf, dass es keine Vernetzung unter den Behörden gab, die dafür hätten sorgen können, dass die Steuererklärung vorausgefüllt gewesen wäre. Während manche Verwaltungen auf hohem digitalem Niveau arbeiten, befinden sich andere noch in der digitalen Steinzeit.

Werden neue Mandanten angesichts des Fachkräftemangels überhaupt noch angenommen?

Schwab: Es wird wieder besser, weil jetzt die Corona-Anträge und Grundsteuerbearbeitungen zurückgehen. Am Ende war es aber auch innerhalb der letzten drei Jahre immer irgendwie möglich, noch einen Steuerberater zu finden. Die Digitalisierung ermöglicht zudem, dass man auch Steuerberater bundesweit beauftragen kann und nicht nur die Steuerberater in der jeweiligen Heimatregion.

Sind die Preise durch die Knappheiten in den letzten Jahren gestiegen?

Schwab: Das kann man nicht pauschal sagen. Allerdings gibt es Tendenzen, die dafür sprechen. Der größte Kostentreiber in einer Kanzlei sind die Gehälter. Wenn man wie in diesem Jahr acht bis zehn Prozent auf die Löhne drauflegt, dann muss man das weitergeben. Die Mandanten haben aber häufig Verständnis dafür, wenn man ihnen erklärt, warum es teurer wird.

Welche Rolle wird Künstliche Intelligenz für Steuerberater spielen?

Schwab: Es gibt bereits Künstliche Intelligenz im Einsatz. Allerdings entbehrt das aktuell nicht des Zweitblicks, es muss noch jemand draufschauen. Trotzdem gibt es bereits eine Zeitersparnis. Die Verlage arbeiten bereits an großen KI-Systemen. Wenn die Verlage ihre gesamte Literatur einspeisen, dann werden Steuerberater viel Zeit sparen, wenn sie Nachweise oder Kommentare in der Literatur suchen. Die Digitalisierung kann uns entlasten – und eine große Hilfe angesichts des demografischen Wandels sein.

Welche Rolle spielt ChatGPT?

Schwab:ChatGPT kann bei der Datenbankrecherche helfen. Aber ChatGPT macht keine Steuererklärung. Das wäre vor allem aus Gründen des Datenschutzes problematisch.