Berlin. Ein neues Gutachten bewertet das Grundsteuergesetz des Bundes als verfassungswidrig. Steuerzahlerbund und Eigentümerverband klagen.

Millionen Menschen in Deutschland schlagen sich seit Monaten mit der Neuberechnung der Grundsteuer herum. Nachdem die Frist zur Abgabe der Steuererklärung Ende Januar abgelaufen ist, gehen nun erste Steuerbescheide durch die örtlichen Finanzbehörden ein. 15 bis 20 Millionen Steuerbescheide wurden bisher ausgestellt – mit teils unliebsamen Überraschungen für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, denen hohe Mehrkosten drohen. Steuerexperten raten bereits, Einspruch gegen die Bescheide einzulegen.

Und das womöglich mit gutem Grund. Denn das Grundsteuergesetz des Bundes könnte verfassungswidrig sein. Zu diesem Schluss kommt zumindest Professor Gregor Kirchhof, Lehrstuhl-Inhaber für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Universität Augsburg. In einem 73-seitigen Gutachten im Auftrag des Bundes der Steuerzahler sowie des Eigentümerverbandes Haus und Grund stellt Kirchhof dem Bund ein denkbar schlechtes Zeugnis aus: „Ich halte das Grundsteuergesetz des Bundes für verfassungswidrig“, sagte Kirchhof am Montag in Berlin.

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Grundsteuer: Gutachten hält Bundesmodell für verfassungswidrig

Elf Bundesländer nutzen das vom Bund entwickelte Modell. Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen und Niedersachsen sind ausgeschert und haben eigene Landesmodelle umgesetzt. Am Bundesmodell lässt Kirchhof in seinem Gutachten kein gutes Haar.

Gleich in fünf Punkten würden sich Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit ergeben. So orientierte sich die Bewertung zu sehr an der Einkommenssteuer – obwohl das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich ein eigenes Bewertungssystem gefordert habe. Auch seien die Bodenrichtwerte nicht miteinander vergleichbar. Steuerrechtler Kirchhof bringt ein Beispiel aus der Hauptstadt: In Berlins Nobel-Wohnlage am Wannsee betrage der Bodenrichtwert 1500. Im weniger betuchten Bezirk Neukölln hingegen sei der Wert mehr als doppelt so hoch.

Grundsteuer: Gutachten hält Parameter für realitätsfern

Mit dem Bodenrichtwert sei es ohnehin eine Krux: Mal habe ein Haus auf der linken Straßenseite einen höheren Bodenrichtwert als eines auf der rechten Straßenseite, führte Kirchhof aus. Wer das als rechtswidrig empfindet, kann eigentlich versuchen, einen Gegenbeweis zu erbringen, so sieht es das Steuerrecht ausdrücklich vor. Aber: „Das Grundsteuer-Gesetz untersagt den Gegenbeweis“, sagt Kirchhof. Wenig verwunderlich, schließlich würden bei 20 Millionen Verfahren zu Gegenbeweisen die Finanzämter wohl in die Knie gehen.

Für Millionen Immobilieneigentümer in Deutschland könnte die Reform der Grundsteuer teuer werden. (Symbolbild)
Für Millionen Immobilieneigentümer in Deutschland könnte die Reform der Grundsteuer teuer werden. (Symbolbild) © travelview/istock

Weiter kritisiert der Steuerrechtler, dass das Bundesmodell auf zu viele und teils realitätsferne Parameter zurückgreift und individuelle Umstände nicht berücksichtigt werden würden. Zudem drohe eine Ungleichbehandlung, da die Bewertung nach dem Bundesmodell eine teils mehr als doppelt so hohe finanzielle Belastung der Betroffen im Vergleich zu den Bundesländern mit eigenem Modell darstelle.

Steuerzahlerbund und Eigentümerverband wollen klagen

Der Steuerzahlerbund und Haus und Grund wollen nun auf Grundlage des Gutachtens das Bundesmodell anfechten. In fünf Bundesländern laufen Musterprozesse. Ziel sei es, schnellstmöglich eine Klärung vor dem Bundesverfassungsgericht zu erwirken, teilten die Verbände mit. Sowohl Steuerzahlerpräsident Reiner Holznagel als auch Haus und Grund-Präsident Kai H. Warnecke empfahlen Eigentümern, Einspruch gegen die Steuerbescheide einzulegen.

Holznagel warf der Politik vor, die Angelegenheit auf dem Rücken der Eigentümer aussitzen zu wollen. Es sei offensichtlich, dass die neue Grundsteuer so nicht funktioniere. Sie sei zu kompliziert, intransparent und ungerecht, kritisierte der Steuerzahlerpräsident.