London. Was für ein Spektakel im Fußball-Tempel Wembley. Das DFB-Team musste dabei ohne die verletzte Kapitänin Alexandra Popp auskommen.

Es war 19.32 Uhr Ortszeit in London, als reihenweise die Spielerinnen in den grünen Trikots auf den heiligen Rasen sanken. Torhüterin Merle Frohms war dabei diejenige, die gar nicht mehr aufstehen wollte, aber auch viele ihrer Vorderleute weinten hemmungslos. Letztlich blieb ein großer Kampf der deutschen Fußballerinnen unbelohnt. Im EM-Finale gegen England zogen die DFB-Frauen unglücklich mit 1:2 (1:1, 0:0) nach Verlängerung den Kürzeren. Im neunten Endspiel war es die erste Niederlage für den Rekordeuropameister. Das deutsche Ensemble hatte in einem spannenden Showdown vor den 87.192 Zuschauern nach dem Rückstand von Ella Toone (56.) noch durch Lina Magull (79.) die Verlängerung erzwingen, ehe die eingewechselte Chloe Kelly nach einer Konfusion im Nachschuss für die Entscheidung sorgte (111.).

Fast schon trotzig formte Torschützin Magull hinterher ein Herz in Richtung der deutschen Fans. Und doch standen viele ihrer Mitspielerinnen ziemlich bedröppelt daneben, als der ganze Konfettiregen versehentlich auf sie herabwehte, der doch eigentlich den Siegerinnen gewidmet war. Als Kapitänin Leah Williamson gegen kurz vor 20 Uhr die begehrte Silberware empfing, wackelte auf dem Podest der bunte Bogen. Die Ehrenrunde wurde von ohrenbetäubenden Jubelchören begleitet – in diesem Moment war der Verlierer nur Beiwerk. Eine in London geborene Spielerin befreite England vom Trauma, 56 Jahre keinen großen Titel im Fußball gewinnen zu können.

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Leistung der DFB-Frauen bei der EM- Eine einmalige Chance

Kapitänin Alexandra Popp fällt aus

Die Wolfsburgerin Alexandra Popp, mit sechs Treffern beste deutsche Torschützin, verpasste das Endspiel kurzfristig aufgrund von muskulären Problemen.
Die Wolfsburgerin Alexandra Popp, mit sechs Treffern beste deutsche Torschützin, verpasste das Endspiel kurzfristig aufgrund von muskulären Problemen. © dpa | Sebastian Christoph Gollnow

Die Hymne „Football’s Coming Home“ dröhnte gefühlt über die ganze Insel. Für die Deutschen war das Drama ohne Happy End nur schwer ertragen. „Es tut unfassbar weh, wir haben 120 Minuten alles gegeben, alles reingeworfen. Wir haben gefightet und wurden leider nicht belohnt“, sagte Ersatzkapitänin Svenja Huth. „Wir müssen das jetzt erstmal einen Moment sacken lassen. Natürlich sind wir trotzdem stolz, dass wir viele Menschen erreichen konnten.“

Martina Voss-Tecklenburg war nach Spielende zuerst zu Frohms geeilt, um ihrer Nummer eins aufzuhelfen. Die Bundestrainer wird sich damit trösten müssen, dass ihre Gemeinschaft ja viel mehr erreicht hatte, als alle erwartet hatten. Dass es jetzt vor der gewaltigen Kulisse auf so unglückliche Art und Weise nicht mehr reichte, muss keinen groß grämen. Die Herzen von Millionen neuer Fans in der Heimat hat diese Gemeinschaft gewonnen. Voss-Tecklenburg wird nicht müde zu betonen, dass für die Zukunft viel Qualität in dieser zusammengewachsenen Gemeinschaft steckt.

Bereits im nächsten Sommer steigt die WM in Australien und Neuseeland. „Man wird im Leben Spiele verlieren. Wir sind die ersten, die dann fair gratulieren“, hatte die 54-Jährige zuvor gesagt. Später beim Bankett draußen der Grafschaft Hertfordshire sind dann noch viele aufbauende Worte gefolgt. „Die Mannschaft hat das ganze Land in den letzten Wochen in einen kleinen Rausch versetzt“, sagte DFB-Präsident Bernd Neuendorf.

So wie das Vorprogramm mit der englischen Popsänger Betty Hill mit reichlich Knalleffekten begann, war das Auswärmen mit einem Schockmoment zu Ende gegangen: Ausgerechnet Kapitänin Alexandra Popp musste mit muskulären Problemen ganz kurzfristig passen, dafür rückte die am selben Tag zur „Fußballerin des Jahres“ gekürte Lea Schüller erstmals nach ihrer überstandenen Covid-Infektion in die Startelf. „Für Poppi war es unglaublich traurig, aber wir haben es als Mannschaft angenommen und es wurde leider nicht belohnt“, so Huth.

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Deutschem Team fehlte es an offensiven Lösungen

Die Engländerinnen stellten das druckvollere Team, aber abgesehen von einem knapp über die Latte gesetzten Direktschuss seiner Rekordtorjägerin Ellen White (38.) hatte der Gastgeber kaum eine klare Chance. Aber auch dem deutschen Team fehlte es lange an offensiven Lösungen.

Englischer Jubel: Die Gastgeberinnen wurden erstmals Europameister.
Englischer Jubel: Die Gastgeberinnen wurden erstmals Europameister. © dpa | Jonathan Brady

Bei der besten Chance spitzelte Magull den Ball mit der Fußspitze knapp am Tor vorbei (50.). Keine Frage, die DFB-Elf war im zweiten Durchgang zeitweise viel besser in diesem Showdown drin. Englands Trainerin Sarina Wiegman reagierte mit der Hereinnahme von Alessia Russo und Toone, die prompt sechs Minuten später nach einem Traumpass von Keira Walsh erst Kathrin Hendrich enteilte und dann unhaltbar den Ball über Frohms zum 1:0 in die Maschen hob. Doch die Gäste noch nicht geschlagen: Hatte Magull erst noch das Lattenkreuz getroffen (66.), machte es die technische starke Mittelfeldspielerin nach einem tollen Spielzug über die eingewechselten Sydney Lohmann und Waßmuth viel besser und traf mit links zum 1:1.

Die Verlängerung lief insofern nicht gut, dass die angeschlagene Abwehrchefin Marina Hegering passen musste, für die Sara Doorsoun kam. Vielleicht ein Faktor, dass nach einer Ecke von Lauren Hemp die Orientierung verloren ging. Der Ball prallte von Lucy Bronze zu Kelly – und die Siegtorschützin riss sich das Stück Stoff vom Leib wie einst Simone Laudehr beim deutschen WM-Triumph 2007 in China. Ein Bild, das im Mutterland des Fußballs nun für ewig in Erinnerung bleibt.