Braunschweig. Vor den Spieltagen geht’s zum Training nach Norderstedt: Die Amputierten-Fußballer der SG Nord-Ost investieren reichlich Zeit in ihre Leidenschaft.

Sie alle haben ein gemeinsames Schicksal, eine Amputation hinter sich oder ein verkürztes Bein. Doch die Geschichten, die hinter ihren Schicksalen stehen, sind oftmals nicht einmal ihren Mannschaftskollegen bekannt, mit denen sie bereits seit Jahren in der Kabine zusammensitzen. Und sie spielen auch keine Rolle, wenn sie sich das Trikot überstreifen – und ihrem Sport nachgehen. Die Rede ist von den Bundesliga-Spielern im Amputierten-Fußball.

Die Bundesliga im Amputierten-Fußball feiert ihre PremierensaisonDie Bundesliga im Amputierten-Fußball feiert ihre Premierensaison

„Ich bin beeindruckt vom Tempo, von der Dynamik und davon, wie hier die Zweikämpfe geführt werden – das hatte ich so nicht erwartet. Und ich finde es unglaublich, wie die Spieler sich auf Krücken bewegen und dann auch noch so schießen können“: Voller Respekt und Anerkennung sage ich diese Sätze in Richtung von Bastian Pusch, dem Trainer der Sportfreunde Braunschweig, die in der Bundesliga als Spielgemeinschaft Nord-Ost mit dem Hamburger SV und Tennis Borussia Berlin an den Start gehen. Und ich bin überrascht von seiner Reaktion, denn es sind Sätze, die er so eigentlich gar nicht hören will. „Das ist halt Fußball“, lautet die Antwort von Bastian Pusch dazu. Damit sind wir eben wieder am Anfang, und ich verstehe es auch: Hier geht es nicht um Schicksale, hier geht es um den Sport an sich!

Ortega: „Beim ersten Mal auf Krücken pudelwohl gefühlt“

„Es fühlt sich an, als würde ich normal Fußball spielen. Es geht unter die Haut, es macht einfach nur Spaß“, sagt SG-Akteur Manuel Ortega, der sich „gleich beim ersten Mal, als er auf Krücken war, pudelwohl gefühlt“ hatte. Und der 30-jährige Nationalspieler im Amputierten-Fußball kennt den Sport eben auch ohne Krücken, er spielt nebenbei noch mit Prothese für den TuS Ricklingen.

Abgezogen: In dieser Szene nimmt Nord-Ost-Akteur Majed Sajid genau Maß.
Abgezogen: In dieser Szene nimmt Nord-Ost-Akteur Majed Sajid genau Maß. © regios24 | Michael Uhmeyer

Mit seinen 30 Jahren bildet Ortega das „Mittelalter“ in seiner Mannschaft. Er spielt zusammen mit dem erst 13-jährigen Benito Salazar, der mit einer Sonderspielgenehmigung eingesetzt wird – „eigentlich darf man erst ab 14 Jahren hier spielen“, erklärt Bastian Pusch. Und Holm Siebert ist mit seinen 47 Jahren der „Oldie“ im Team der SG Nord-Ost. „In Hoffenheim hat ein 60-Jähriger mitgespielt“, zeigt der Coach der Braunschweiger auf, dass das Alter in diesem Sport keine Rolle spielt. „Und bei uns gibt es auch keine Geschlechtertrennung“, schiebt er schmunzelnd nach.

Wettbewerbe wie diese extrem wichtig

Der 43-jährige Bastian Pusch gehört zu den Männern der ersten Stunde in Sachen Amputierten-Fußball in Deutschland, ist selbst 2013 „fürs erste Training rund 500 Kilometer gefahren“ – ohne vorher einen seiner Mitspieler je gesprochen zu haben. „Und ich war sofort infiziert von dieser Sportart“, erinnert er sich an die Anfänge. Damals dachte noch keiner daran, dass acht Jahre später die Bundesliga ihren Spielbetrieb aufnehmen sollte. „Es ist extrem wichtig, dass wir so einen Wettbewerb haben. Wenn du immer nur trainierst und kein Ziel vor Augen hast, dann verlierst du schnell die Lust. Das hat uns schon ein paar Leute gekostet“, verdeutlicht der SG-Coach.

Bastian Pusch
Bastian Pusch © Privat

Kein Wunder, schließlich nehmen die Amputierten-Fußballer für ihre Übungseinheiten eben auch einen großen Aufwand in Kauf. „Wir können zwar auch regional vor Ort trainieren. Die letzten beiden Samstage vor den Spieltagen haben wir dann aber immer gemeinsam in Norderstedt trainiert. Du musst enthusiastisch sein, Bock auf Fußball haben – und deine Tankfüllung eben auch mal aus eigener Tasche bezahlen“, zeigt Pusch auf, wie viel Leidenschaft und auch Zeit die Aktiven in ihre Sportart investieren.

Aufstehen – und es einfach mal selbst ausprobieren

„Runter von der Couch, rauf auf den Platz“ ist die Devise. „Es wäre schön, wenn mehr Leute von der Couch aufstehen, die Prothese ablegen und es einfach mal selbst ausprobieren würden“, lautet Puschs großer Wunsch für seinen Sport.

Ein kleiner Wunsch erfüllte sich nun bereits am dritten Bundesliga-Spieltag in Vordorf: Sein Team der SG Nord-Ost feierte einen 2:1-Erfolg gegen Fortuna Düsseldorf, den ersten Sieg in seiner Bundesliga-Geschichte. Und viele weitere sollen folgen, schließlich „möchte ich mit den Sportfreunden Braunschweig deutscher Meister werden“.