Jannis Niewöhner ist einer der gefragtesten jungen Schauspielstars. Gerade ist er gleich in zwei Filmen im Kino zu sehen.

An Jannis Niewöhner kommt man derzeit nicht vorbei: Seit dem 2. September läuft die Thomas-Mann-Adaption „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“, in der er die Titelrolle spielt. Und heute startet das Politdrama „Je suis Karl“, für das Niewöhner zum ersten Mal für einen Deutschen Filmpreis als bester Schauspieler nominiert ist. Unterschiedlicher könnten die beiden Filme nicht sein. Darüber haben wir mit dem 29-Jährigen gesprochen.

Herr Niewöhner, innerhalb von zwei Wochen gleich zwei große Filme. Ist das toll, wenn man solch eine Bandbreite zeigen kann? Oder nehmen sich die Filme gegenseitig die Aufmerksamkeit?

Könnte man sich das aussuchen, wäre es sicher schöner, wenn mehr Zeit dazwischen liegen würde. Aber so ist es auch okay. Das sind Dinge, die man sowieso nie beeinflussen kann. Es kommt, wie es kommt. Und momentan ist man ja froh um jeden Film, der nach dem Lockdown ins Kino kommt.

Für „Je suis Karl“ sind Sie beim Deutschen Filmpreis als bester Hauptdarsteller nominiert. Was bedeutet Ihnen das?

Ich freue mich wirklich sehr über meine und die weiteren Nominierungen für „Je suis Karl“. Das ist ein sehr besonderer und wichtiger Preis, nicht nur, weil er ausschließlich von Filmschaffenden vergeben wird. Und dann ist „Je suis Karl“ eben auch ein sehr besonderer und wichtiger Film, der durch die Nominierungen noch mehr Aufmerksamkeit bekommt.

Unterschiedlicher könnten die beiden Filme nicht sein: Der eine ist eine Literaturverfilmung über die Belle Epoque, das andere ein hartes Politdrama und ein sehr heutiger Kommentar zum Rechtsruck in unserem Land. Welche Art Kino liegt Ihnen näher?

Was einfach neuer für mich ist, ist die Art, wie Christian Schwochow politische Themen erzählt. Das war wahnsinnig interessant für mich. Weil ich dadurch mehr über die politische Lage erfahren habe und tiefere Einblicke in die Materie nehmen konnte, was etwa die Neue Rechte angeht. Auch schauspielerisch gab es da viel, was ich noch nie gemacht habe. Andererseits ist natürlich auch eine Thomas-Mann-Adaption sehr reizvoll, weil ich mit dieser Form der Sprache noch nicht konfrontiert war. Auch da habe ich viel gelernt.

In „Je suis Karl“ sind Sie als Demagoge und rechter Rattenfänger dämonisch. Stimmt es, dass Sie fast abgelehnt hätten, weil Sie meinten, das können Sie nicht spielen, den großen Redner würde man Ihnen nicht abnehmen?

Ich habe nicht abgelehnt. Aber so eine Rolle habe ich noch nie gespielt. Ich bin kein Mann der Sprache. Deshalb hatte ich etwas Angst davor. Das war dann aber auch das Tolle daran. Christian sagte nur: Lass dich auf die Ängste ein und konfrontiere dich damit. Das habe ich dann getan, und das war total gut, weil ich so ein ganz neues Selbstvertrauen gefunden habe: dass man Dinge neu erarbeiten und lernen kann. Und manchmal auch
erst lernt, während man sie tut.

„Je suis Karl“ hat ganz viel vorausgeahnt, was dann während und nach dem Dreh eingetreten ist. Im Film gibt es einen Umsturz, der die Erstürmung des Kapitols schon vorwegnahm. Wird einem selber unheimlich, wenn man so einen Film gedreht hat?

Das begleitet irgendwie den ganzen Film, seit das Drehbuch entwickelt wurde. Wir hatten gerade eine Woche gedreht, als der Anschlag in Halle verübt wurde. Dann kam Hanau. Und dann das Kapitol. Jedes Mal rief ich Christian an und meinte, wir müssen jetzt den Film rausbringen. Aber Christian sagte: Dieser Film wird die nächste Zeit immer aktuell bleiben. Das ist sehr beängstigend. Aber es ist umso wichtiger, dass man so einen Film dreht und das erzählt. Viele, die den Film gesehen haben, finden es ja völlig übertrieben, was wir zeigen. Nur wenige kennen sich mit der Neuen Rechten aus. Und wissen, dass es das so schon gibt.

„Felix Krull“ ist dagegen hohe Literatur. Sie haben vorher „Narziss und Goldmund“ nach Hesse gedreht und dann „Der Überläufer“ nach Siegfried Lenz. Sind Sie der Mann für die großen deutschen Literaturverfilmungen?

Ich hätte mich selber nie so gesehen. Weil ich nie die große Leseratte war. „Felix Krull“ habe ich gelesen. Mit 18. Mein Onkel hat mir das geschenkt. Aber sonst war ich nie so vertraut mit Literatur. Deshalb überrascht es mich, wenn ich dafür besetzt werde. Ich nehme das mit großer Freude an.

„Felix Krull“ ist nicht nur von einem Nobelpreisträger geschrieben worden, es gibt auch schon zwei Verfilmungen, an denen man gemessen werden könnte. Hat man da Muffensausen vor möglichen Vergleichen, oder muss man sich davon auch locker machen?

Ich kenne das schon auch von mir, dass ich mich manchmal vergleiche. Aber davon muss man sich befreien. Und das geht auch. Ein Gefühl, das mich nicht weiterbringt, muss ich auch abstellen. Wenn ich der Regisseur wäre, wäre das sicher noch mal anders. Und natürlich könnte es Vorbehalte geben, könnten Menschen, die das Buch gelesen haben, nicht immer einverstanden sein mit dem, was der Film macht. Natürlich ist Felix Krull eine Thomas-Mann-Figur, aber die Vision, die wir erzählen, ist die von Daniel Kehlmann und Detlev Buck.

Buck hat Sie schon in „Asphaltgorillas“ komplett gegen Ihr Image besetzt.

Ja, und dafür bin ich ihm auch sehr dankbar. Buck geht nie auf verkrampfte Weise an etwas ran, er will nie was perfekt machen. Viele Regisseure wären an dieses Werk sicher anders herangegangen. Aber das Tolle an Buck ist, welche Freiheiten er sich herausnimmt und welche Risiken er eingeht. Auch das Risiko, dass nicht immer alles funktioniert. Aber nur wenn man unverkrampft an etwas herangeht, entsteht etwas Neues.

Was war denn Ihre allererste Reaktion auf das Angebot, den Krull zu spielen? Haben Sie auch, wie bei „Karl“, erst mal gezuckt?

Die Anfrage kam ja schon vor langer Zeit. Produzent Markus Zimmer wollte „Felix Krull“ schon ganz lange drehen. Ich war damals erst 21 und hatte mich riesig gefreut. Auch weil mein Onkel ein großer Thomas-Mann-Liebhaber ist und mich immer als Krull gesehen hat. Und es gibt da ja auch wirklich viele Parallelen.

Das müssen Sie jetzt aber genauer erklären.

Ich hab’ zwar im Vergleich zu Felix Krull eine Familie und einen Ort, wohin ich immer wieder zurückkehre – was sehr wichtig für mich ist, anders könnte ich meine Arbeit gar nicht ausüben. Aber was Krull selbst als „große Freude“ beschreibt: ins Leben hinausgehen, inspiriert werden durch neue Erfahrungen und Bekanntschaften, dann aber auch weiter ziehen, das kenne ich sehr, das habe ich schon auch. Und die Spielfreude.

Gehört ein bisschen Hochstapelei zum Beruf eines Schauspielers dazu? Immer vorgeben, ein Anderer zu sein, als man ist?

Die Parallele ist ganz sicher, dass du auf eine gewisse Art ein Hochstapler bist, du dich aber wie der Hochstapler nie als solcher bezeichnen würdest. Ich bin dann die Figur, ich glaube an die Realität dieser Figur, und nur so wird es möglich, sie als echt zu verkaufen. Im Roman simuliert Felix Krull ja auch, krank zu sein, und wird dann wirklich krank. Du musst so sehr an etwas glauben, dass du es nachempfinden kannst. Das Schöne an „Felix Krull“ ist aber, im Vergleich zu vielen anderen Hochstaplern, das Liebenswerte, die Wärme, dass auch das Gegenüber etwas zurückbekommt.

Schön ist auch, dass Krull ja immer eine Projektionsfigur ist und förmlich zu den Hochstapeleien gedrängt wird, weil andere etwas in ihm sehen. Ist das auch eine Parallele?

Klar. Wie Regisseure, die mich besetzen und etwas in mir sehen, das ich mir erst mal nicht zutraue. Aber auch sonst sind wir alle kleine Hochstapler im Leben. Es gibt ja ein regelrechtes Hochstapler-Syndrom: das Gefühl, ständig entlarvt zu werden, weil man glaubt, in einer Sache gar nicht so gut zu sein. Und Hochstapler sind wir auch, weil wir alle geliebt werden wollen und unsere Intelligenz nutzen, um das zu erreichen. Das ist wohl auch der Grund, warum solche Hochstaplerfiguren so reizvoll sind.

So grundverschieden die Filme auch sind, Karl und Krull sind gar nicht so weit auseinander. Beide Figuren sind Hochstapler, die ihre Umwelt verführen, der eine sehr charmant, der andere kühl und hochgefährlich.

Absolut, das sind zwei Seiten einer Medaille. Dass die jetzt so kurz hintereinander kommen, ist verblüffend. Wobei ich diese Nähe beim Drehen nicht gesehen habe. Aber ich fand beide Rollen wohl auch aus dem Grund so spannend: weil sie manipulieren. Und weil beide ihre Gefühle nicht spielen. Die sind so gut im Verführen, weil sie wirklich echt sind in dem, was sie tun.

Glauben Sie, das Kino kehrt zurück? Oder haben auch die Letzten durch die Pandemie das Streamen gelernt?

Ich fürchte, dass die Bereitschaft, ins Kino zu gehen, weiter abgenommen hat. Ich denke dennoch, dass die Lust zurückkommt. Mir gefällt die romantische Idee davon. Genauso wie Vinylschallplatten wieder einen Charme bekommen haben, weil es ein besonderer Klang ist. Und weil das ein Ritual ist, für das man etwas tun muss. Ich will daran glauben, und ich tue es auch.

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