Salzgitter. Der zum Tatzeitpunkt 14-Jährige ist zu einer Jugendfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt worden. Die Verteidigung kündigt Revision an.

Die strafrechtliche Aufarbeitung des gewaltsamen Todes der 15 Jahre alte Anastasia aus Salzgitter ist am Dienstag zu einem vorläufigen Ende gekommen. Ein Ende mit klaffenden Wunden und zahllosen offenen Fragen: Warum, wie und wer genau sind nur drei davon.

Das Landgericht Braunschweig hat einen der beiden mutmaßlichen Täter wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Nach Informationen unserer Zeitung blieb die Kammer damit knapp unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Der zum Tatzeitpunkt 14-jährige Mitschüler der Getöteten wurde nach Jugendstrafrecht verurteilt. Die Verhandlung inklusive der Urteilsverkündung fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Das ist aufgrund des Alters des Angeklagten von Gesetzes wegen so vorgesehen.

„Unerträglich“ sagt Opferanwalt

Das Gericht sah eine heimtückische Tat. Gemeinsam mit einem damals 13 Jahre alten Freund soll der Verurteilte die Jugendliche am 19. Juni 2022 auf einem verwilderten Grundstück in Salzgitter erstickt und ihre Leiche in einem Gebüsch versteckt haben. Erst Tage später wurde sie gefunden. Zum Tatzeitpunkt war der jüngere der beide noch nicht strafmündig – die beiden mutmaßlichen Täter liegen altersmäßig nur wenige Monate auseinander und sind heute 14 und 15 Jahre alt.

Die Höchststrafe für den Angeklagten lag bei zehn Jahren. Opferanwalt Steffen Hörning hätte diesen Strafrahmen weiter ausgeschöpft. Anastasias Familie „wird ihr Leben lang mit dem Verlust leben müssen, während der Täter nach ein paar Jahren wieder frei ist“. Viel schlimmer sei jedoch, dass „so viele Fragen offen geblieben sind“.

Geradezu „unerträglich“ ist für die Angehörigen, dass der zweite mutmaßliche Mörder „unbehelligt draußen herumläuft“. Hörning sprach sich für eine Debatte um die Absenkung der Altersgrenze der Strafmündigkeit aus. „13-Jährige heutzutage sind in ihrer Reife nicht mehr zu vergleichen mit 13-Jährigen vor 50 Jahren.“

Verteidiger Thilo Schäck sah „einen schwarzen Tag für meinen Mandanten und seine Eltern“. Der Verteidiger hatte nach eigenen Angaben einen Freispruch gefordert und vorgetragen, dass der Angeklagte nicht an der Tat beteiligt gewesen sei. Er hat Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt.

Mord in Salzgitter erschütterte Salzgitter, die Region und ganz Deutschland

Anastasias gewaltsamer Tod erschütterte viele Menschen – nicht nur in Salzgitter und der Region Braunschweig-Wolfsburg, sondern bundesweit: Im Juni 2022 war die 15-Jährige tot auf einer Grünfläche in Salzgitter entdeckt worden, mutmaßlich ermordet von zwei Mitschülern.

Ein Kameramann filmt das leuchtende Schild mit der Aufschrift „Öffentlichkeit ausgeschlossen“ am Eingang zu Saal 141 im Landgericht Braunschweig. Im Prozess um den gewaltsamen Tod der 15-jährigen Anastasia aus Salzgitter ist der Angeklagte wegen Mordes zu einer Jugendfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt worden.
Ein Kameramann filmt das leuchtende Schild mit der Aufschrift „Öffentlichkeit ausgeschlossen“ am Eingang zu Saal 141 im Landgericht Braunschweig. Im Prozess um den gewaltsamen Tod der 15-jährigen Anastasia aus Salzgitter ist der Angeklagte wegen Mordes zu einer Jugendfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt worden. © dpa | Moritz Frankenberg

Das Urteil der Jugendstrafkammer des Braunschweiger Landgerichts wurde mit Spannung erwartet. Besonders die Familie des Opfers hoffte darauf, dass die furchtbare Tat gesühnt wird. „Ob es am Ende acht oder neun Jahre Haft werden, ist gar nicht so entscheidend“, sagte Rechtsanwalt Steffen Hörning als Vertreter der Nebenklage. „Wichtig für die Familie ist es, dass das Gericht überhaupt zu einer Verurteilung kommt.“

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Der jüngere mutmaßliche Täter kann strafrechtlich nicht belangt werden

Einzelheiten aus dem Prozess dürfen nicht kommuniziert werden, um die Rechte des angeklagten Jugendlichen zu wahren. Mehr als den Urteilsspruch und das Strafmaß wird die Öffentlichkeit daher auch kaum erfahren. Der mutmaßliche Mittäter war zur Tatzeit erst 13 Jahre alt und kann daher nicht zur Verantwortung gezogen werden. In Deutschland gilt: Strafmündig ist erst, wer das 14. Lebensjahr vollendet hat.

Nach dem Urteil fordert die Nebenklage eine Prüfung des Alters für Strafmündigkeit. Es sei in diesem konkreten Fall unerträglich festzustellen, dass ein 13-jähriger Junge – der mutmaßliche Mittäter – als schuldunfähig gelte und wegen der mutmaßlichen Tat nicht belangt werden könne, sagte Anwalt Steffen Hörning am Dienstag. „Damit ist schwer umzugehen.“ Er rief den Gesetzgeber dazu auf, sich mit einer größeren Expertengruppe Gedanken zu machen. Ein tagtäglicher Blick im Leben zeige, dass 12- oder 13-Jährige heutzutage in ihrer geistigen und sittlichen Reife nicht mehr zu vergleichen seien mit 12- oder 13-Jährigen vor 40 oder 50 Jahren.

Die Frage nach der Altersgrenze war schon kurz nach Bekanntwerden des Falles aufgeworfen worden.

Die beiden Jungen sollen die 15-Jährige am 19. Juni auf ein verwildertes Grundstück in Salzgitter-Lebenstedt gelockt und sie dort ermordet haben, erklärte die Staatsanwaltschaft nach der Anklageerhebung im November. Der jüngere der beiden soll sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft aus dem Vorjahr von hinten an das Mädchen herangeschlichen und sie bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt haben. Nach Anastasias Tod hätten die Jungen ihren Leichnam in einem Gebüsch versteckt. Dort wurde er zwei Tage später gefunden. Bereits Wochen zuvor hätten die beiden den Tod des Mädchens geplant. Warum? Das ist eine Frage, die über allem schwebt. Anastasia habe den 14-Jährigen als einen Freund gesehen, hieß es seinerzeit von den Strafverteidigern.

Rechtsanwalt: Der Vater von Anastasia verfolge „wie im Tunnel“, was im Saal passiert

Für die Familie sei es „ein unerträglicher Zustand“, dass einer der beiden nicht für seine Tat belangt werden kann, sagt Hörning. Dem Rechtsanwalt zufolge verfolgt der Vater „wie im Tunnel“, was im Gerichtssaal passiert.

Rechtsanwalt Steffen Hörning, Vertreter der Nebenklage, gibt im Landgericht Braunschweig ein Pressestatement ab.
Rechtsanwalt Steffen Hörning, Vertreter der Nebenklage, gibt im Landgericht Braunschweig ein Pressestatement ab. © dpa | Moritz Frankenberg

In der vorigen Woche hatten Medien berichtet, das Anastasias Vater bewaffnet zum Prozess-Auftakt erschienen sei. Demnach hatte der 43-Jährige ein illegales Springmesser dabei. Justizwachtmeister hätten das Messer bei einem Check nach einer Pause entdeckt und dann Alarm geschlagen. Laut Hörning sei man hier aber weit von Selbstjustiz entfernt: Anastasias Vater trage das Messer zum Pilzesammeln bei sich. Ihm sei nicht klar gewesen, dass er es nicht im Gerichtsgebäude bei sich tragen durfte.