Hamburg. Die Koalition steht unter Schock, doch Schuldzuweisungen helfen niemandem. Stattdessen muss gespart werden – auch dort, wo es wehtut.

Regieren ist derzeit nicht vergnügungssteuerpflichtig: Wir leben in einer Welt der Multikrisen – Krieg in der Ukraine, Terror in Nahost, Wirtschaftsschwäche, Klimawandel – und nun hat das Haushalts-Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Ampel in ihren Grundfesten erschüttert. Das Bündnis, das „mehr Fortschritt wagen“ wollte, steht mit dem Rücken zur Wand. Nur die deutsche Nationalelf gibt derzeit ein noch traurigeres Bild ab als die Regierungsmannschaft.

Zur Halbzeit sind die Erfolge der Ampel fast vergessen: Wer denkt noch an den rekordschnellen Aufbau einer alternativen Gasversorgung, den Fortschritt bei der Energiewende oder das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, wenn diese Regierung nun ohne Haushalt dasteht? Da ist es menschlich, dass die Regierung einen Schuldigen sucht – und ihn in der Opposition findet, die ihren Sieg vor dem Verfassungsgericht feiert. Tatsächlich stellt sich die Frage, ob es sich die Republik angesichts der Rezession leisten kann, den Haushalt zu kippen. Stand jetzt fehlen 60 Milliarden Euro.

Karlsruhe-Urteil droht die Wirtschaft 2024 in die Rezession zu stürzen

Damit stehen nicht nur viele Klimaschutzprojekte auf der Kippe, sondern auch bitter nötige Preissenkungen für Strom, Gas und Fernwärme. Die Gastro-Branche musste schon ihre Hoffnung auf niedrigere Steuern begraben. Das alles dürfte die Wirtschaft einen halben Prozentpunkt Wachstum kosten und die Rezession im kommenden Jahr verlängern. Eine so rustikale Opposition in Krisenzeiten hat es seit Oskar Lafontaine während der Kanzlerdämmerung von Helmut Kohl nicht gegeben. Auch viele Firmenlenker sind ungehalten über die Blockade der Union zur Unzeit.

Matthias Iken ist stellvertretender Chefredakteur des Hamburger Abendblatts.
Matthias Iken ist stellvertretender Chefredakteur des Hamburger Abendblatts. © Andreas Laible / FUNKE Foto Services | Andreas Laible

„Schönen Dank, Friedrich Merz“, giftet Wirtschaftsminister Robert Habeck in Richtung Union. Doch wer mit dem Finger auf andere zeigt, sollte bedenken – mindestens drei Finger zeigen auf einen selbst zurück. Das Verschieben der ungenutzten Kreditermächtigungen für Corona-Hilfsmaßnahmen in Höhe von 60 Milliarden Euro in den Klima- und Transformationsfonds war ein Taschenspielertrick, vor dem viele gewarnt hatten. Schlimmer noch: Diese Bundesregierung hat die finanzielle Dimension der „Zeitenwende“ nicht begriffen.

Politik ist die Kunst des Möglichen, nicht die Summe des Wünschenswerten

Die Ampel möchte den Irrweg weiter gehen, den die Große Koalition unter Angela Merkel seit 2013 eingeschlagen hatte: Sie hatte inhaltliche Gräben mit Geld zugeschüttet und das Sparen verlernt. In den goldenen 2010er-Jahren sprudelten die Steuereinnahmen, doch jetzt regiert die Krise. Trotzdem gönnte sich die Bundesregierung ein teures Bürgergeld, die Grünen ambitionierte Klimaschutzprogramme – und die FDP trickste mit, um als Verteidiger der Schuldenbremse und Verhinderer von Steuererhöhungen wahrgenommen zu werden. Dieses Konzept ist nun gescheitert.

„Politik ist die Kunst des Möglichen“, soll Reichskanzler Otto von Bismarck gesagt haben. Angesichts des Karlsruher Urteils, einer knallharten Opposition und knapper Kassen muss die Regierung umsteuern. Möglich ist fortan nicht mehr das Wünschenswerte, sondern das Bezahlbare. Auch ein starkes Land kann sich übernehmen. Deutschland beispielsweise ist heute mit Abstand der größte militärische Unterstützer der Ukraine in Europa und zahlt mehr als 17 Milliarden Euro, rund 28 Milliarden Euro gibt der Bund im Zusammenhang mit Flucht und Migration aus.