Berlin. SPD und Grüne wollen billigeren Strom für die Industrie. Doch das Projekt hat auch Gegner – nicht nur beim dritten Koalitionspartner.

Max Jankowsky hat große Pläne: Den alten Kokskohleofen will er austauschen, in Zukunft soll der Schmelzbetrieb der Gießerei elektrisch werden. 4000 bis 5000 Tonnen CO2 im Jahr könnten sie so einsparen, sagt er, sich vorbereiten auf steigende CO2-Preise.

Eine Millioneninvestition in die Zukunft, doch es gibt ein Problem: 40 Prozent des Tauschs würden zwar gefördert, doch „für den Rest brauchen wir Fremdkapital“, sagt Jankowsky. Kapitalgeber aber würden bei ihrer Entscheidung auf die Rahmenbedingungen blicken, den Strompreis etwa. Und „der Strompreis, wie er jetzt ist, gibt eine Transformation zu Klimaneutralität nicht her.“

Jankowsky ist Geschäftsführer der Gießerei Lößnitz bei Chemnitz, und so wie dort sieht es derzeit bei vielen energieintensiven Betrieben in Deutschland aus. Verbände und Wirtschaftsvertreter warnen vor einer Abwanderung von Schwer- und Grundstoffindustrie, die Warnungen vor einer drohenden Deindustrialisierung werden lauter. Teile der Koalition wollen den Betrieben deshalb unter die Arme greifen – mit garantiert billigem Strom, zumindest für einige Jahre.

SPD und Grüne: Industriestrompreis soll „Brücke“ sein

Erneuerbare Energien würden schon heute den Strompreis drücken, sagt SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch dieser Redaktion. „Derzeit treiben Gas und Kohle aber noch die Strompreise – darum brauchen wir einen zeitlich befristeten Industriestrompreis, der unserer Industrie eine Atempause ins Zeitalter der günstigen Erneuerbaren verschafft.“ Der Industriestrompreis solle eine „Brücke“ ins Zeitalter der Erneuerbaren sein – denn bis 2030 will Deutschland seinen Strombedarf zu 80 Prozent aus erneuerbaren Quellen decken.

Robert Habeck (l., Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, hat den Industriestrompreis schon im Mai vorgeschlagen.
Robert Habeck (l., Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, hat den Industriestrompreis schon im Mai vorgeschlagen. © dpa | Marcus Brandt

Miersch stellt sich damit hinter ein Projekt, das seit einigen Monaten auch ganz oben auf der Wunschliste des Bundeswirtschaftsministeriums steht. Das Haus von Robert Habeck hatte eine solche Subvention schon im Mai vorgeschlagen, als ein zweistufiges Modell: Ab 2030 soll ein „Transformationsstrompreis“ erneuerbaren Strom günstig zu Verbrauchern in der Wirtschaft bringen. Neben sogenannten Differenzverträgen würden dabei auch direkte Stromlieferverträge zwischen Erzeugern von erneuerbarem Strom und Betrieben gefördert.

Bis es so weit ist, sollen – nach diesem Vorschlag – energieintensive Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, von einem auf 6 Cent pro Kilowattstunde runtersubventionierten Strompreis profitieren. 80 Prozent des Verbrauchs würden so bezuschusst. Geschätzte Kosten für die Staatskasse: 25 bis 30 Milliarden Euro, die aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds kommen sollten.

Grüne und SPD zielen auf Wirtschaftsstabilisierungsfonds

Dieser Topf war ursprünglich von der Vorgängerregierung geschaffen worden, um die Wirtschaft während der Pandemie zu stützen. In der Energiekrise wurde der Fonds reaktiviert und mit Kreditermächtigungen für 200 Milliarden Euro ausgestattet, aus denen die Strom- und Gaspreisbremse finanziert wurde.

Die energieintensive Industrie hofft auf Unterstützung bei den Stromkosten.
Die energieintensive Industrie hofft auf Unterstützung bei den Stromkosten. © AFP | Ina Fassbender

Die allerdings waren billiger als erwartet. Der freigewordene Spielraum, findet nicht nur Habeck, sollte zur Unterstützung der Industrie genutzt werden. „Geld gibt es aus dem 200 Milliarden Euro-Doppel-Wumms-Paket noch zu Genüge“, sagt Matthias Miersch. „Wir brauchen jetzt einen Wachstumsimpuls und Planungssicherheit für unsere Wirtschaft – wir brauchen jetzt einen Industriestrompreis.“ Unterstützung findet die Idee auch bei SPD-Chefin Saskia Esken und Grünen-Chefin Ricarda Lang.

Der dritte Koalitionspartner allerdings hält von einem Industriestrompreis wenig. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat wiederholt klargemacht, dass er den Vorschlag ablehnt und im Übrigen die Mittel im WSF zweckgebunden seien – also: dafür nicht verfügbar. Unterstützung für Lindners Absage gab es vom Wissenschaftlichen Beirat des Finanzministeriums. Der zweifelt daran, dass der Strompreis in Deutschland durch die Erneuerbaren dauerhaft niedrig sein wird, und fürchtet eine teure Dauersubvention.

Mittelstandsverband fordert vier Cent pro Kilowattstunde

Mehrere Wirtschaftsinstitute haben zudem davor gewarnt, dass ein Industriestrompreis falsche Anreize setzen und die nötige Transformation eher blockieren als fördern könnte. Dem könne man vorbeugen, sagt SPD-Klimapolitiker Miersch. „Der Industriestrompreis könnte an Bedingungen geknüpft werden, die eine klimaneutrale Industrie auch in Zukunft ermöglicht“, sagt er. Das könnten etwa Investitionen in Effizienzmaßnahmen, Erneuerbare, Speicher oder Elektrolyse-Anlagen sein.

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Eine Subvention, verbunden mit Bedingungen, dafür plädiert auch der Bundesverband Mittelständische Wirtschaft (BVMW). Den Vorschlag aus dem Haus Habeck begrüßt der Verband, hofft aber auf noch niedrigere Preise. „Der Industriestrompreis darf nicht wesentlich höher als vier Cent je Kilowattstunde liegen und muss bei den Begünstigten an die Bedingung geknüpft werden, mindestens in Höhe der Kostenentlastung am Standort Deutschland zu investieren“, sagt Hans-Jürgen Völz, Chef-Volkswirt des BVMW dieser Redaktion.

Ohne dies drohe sich der Trend zur Abwanderung von Produktion weiter zu beschleunigen und Kosteneinsparungen von Konzernen würden für Investitionen an Standorten im Ausland verwendet werden. Angesichts der Uneinigkeit innerhalb der Regierung sieht Völz den Bundeskanzler in der Pflicht: Der müsse notfalls von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen. „Das Schicksal der deutschen Wirtschaft eignet sich nicht für parteipolitischen Klein-Klein innerhalb der Ampelkoalition.“

Olaf Scholz allerdings ist bei dem Thema bislang durch Zurückhaltung aufgefallen – im Bundestag vor der Sommerpause direkt danach gefragt, wich Scholz aus. Max Jankowsky hofft dennoch auf eine schnelle Entscheidung – und auf Planbarkeit. „Wir wollen ja hierbleiben“, sagt er. „Aber dafür brauchen wir Strom, und Verlässlichkeit.“